Kampf um Fördergeld ruinierte Dortmunder Familie fast „Wir konnten teils keine Windeln kaufen“

Familienvater kämpfte Monate um Fördergelder: „Wir standen vor dem Ruin“
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Es liest sich so gut: Bis zu 15.000 Euro staatliche Förderung und zusätzlich monatliche Unterstützung für den Lebensunterhalt stehen Menschen zu, die eine Fortbildung zum Meister machen. Als Cosmo Vogler während seiner Ausbildung zum Gerüstbauer erstmals vom sogenannten Meister-BAföG liest, ist für den 25-Jährigen schnell klar, dass er diese Chance ergreifen möchte. Zwei Jahre später hat der junge Familienvater aus Dortmund sein Ziel zwar erreicht. Der Preis dafür war allerdings hoch.

Bis zu knapp 1700 Euro monatlichen Unterhaltsbeitrag kann eine vierköpfige Familie im Rahmen des Meister-BAföGs erhalten - darum kämpft Cosmo Vogler monatelang vergebens. Hilfe bekommt er sehr spät und eher einem Zufall geschuldet durch einen prominenten Politiker.

Trotzdem ist der Dortmunder nun hoch verschuldet und er wusste monatelang nicht, wovon er Lebensmittel oder Windeln für seine Kinder kaufen soll. „Wir wurden von sämtlichen Behörden, Einrichtungen, Ämtern dermaßen im Stich gelassen, dass wir vor dem Ruin standen“, sagt der Dortmunder. Wie ist es so weit gekommen?

Fortbildung zum Meister

Cosmo Vogler wirkt ehrgeizig: Er möchte etwas erreichen - familiär und beruflich. Die eigene Kindheit war schwierig. „Ich bin mit 17 zu Hause ausgezogen, hatte einen gewalttätigen Stiefvater.“ Cosmo Vogler übernimmt schnell Verantwortung für sich und entscheidet sich gemeinsam mit seiner Frau Katharina bewusst dafür, früh eine Familie zu gründen. Was er selbst nie erlebt hat - Sicherheit, Unterstützung und Vertrauen - möchte er seiner Familie bieten.

Noch während seiner Ausbildung zum Gerüstbauer kommt im Mai 2021 Tochter Meryem zur Welt. Der Start ins Familienleben zu dritt gelingt den Voglers gut. Cosmo Vogler leistet gute Arbeit, kann seine Ausbildung sogar um ein halbes Jahr verkürzen, im Januar 2023 beendet er sie. Da weiß er schon, dass er ab Oktober den Meisterkurs bei der Handwerkskammer Dortmund absolvieren möchte.

„Ich möchte an meine beruflichen Grenzen kommen, die einfache Lehre hat mir nicht gereicht.“ Zudem ahnt der Dortmunder bereits, dass sein Körper die Strapazen, täglich körperlich stark belastet zu sein, nicht auf Dauer mitmachen wird. Er hat eine Wirbelsäulenverkrümmung - auch daher den Entschluss, den Meister zu machen. „Dann schleppt man nicht mehr selbst, sondern kontrolliert.“

Cosmo Vogler in orangefarbener Arbeitsjacke auf einem hohen Turm.
Cosmo Vogler auf einer Baustelle. Aufgrund guter Leistungen konnte er die Ausbildung zum Gerüstbauer verkürzen. © Cosmo Vogler

Er stellt im April den Antrag auf Meister-BAföG bei der zuständigen Bezirksregierung Köln - unterstützt wird er dabei von der Handwerkskammer, die entsprechende Beratung anbietet. Dann hört er lange nichts mehr von der Förderung. Er wird im August arbeitslos, weil sein Rücken die Belastung im Beruf nicht mehr mitmacht.

Und damit beginnt für die kleine Familie eine lange, belastende Odyssee, finanziell spitzt sich die Lage schnell dramatisch zu. Die Bezirksregierung Köln für das Meister-Bafög, aber auch Jobcenter und Arbeitsagentur - bei allen versucht Cosmo Vogler in den nächsten Monaten, finanzielle Unterstützung zu bekommen. Blättert er jetzt in den Unterlagen und erzählt von den vergangenen Monaten, bekommt man den Eindruck, dass hier ein Mensch, der wirklich bemüht war, zwischen Paragrafen und Formularen völlig verloren gegangen ist.

Das Grundproblem: Die Bearbeitungszeit für den Antrag auf das Meister-BAföG ist sehr lang. Im April hat Vogler den Antrag auf den Weg gebracht - den Eingang der Unterlagen bestätigt die Bezirksregierung Köln erst für den 8. August und weist in einem Schreiben von Ende Oktober 2023 darauf hin, dass der Antrag nicht vollständig ist. Einen Hinweis, welche Unterlagen fehlen, gibt es in dem Schreiben nicht. „Und die Bezirksregierung Köln ist unerreichbar - weder telefonisch noch postalisch oder per Mail hat man eine Chance. Ich habe alles versucht.“

Der Meisterkurs hat zu diesem Zeitpunkt schon begonnen. Um die Kosten dafür, aber auch für den Lebensunterhalt seiner Familie zu decken, versucht Cosmo Vogler schon ab August 2023 über Agentur für Arbeit und Jobcenter Hilfe zu bekommen. Bildungsgutschein, um die Kursgebühren zu decken, Notfalldarlehen zur Überbrückung bis der BAfög-Antrag genehmigt wird, Bürger- oder Arbeitslosengeld - mit allen Versuchen scheitert er.

