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Diskussion um Boykott in Dortmund: „Das ist ein Geschenk für die AfD“
Live-Talk
Die Dortmunder Kandidaten der im Bundestag vertretenen Parteien meiden im Wahlkampf Debatten mit der AfD. Ist das richtig oder falsch? Im Live-Talk nannten Wissenschaftler dazu ihre Meinung.
Nachdem die Dortmunder Direktkandidaten der im Bundestag vertretenen Parteien einmütig beschlossen haben, im aktuellen Wahlkampf an keiner Podiumsdiskussion teilzunehmen, zu der auch die AfD eingeladen ist, stellt sich die Frage, ob das richtig ist.
Eigentlich sollte am Mittwochabend im Lensing Carrée Conference Center (LCC) in der Dortmunder Innenstadt mit den Politikern über brennende Themen wie Corona, Klimaschutz, Wohnen und Verkehr gesprochen werden. Stattdessen sprachen Redakteurin Helga Kretschmer von Radio 91.2 und RN-Chefredakteur Dr. Wolfram Kiwit live vor Publikum mit Wissenschaftlern über die Debattenkultur.
So nachvollziehbar der AfD-Boykott sei, so falsch sei er auch, sagte Prof. Dierk Borstel, Experte für politische Kommunikation von der Dortmunder FH: „Ich bin auch dafür, Rechtsextremismus keinen Raum zu geben. Aber die AfD hat Raum in der Mitte der Gesellschaft und im Parlament.“
AfD-Wähler von CDU und SPD: „Die will ich doch wiederholen“
Man müsse sich mit ihr zanken, meinte Dierk Borstel. Die Debatte sei ein wichtiges demokratisches Element. „Stattdessen verzichten wir darauf. Das ist ein Geschenk für die AfD“, sagte der Politikwissenschaftler.
Der Dortmunder AfD-Bundestagskandidat Matthias Helferich hatte sich vor Kurzem unter anderem in Anlehnung an einen NS-Todesrichter als „demokratischer Freisler“ bezeichnet. Hat er damit eine Grenze überschritten, die die Ablehnung einer Auseinandersetzung mit ihm rechtfertigen kann?
Eindrücke vom Talk zum AfD-Boykott
Dierk Borstel sagte auch dazu Nein: „Der Partei ‚Die Rechte‘ mit einem Prozent Wählerstimmen würde ich nicht den Raum geben, aber die AfD ist die stärkste Oppositionspartei im Bundestag und wir werden sie auch nicht so leicht los. Und im Ruhrgebiet hat die AfD eine ihrer Hochburgen - mit vielen ehemaligen CDU- und SPD-Wählern. Die will ich doch wiederholen. Das wird aber nicht gehen, wenn wir die Debatte nicht führen.“
„Die AfD hätte hier heute Schaden genommen“
Dass Politiker auch Angst vor einer solchen Debatte haben, gestand der Wissenschaftler ihnen zu. Es sei aber kein Weltuntergang in einer Diskussionsrunde auch mal schlecht auszusehen. Im aktuellen Fall hätte Helferichs Zitat mit Freisler der AfD in einer Podiumsdiskussion nichts genutzt. „Die AfD hätte hier heute Schaden genommen“, so Dierk Borstel.
Immer komplexer werdende Sachverhalte machten es allerdings schwer, eine fakten-orientierte Debatte in Gang zu bringen, machte Prof. Frank Lobigs vom Institut für Journalistik der TU Dortmund klar. Das nutze der AfD und das nutze sie auch aus.
„Wir denken gar nicht gerne, sondern nehmen lieber Abkürzungen. Das führt zu irrationalen Meinungen“, so Frank Lobigs. Die Menschen wüssten über Sachpolitik nichts oder nur sehr wenig, seien aber dennoch sehr meinungsstark.
„Medien haben die Aufgabe, mit allen zu sprechen“
Die AfD nutze daher sehr stark die sozialen Medien, die ja auch eine Empörungsdemokratie beförderten. „Die Strategie der AfD setzt darauf, dass eine Provokation dort dann in den klassischen Medien aufgenommen wird“, sagte Frank Lobigs.
Dass der AfD-Kandidat nicht, wie von den anderen Kandidaten gewünscht, von Ruhr Nachrichten und Radio 91.2 von der Podiumsdiskussion ausgeladen, sondern die ganze Gesprächsrunde abgesagt wurde, hält der Medienwissenschaftler für richtig und sagte: „Medien haben die Aufgabe, mit allen zu sprechen.“
Auch die Politiker der demokratischen Parteien hätten mit der AfD diskutieren sollen, meinten Nora Varga (20), Volontärin bei den Ruhr Nachrichten, und Simon Kaufmann (21), Praktikant bei Radio 91.2. „Es wäre eigentlich die Chance gewesen, sich zu zeigen und deutlich zu machen, für welche Werte sie stehen“, sagte Nora Varga.
Verleger Lensing-Wolff: „Möglichst ohne Ausgrenzung“
„Bei Lensing Media sind wir der Überzeugung“, sagte Lambert Lensing-Wolff, der Verleger der Ruhr Nachrichten, zum Schluss des 90-minütigen Live-Talks, „dass eine lebendige Debattenkultur, mit einem breiten Austausch, die Grundlage eines funktionierenden demokratischen Systems in einer pluralen Gesellschaft ist - also möglichst ohne Ausgrenzung und manchmal auch bis an die Grenzen der Zumutbarkeit gehenden Argumentationen.“
Sprechverboten würden sehr schnell auch Denkverbote folgen. „Wer sich für die Freiheit einsetzt“, so Lambert Lensing-Wolff, „muss auf dem politischen Parkett die Auseinandersetzung suchen.“
Nach mehreren Stationen in Redaktionen rund um Dortmund bin ich seit dem 1. Juni 2015 in der Stadtredaktion Dortmund tätig. Als gebürtigem Dortmunder liegt mir die Stadt am Herzen. Hier interessieren mich nicht nur der Fußball, sondern auch die Kultur und die Wirtschaft. Seit dem 1. April 2020 arbeite ich in der Stadtredaktion als Wirtschaftsredakteur. In meiner Freizeit treibe ich gern Sport: Laufen, Mountainbike-Fahren, Tischtennis, Badminton. Außerdem bin ich Jazz-Fan, höre aber gerne auch Rockmusik (Springsteen, Clapton, Santana etc.).
