Eigentlich geht es beim Gedenken am 9. November in erster Linie um den Blick zurück auf die schrecklichen Ereignisse der Reichspogromnacht vor 85 Jahren, die als Auftakt zur systematischen Judenverfolgung in Deutschland gelten. Doch in diesem Jahr spielte die Lage im Nahen Osten nach dem Überfall der Terrororganisation Hamas auf Israel am 7. Oktober eine mindestens ebenso große Rolle.
„Wir können nicht über den 9. November 1939 sprechen, ohne nicht auch über den 7. Oktober 2023 zu reden“, sagte Oberbürgermeister Thomas Westphal bei der zentralen Gedenkveranstaltung der Stadt im Foyer des Opernhauses, dort, wo bis 1938 die große Dortmunder Synagoge stand.
Das galt auch schon für die Gedenkstunde, die am Nachmittag in Dorstfeld am Mahnmal der ehemaligen Synagoge gegenüber dem Wilhelmplatz stattgefunden hatte. In Redebeiträgen äußerten sich Bürgermeister Norbert Schilff und Vertreter der jüdischen Gemeinde.
Aus den Niederlanden angereist war ein Zeitzeuge der Pogromnacht: Bert Woudstra lebte 1938 im Dorf Meudt im Westerwald. Er betonte, dass seit dem Krieg in Israel und Gaza weltweit der Judenhass wieder zugenommen haben und appellierte an die Menschlichkeit.
Vor dem Hintergrund der Ereignisse in Nahost und der gestiegenen Zahl antisemitischer Vorfälle auch in Deutschland war die Polizei mit einem verstärkten Aufgebot in Dorstfeld präsent. Unter anderem wurde eine Drohne eingesetzt. Auch die Reiterstaffel war beteiligt. Die Gedenkveranstaltung verlief jedoch ohne Zwischenfälle.
Auch der Vorsitzende des Landesverbandes der jüdischen Gemeinden Zwi Rappoport schlug bei der Gedenkveranstaltung im Foyer des Opernhauses den Bogen von 1938 bis in die Gegenwart. Er beklagte, dass auch in Deutschland wieder Judenhass auf offener Straße zu erleben sei. Fassungslos mache ihn aber auch die mangelnde öffentliche Anteilnahme, „das kalte Schweigen in großen Teilen der deutschen Gesellschaft“. „Wir fühlen uns alleingelassen“, beschrieb er das weitverbreitete Gefühl in der jüdischen Gemeinschaft.
In sehr persönlichen Worten beschrieb als Vortragsgast auch der Journalist Dr. Ronen Steinke die Belastungen des jüdischen Lebens in Deutschland, das nur unter Polizeischutz möglich sei. „Es ist ein religiöses Leben im Belagerungszustand, im Hochsicherheitstrakt“, sagte er.
Veranstaltung auf dem Friedensplatz
Auf dem Friedensplatz veranstalteten im Anschluss an die Kranzniederlegung der Ring Politischer Jugend Dortmund eine Demonstration. „Der Schutz jüdischen Lebens ist und bleibt deutsche Verantwortung. Der 9. November ist einer der dunkelsten Tage der deutschen Geschichte“, sagt Michelle Gnatzy (Jusos) am Abend ins Mikrofon. Gnatzy fordert eine klare Kante gegen Antisemitismus und Solidarität mit Jüdinnen und Juden in Dortmund.
„Nie wieder ist jetzt“: Großes Gedenken an Pogromnacht 1938 in Dortmund - Ticker zum Nachlesen
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