Frau stirbt nach Messerangriff ihres Ex-Mannes Experten ordnen das Phänomen eines Femizids ein

Wenn Männer ihre Partnerinnen töten
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Dieser Artikel ist erstmals am 15. September 2023 erschienen, nachdem am 10. September (Sonntag) 2023 eine Dortmunderin getötet wurde – mutmaßlicher Täter: ihr Ehemann.

Am 4. November 2024 ist in Dortmund eine Frau mutmaßlich durch ihren Ex-Mann getötet worden. Hintergrund der Tat scheint eine gescheiterte Ehe gewesen zu sein. Aus diesem Grund haben wir den Text erneut veröffentlicht.

Mann soll seine Frau getötet haben: Was ist ein Femizid?

Was ist ein Femizid? Im Fall des Tötungsdeliktes vom 15. September 2023 war das mutmaßliches Motiv: Sie hatte sich getrennt, wollte ein neues Leben beginnen. Ein Fall eines sogenannten Femizids - denn sie wäre damit eine von vielen Frauen weltweit, die von Männern aus niederen Beweggründen wie Besitzdenken, Eifersucht oder Sexualtrieb umgebracht wurden.

Solche Tötungen folgen nicht immer dem gleichen Muster, jeder Fall ist anders. „Trotzdem sind sie keine Einzelfälle“, sagt Eva Grupe vom Frauenhaus Dortmund.

Sie und Ria Pinter helfen den Opfern männlicher Gewalt und kennen die Struktur hinter dem Phänomen, das mittlerweile besonders in Kreisen, die sich mit Frauenrechten befassen, vielfach als ‚Femizid‘ bezeichnet wird – abgeleitet von Homizid, dem Fachbegriff für Mord.

Ria Pinter (l.) und Eva Grupe vom Frauenhaus Dortmund.
Ria Pinter (l.) und Eva Grupe vom Frauenhaus Dortmund berichten über Femizide und erklären die Dynamik hinter dem Phänomen der Morde speziell an Frauen. © Frauenhaus Dortmund

Alte Machtstrukturen

„Femizide werden überwiegend durch männliche Partner oder Ex-Partner verübt und sie stehen im Kontext geschlechtsspezifischer Macht-, Kontroll- und Hierarchieverhältnisse“, schreiben Professorin Dr. Monika Schröttle und Dr. Maria Arnis in einem Artikel für die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb).

Die Dynamik, die zu einer Einordnung eines Falls in den Bereich Femizid führe, beschreiben die Frauen mithilfe einer Untersuchung der britischen Forscherin Jane Monckton-Smith. Ihr Urteil: Solche Morde wiesen stets Merkmale von Macht und Kontrolle zwischen Geschlechtern auf.

„Damit folgt die Dynamik einer jahrhundertelangen Tradition“, sagt Eva Grupe, Mitarbeiterin des Frauenhauses Dortmund. Sie meint eine Tradition, in der Frauen weniger Rechte haben als Männer. „Rechte, die sie sich mühselig erkämpft haben und die ihnen in manchen Beziehungen mit Männern wieder genommen werden.“

Ria Pinter führt aus: „Bei häuslicher Gewalt geht es in erster Linie um Macht und um Kontrolle, eine Trennungssituation ist somit immer eine Hochrisikosituation, weil beides in diesem Moment entzogen wird.“

Die Gewalttäter versuchten, die Frauen zu isolieren. Betroffenen Frauen werde suggeriert, sie können nichts und seien nichts wert, das Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen gingen verloren. Pinter: „Die zum Teil jahrelang erlebte physische und psychische Gewalt kann dazu führen, dass der Gewalttäter als übermächtig erlebt wird.“

Wieso holen sie sich keine Hilfe?

Cassandra Speer, VHS-Dozentin in Unna und Autorin des Vortrags „Alle 72 Stunden ein Femizid“ für das Multikulturelle Forum, sieht viele Gründe dafür, dass Frauen sich in solchen Situationen keine Hilfe suchen - oder suchen können: „Aus Liebe, Scham, gesellschaftlicher Tabuisierung, finanzieller Abhängigkeit, Angst um die gemeinsamen Kinder“, zählt sie auf.

