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Die „fliegenden Kohlenwagen“ – Auf der Spur der Drahtseilbahnen
Abschied vom Bergbau
Peter Kocbeck erforschte die Geschichte der Drahtseilbahnen, die vor allem zu Beginn des 20. Jahrhunderts Zechen, Kokereien und Hochofenwerke verbanden. Heute gibt‘s nur noch wenige Relikte.
Eigentlich hat Peter Kocbeck mit Bergbau nicht direkt etwas zu tun. „Ich war immer bei Hoesch“, erklärt der 74-Jährige. Doch im heimischen Kurl kam er immer wieder an der Mauer der alten Zeche Kurl vorbei. Das weckte seine Neugierde. Vor allem als er auf alte Bilder stieß, die eine Drahtseilbahn zum Kohlentransport zeigten.
Der Rentner, seit 2005 ehrenamtlich im Hoeschmuseum aktiv,, ging auf die Suche. Und stieß auf Spuren eines ganz besonderen Verkehrsmittel, das vor allem in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts in weiten Teilen Dortmunds mit seinen „fliegenden Kohlenwagen“ das Stadtbild geprägt hat, aber weitgehend in Vergessenheit geraten ist.
Ein kostengünstiges Transportmittel
„Drahtseilbahnen hatten den Zweck, Zechen untereinander, aber auch mit Nebenanlagen, Hochöfen und Halden zu verbinden. Damit konnten Anlagen wie etwa Kokereien mit hoher Kapazität mit Kokskohle versorgt werden. Neben Kohle und Koks wurden aber auch Schlacke und Haldenmaterial transportiert“, berichtet der Experte. „Die Drahtseilbahn war immer der Favorit der Transportmöglichkeiten. Sie konnte kostengünstig gebaut werden und hatte nicht die geringsten Probleme, Flüsse, Straßen, Schienenwege und Höhenunterschiede zu überwinden.“

Peter Kocbeck mit einer Karte zum Streckenverlauf der Drahtseilbahn zwischen Menglinghausen und dem Hüttenwerk Union. © Oliver Volmerich
Fasziniert ist Kocbeck vor allem von der Ingenieursleistung, die mit der Konstruktion der Seilbahnen verbunden war. „Es wurden vor allem in den ersten 50 Jahren – von 1874 an – auf diesem Gebiet wahre Meisterleistungen vollbracht. Die großen Seilbahn-Bauer Adolf Bleichert aus Leipzig und Julius Pohlig aus dem Rheinland lieferten Seilbahnen in die ganze Welt, sogar bis nach Argentinien und Japan.
Auch den Dortmunder Markt hatten sich die beiden Firmen aufgeteilt. Die Firma Bleichert plante und baute etwa die Seilbahnstrecken zwischen Asseln und der Zeche Scharnhorst und zwischen der Zeche Schleswig und der Zeche Kurl. Allein dieses Strecke war 4610 Meter lang. Seilbahnen der Firma Pohlig verbanden etwa die Zechen Scharnhorst, Kurl und Gneisenau.

So schwebte die Drahtseilbahn 1924 über den Rüpingsbach in Barop. © Emschergenossenschaft/Lippeverband
Besonders faszinierend ist eine Drahtseilbahn-Strecke, die quer durch den Dortmunder Südwesten führte und über rund fünf Kilometer die Zeche Kaiser Friedrich in Menglinghausen mit dem Hüttenwerk Union an der Rheinischen Straße verband. Angebunden waren auch die Zechen Wiendahlsbank in Kruckel, Louise und Glückauf Tiefbau in Barop sowie Tremonia. Sie alle gehörten zur „Deutsch-Luxemburgischen Bergwerks- und Hütten AG“.
Kokskohle hin, Schlacke zurück
Sie schlug mit dem Verbund aus Drahtseilbahnen gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe. Das Hüttenwerk Union bekam von den Zechen den nötigen Hochofenkoks, die Hochofenschlacke konnte wiederum von der Zeche Tremonia als Verfüllmaterial genutzt werden. „Der Bau einer Seilbahn war dafür die ideale technische Lösung. Der Koks konnte ohne Umschlagverluste direkt bis auf die Gicht der Hochöfen des Werks Union geschafft werden und der benötigte Schlackensand wurde als Füllmaterial für Tremonia günstig von den eigenen Hochöfen bezogen“, erklärt Peter Kocbeck.
Das Besondere: Nördlich der Emscher, am Hahnenmühlenweg in der Tremonia-Siedlung am Rande von Dorstfeld versank die Drahtseilbahn in einem gut einen Kilometer langen Tunnel, unterquerte in 15 Metern Tiefe auch unterirdisch die Rheinische Straße, um dann auf dem Gelände des Union-Werkes, zuletzt genutzt von Hoesch-Spundwand (HSP), wieder ans Tageslicht zu kommen. 1911 wurde mit dem Tunnelbau begonnen.