Letztlich läuft es immer auf die gleiche Antwort hinaus: Man ist nicht zuständig, weil der Meisterkurs förderungsfähig ist. Dass der Antrag seit Monaten nicht bearbeitet wird, die finanzielle Situation der Familie dramatisch ist, findet keine Beachtung, schildert Cosmo Vogler. „Ich habe wirklich alles versucht, Beratung oder Hilfe zu bekommen. Am Ende stand ich verwirrt und ohne alles da.“

Dass ihm beim Stellen der Anträge und den richtigen Adressaten auch Fehler passiert sind, bestreitet der 25-Jährige nicht. „Ich wusste selbst kaum noch, wer für was und warum zuständig ist.“ Was er aber bis heute nicht versteht: Dass er keinerlei Hilfestellung bekommt, „es ist ja nicht so, als hätte ich nicht danach gefragt.“

„Wir haben gehungert“

In der allergrößten Not springt seine Schwiegermutter ein, die einen Privatkredit nimmt und an die kleine Familie weiterleitet. So kann Cosmo Vogler zumindest die Kursgebühren zunächst bezahlen. Nach langem Kampf erhält die Familie zudem 1300 Euro Bürgergeld - viel zu wenig, um über die Runden zu kommen. „Ich war am Verzweifeln - allein die Fixkosten mit Miete, Nebenkosten, Kita-Gebühren lagen bei 1200 Euro.“ Im Dezember 2023 kommt sein Sohn Isa auf die Welt, da ist die nun vierköpfige Familie finanziell schon völlig am Ende.

„Wir konnten dem Kleinen teils keine Windeln kaufen. Die letzten zwei Wochen im Monat haben wir gehungert, ich habe teils tagelang nichts gegessen, damit meine stillende Frau etwas mehr hatte.“ Cosmo Vogler schildert das ruhig, die Verzweiflung, die ihn zu diesem Zeitpunkt beherrscht haben muss, spürt man nur noch unterschwellig. „Wir haben in einer fatalen Situation aus Existenzängsten und Hunger gelebt.“

In dieser Drucksituation besucht er weiter den Meisterkurs und versucht nachmittags alles, um noch irgendwie Fortschritte bei seinem BAföG-Antrag zu machen. Vergeblich. Letztlich hat Cosmo Vogler einfach Glück und den Mut, im richtigen Moment das Wort zu ergreifen. Im Februar 2024 besucht Hermann Gröhe, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, die Handwerkskammer Dortmund. In einer Gesprächsrunde ergreift Vogler das Wort und schildert seine Situation. „Herr Gröhe war schockiert“, schildert der Dortmunder seinen Eindruck.

Das bestätigt eine E-Mail, die Cosmo Vogler wenig später von dem Politiker erhält. Zur langen Bearbeitungsdauer des BAföGs und der damit einhergehenden Blockierung anderer Leistungen schreibt Gröhe, dass es ihn sehr ärgere, dass ein so engagierter junger Mensch, der Verantwortung übernehmen will, solche Erfahrungen mit staatlichen Leistungen machen müsse, die ihn eigentlich unterstützen sollen. Gröhe nimmt Kontakt zu verschiedenen Stellen auf und plötzlich kommt Bewegung in den Fall.

Die Bezirksregierung Köln meldet, welche Unterlagen fehlen, sodass der Dortmunder sie nachreichen kann und das BAföG schließlich bewilligt wird. Auch mit Jobcenter und Agentur für Arbeit finden aussöhnende Gespräche statt.

Trotz allem Ärger, Stress und den großen Sorgen, wie er seine Familie versorgen kann, fällt Cosmo Voglers Fazit nicht nur negativ aus: „Der Stress hat mich und meine Frau noch mehr aneinandergeschweißt, wir haben uns das Versprechen ,In guten wie in schlechten Zeiten‘ bewiesen. Ich würde es nochmal so machen und durchziehen.“

Update Februar 2025

Wie geht es Familie Vogler ein halbes Jahr nach unserer ersten Berichterstattung? Cosmo Vogler hat den Meisterkurs mittlerweile erfolgreich abgeschlossen - und auch einen Job gefunden, der ihn glücklich macht: Als Bauleiter bei der Fischbach Gruppe fühlt er sich wohl und sieht eine spannende berufliche Zukunft vor sich. „Dafür haben sich alle Mühen ausgezahlt“, so Cosmo Vogler.

Jedoch sei er immer noch dabei, die finanziellen Schäden aufzuarbeiten, darunter leide die Familie weiterhin. Die große Enttäuschung, überhaupt in diese Situation geraten zu sein, ist noch sehr präsent. „Ich verstehe es bis heute nicht, wie sämtliche Ämter und Behörden strikt die Hilfe und Unterstützung verweigert haben“, so Cosmo Vogler.

Positiv bleibt für ihn der familiäre Zusammenhalt: „Unterm Strich bin ich erleichtert, unfassbar stolz auf mich und meiner Familie, ganz besonders meiner Frau, besonders dankbar, dass wir all dies zusammen durchgestanden und geschafft haben.“

Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 24. Juli 2024.

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