Ria Pinter ergänzt noch einen weiteren Aspekt, der Frauen davon abhalte, sich anderen anzuvertrauen, Hilfe zu suchen: „Ein Täter ist nicht permanent gewalttätig. Zwischendrin entschuldigt er sich, bereut es, stellt sich etwa vor Familienmitgliedern und dem gemeinsamen Umfeld als toller Ehemann dar. Es entsteht ein Gewaltkreislauf.“

Gesellschaftliche Faktoren

Soziale Faktoren seien laut Speer übrigens zweitrangig: „Gewalt an Frauen sehen wir in allen gesellschaftlichen Schichten. Ich warne davor, irgendwelche Spekulationen zwischen Femiziden und Nationalitäten oder Religionszugehörigkeiten zu erstellen, die sich nicht eindeutig empirisch belegen lassen.“

Beobachtungen aus dem Frauenhaus und den Gerichtssälen deuteten jedoch daraufhin, dass die Gewalt zunimmt, je patriarchaler die Erziehung oder Sozialisation des Mannes sei. Das eindeutig zu belegen, sei aber schwer.

Viele Körperverletzungen

Seit 2015 versucht es das BKA - und erfasst Partnerschaftsgewalt statistisch. 68 Prozent der Tatverdächtigen bei häuslicher Gewalt im Jahr 2022 haben laut Bericht die deutsche Staatsangehörigkeit. Insgesamt haben diese etwa 87 Prozent der in Deutschland lebenden Personen.

Solche Zahlen für Dortmund konnte die Polizei auf Anfrage unserer Redaktion in dieser Woche nicht vorlegen. Die jüngsten Zahlen zu häuslicher Gewalt, die für ein vollständiges Jahr vorliegen, sind jene von 2021:

In Dortmund und Lünen ermittelte die Polizei, die für beide Städte zuständig ist, laut einer Pressemitteilung demnach im Jahr 2021 nach 1227 Strafanzeigen wegen häuslicher Gewalt. „Mit 83 Prozent haben Körperverletzungsdelikte den weitaus größten Anteil daran“, schreiben die Beamten.

Im Jahr 2022 wurden in den Monaten Januar bis Oktober 1173 Delikte erfasst, davon 81,5 Prozent Gewaltdelikte. Die Zahlen fürs vollständige Jahr 2022 werden voraussichtlich am 25. November dieses Jahres veröffentlicht. Hintergrund ist, dass die Dortmunder Polizei exakt an diesem Tag des Jahres oftmals Daten zum Thema veröffentlicht - möglichst medienwirksam zum sogenannten „Internationaler Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen“.

Während Corona hatte die Polizei 2021 übrigens einen Rückgang der Anzeigen verzeichnet - dazu aber betont, dass man nicht von einem echten Rückgang ausgehe, sondern vielmehr von weniger Anzeigen: „Die Zahlen müssen wir sorgfältig analysieren. Der Rückgang sollte nicht zu der Einschätzung führen, dass dieses Problem kleiner wird. Vielmehr müssen wir uns fragen, welchen Einfluss die Kontaktbeschränkungen, Quarantäne-Situationen und Homeoffice auf das Anzeigeverhalten der Opfer hatten“, sagte dazu damals Polizeipräsident Gregor Lange.

Dortmunds berühmtester Femizid

Der Femizid ist derweil kein juristischer Begriff: „In Gerichtssälen kam das Wort Femizid in meiner Zeit kein einziges Mal vor“, sagt Gerichtsreporter Martin von Braunschweig, der auch für unsere Redaktion tätig ist. Der Straftatbestand sei im Strafgesetzbuch aber so oder so abgedeckt. „Das Bestreben, Femizide als juristischen Begriff zu etablieren, würde wenig ändern“, meint er. Aus mehreren Gründen.