Durch diesen Tunnel verlief die Drahtseilbahn zum Hüttenwerk Union. © Archiv P. Kocbeck
Ein zweiter, 1912 begonnener Tunnel führte als Abzweig vom Haupttunnel unter den Gleisen des Güterbahnhofs Dortmunder Feld zur Zeche Tremonia am Rande des Kreuviertels – 4,48 Meter hoch, 3,36 Meter breit und 560 Meter lang. Hier wurde eine Hängeschienenbahn zum Transport der Hochofenschlacke betrieben.
Peter Kocbeck hat all das akribisch erforscht, in Archiven ebenso wie in freier Natur. Auf der Brachfläche der alten Zeche Kaiser Friedrich in Menglinghausen, die 1925 geschlossen wurde, spürte er alte Mauerreste auf, am Rande des Rüpingsbachs in Barop entdeckte er alte Stützenfundamente für die Drahtseilbahn.

So schwebte die Drahtseilbahn 1924 über den Rüpingsbach in Barop. © Emschergenossenschaft/Lippeverband
45 Stützen gab es insgesamt für die Hauptstrecke. Mit Hilfe des Tragseils schwebten die Wagen in einem Abstand von 42 Metern und 5,50 Meter über dem Erdboden durch die Landschaft. „Alle Straßen waren mit Schutzbrücken überspannt, damit niemand von eventuell herabfallendem Material verletzt wurde“, berichtet Kocbeck.

Mit Spannstationen wie hier in Scharnhorst wurden die Tragseile stramm gehalten. © RWWA
Während bis auf ein paar Fundamente von der oberirdischen Seilbahn-Strecke nichts mehr vorhanden ist, hat die Tunnelstrecke noch Bestand. Nachdem sie mit Stilllegung der Zeche Tremonia 1931 eigentlich ausgedient hatte, nutzte Hoesch ab den 1960er-Jahren die Strecke für eine Gichtgasleitung zwischen den Werken Union und Phoenix. Am Rande des Hahnenmühlenwegs gibt es noch heute ein Eingangsgebäude zu der unterirdischen Anlage, auf dem früheren HSP-Gelände wurde der Tunnelbereich allerdings inzwischen verfüllt. Durch den Tunnel zur alten Zeche Tremonia verlaufen aber immer noch Rohrleitungen.
Einsatz auch in der Stahlindustrie
Nicht nur mit dem Seilbahntunnel bekam der Ex-Hoeschianer am Ende doch noch den Bogen zu seinem eigenen Arbeitgeber und zu seiner ehrenamtlichen Arbeit für das Hoeschmuseum. Denn auch auf der Westfalenhütte wurden Drahtseilbahnen für Verbindungen zu Zechen und Kokereien genutzt. Ingesamt neun Broschüren hat Peter Kocbeck so schon zum Thema Seilbahnen und Industriegeschicht verfasst. Ein Thema war dabei auch die einzige noch erhaltene Seilbahn in Dortmund im Westfalenpark. Die hat allerdings nichts mit harter Arbeit, sondern mit Freizeit und Vergnügen zu tun,
Oliver Volmerich, Jahrgang 1966, Ur-Dortmunder, Bergmannssohn, Diplom-Journalist, Buchautor und seit 1994 Redakteur in der Stadtredaktion Dortmund der Ruhr Nachrichten. Hier kümmert er sich vor allem um Kommunalpolitik, Stadtplanung, Stadtgeschichte und vieles andere, was die Stadt bewegt.