Martin von Braunschweig
Martin von Braunschweig ist Gerichtsreporter. © Jochen Tack

„Ein Femizid ist ein Mord aus niederen Beweggründen, Eifersucht oder Besitzdenken“, sagt von Braunschweig. „Das bedeutet aber auch, dass er schwer zu beweisen ist, wenn man die Vorgeschichte nicht genau kennt. Hat die Frau vor der Tat vielleicht den Täter beleidigt?“

Seine Beobachtung: Richter würden die Täter in Fällen, in denen es Hinweise auf solche Beweggründe gibt, letztlich oftmals für Totschlag verurteilen - auch, weil sich die Beziehung der beiden Menschen nicht genau nachvollziehen lässt.

Dass es auch anders ausgehen kann, zeigt jedoch der berühmte Fall der 16-jährigen Dortmunderin Nicole Schalla, die 1993 aus niedrigen Beweggründen auf dem Heimweg ermordet wurde – weil sie ein Mädchen war und der Täter an ihr seine Triebbefriedigung suchte, wie im Verfahren nachgewiesen wurde.

In einem anderen Fall, den man als Femizid einordnen kann, bekam ein zum Tatzeitpunkt 24-jähriger Dortmunder zwölf Jahre Haft wegen Totschlags. Er hatte seine Ehefrau im Juli 2019 stranguliert und mit 76 Messerstichen verletzt – sie verblutete. Ihre Leiche bewahrte er in einem Koffer auf und lagerte sie in einer Garage in Lütgendortmund. Aus dem Umfeld des Opfers hieß es, es habe sich von ihrem Mann wohl trennen wollen.

Wie schafft man echte Gleichstellung?

Was kann man tun, um solchen Fällen vorzubeugen? Cassandra Speer hält den Kampf gegen Femizide für eine strukturelle Aufgabe: „Man sollte in der frühkindlichen Erziehung ansetzen und den Kindern nicht irgendwelche veralteten Geschlechterklischees anerziehen“, meint sie. Und für Erwachsene: „Auch eine Verankerung dieses Themas in Lehrplänen und Fortbildungsangeboten für Arbeitnehmer und Arbeitgeber halte ich für notwendig.“

Kann die Stadt Dortmund dabei helfen?

Und was wird vor Ort getan? Wie Maresa Feldmann, Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Dortmund mitteilt, gibt es einen runden Tisch „Häusliche Gewalt“, der mehrmals im Jahr zusammenkommt. Sein Ziel: „Die Strukturen in Dortmund verbessern, den Wissenstransfer sicherstellen und gemeinsam Lösungen erarbeiten.“

Außerdem gebe es seit Februar 2023 die Koordinierungsstelle Istanbul Konvention – benannt nach der UN-Konvention zur Stärkung der Frauenrechte, die auch in Deutschland ratifiziert ist. Feldmann sagt, man arbeite mit vielen Akteurinnen zusammen, um am Ende einen Masterplan zu entwerfen, wie man Gewalt gegen Frauen als Ganzes bekämpfen kann.

Für Betroffene von gewalttätigem Verhalten ist ein schnelles Handeln wichtig:

  • Sind Sie vielleicht betroffen von Schlägen, von Beleidigungen, fühlen Sie sich ständig vom Partner unter Druck gesetzt?
  • Ist Ihr Partner oder ein Mann aus Ihrem direkten Umfeld gewalttätig oder aggressiv, oder werden Sie regelmäßig von jemandem verfolgt?
  • Kennen Sie eine Frau, die möglicherweise häusliche Gewalt erlebt, oder kennen Sie einen Mann, der seiner Partnerin oder anderen Frauen aggressiv gegenüber auftritt?

Lassen Sie sich beraten und helfen Sie im schlimmsten Fall sich selbst oder einer Frau in Gefahr. Die Nummern des Frauenhauses Dortmund können helfen: 0231 / 72 50 570. Im Notfall: 0231 / 80 00 81

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