Der ehemalige Prokurist M. der DEW-Billigtochter Stadtenergie hat seinen Job nach zwei Kündigungen im Februar und im Juni 2024 verloren. Dagegen hat er eine Kündigungsschutzklage beim Dortmunder Arbeitsgericht eingereicht. Obendrein pocht er auf angeblich zugesagte „Boni“ von 20.000 Euro.

Bei der ersten Verhandlung vor der 7. Kammer im Dezember 2024 gab’s noch keine Entscheidung. Dafür kamen etliche Details ans Licht, wie M. die Abschlagszahlungen und Endrechnungen der Kunden manipuliert und vorsätzlich nach oben getrieben haben soll, um die Bilanz von Stadtenergie zu schönen. Besonders prägnant: M. soll u.a. eine Liste von 9.000 Kunden erstellt haben, deren Preise nach seinem Geschmack wohl „unter Wasser“ gewesen seien. Er soll die aus seiner Sicht zu niedrigen Energietarife so manipuliert haben, dass sie plötzlich von 19 auf 42 Cent (je Kilowattstunde) nach oben schossen. Und das ist nur eins von mehreren Beispielen.
„Da ist etwas zerbrochen“
Weitere Details kamen bei der zweiten Verhandlung vor dem Arbeitsgericht am Mittwoch (29.1.) ans Licht. Martin Wyrembeck, aktueller Geschäftsführer von stadtenergie, plauderte aus dem Nähkästchen. Er erklärte einmal mehr, wie ihm Anfang 2024 gehörige Zweifel an den Zahlen kamen, die ihm M. für die Erstellung des Geschäftsbericht 2023 zugeliefert hatte. Er habe darin „einige unplausible Zahlen gefunden, sagte Wyrembeck. Da seine Fragen nicht zufriedenstellend beantwortet worden seien, habe man „Plausibilitätsprüfungen“ anberaumt und Wirtschaftsprüfer beauftragt.
Das Ergebnis ist bekannt: Nach den heutigen Erkenntnissen sollen rund 70.000 Kunden um insgesamt 24,6 Millionen Euro geschädigt worden sein. DEW gibt an, die Rechnungen inzwischen korrigiert und jeden zu viel gezahlten Betrag erstattet zu haben. Alles in allem haben die Vorgänge einen Gesamtschaden von 74 Mio. Euro verursacht – dafür musste DEW in gleicher Höhe Rückstellungen bilden.
„Herr M. hat das Ergebnis des Unternehmens um 20 Millionen Euro nach oben geschraubt“, sagte Wyrembeck. Keine Spur mehr von einem „Vertrauensverhältnis“ zum Ex-Prokuristen. „Im Gegenteil“, so Wyrembeck. Von seiner Seite habe damals Misstrauen geherrscht. „Da ist was zerbrochen“, formulierte der Stadtenergie-Geschäftsführer.
Chats von Kollegen eingesehen
Dazu dürfte eine weitere Ungereimtheit beigetragen haben: Auch die Vermögenswerte in Höhe von einer Million Euro, die M. in die Stadtenergie-Bilanz einstellte, kamen Wyrembeck spanisch vor. Sie seien „viel zu hoch“ gewesen. Daraufhin habe er den Buchhalter von Stadtenergie um Prüfung gebeten. Der habe sich ihm kurze Zeit später anvertraut und berichtet, er sei von M. „unter Druck gesetzt worden“. M. soll neben ihm gesessen und die Chatverläufe genau mitverfolgt haben. Zudem soll M. den Stadtenergie-Buchhalter angewiesen haben, in der Frage nicht mit der Buchhaltung der Muttergesellschaft DEW zu kommunizieren.
Vergleichbare Aussagen sollen auch andere Beschäftigte bei der internen Aufarbeitung des Skandals gemacht haben, wies es bei der Verhandlung hieß. Der Anwalt des Ex-Prokuristen startete zwar einen Versuch, die „Zeugenaussagen“ als fraglich darzustellen. Allein, es blieb bei dem Versuch. Richter Phillipp Busch ging darauf nicht weiter ein. Er hatte bereits früh angemerkt, das Vertrauensverhältnis zwischen den Beteiligten sei wohl „erschüttert“. Man müsse sich schon fragen, wie es „bei diesen strafrechtlich relevanten Vorwürfen wohl weitergehen soll“, sagte Busch.
In seinem Urteil entschied das Gericht, das Arbeitsverhältnis zum 30.04.2024 aufzulösen. DEW muss dem ehemaligen Prokuristen eine Abfindung von 19.000 Euro zahlen sowie ein nachträgliches Gehalt von 20.000 Euro (plus Verzugszinsen). Ursprünglich hatte M. 900.000 Euro Abfindung gefordert.
Folgt ein Strafverfahren?
Auf M. könnte ein Strafverfahren wegen Betrugs warten: Die Staatsanwaltschaft ermittelt seit Monaten, hat Wohnung und Auto von M. durchsuchen lassen. Der Abschlussbericht von DEW bzw. der von DEW beauftragten Prüfer liegt der Staatsanwaltschaft vor, wie es hieß. Bislang seien aber noch nicht alle Zeugen vernommen worden.
Richtigstellung: In unserer Berichterstattung „Betrügerische Abzocke bei DEW-Tochter stadtenergie: Wurden Mitarbeiter unter Druck gesetzt?“ haben wir zunächst berichtet, dass im Streit um die rechtmäßige Kündigung des ehemaligen DEW21 Prokuristen M. das Gericht die Kündigung in seinem Urteil anerkannt habe („Das Gericht erkannte die Kündigung, die DEW im Februar 2024 für Ende April ausgesprochen hatte, in seinem Urteil an.“)
An dieser Darstellung halten wir nicht fest. Vielmehr hat das Gericht festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers durch die schriftliche Kündigung der Beklagten vom 29.02.2024, dem Kläger am gleichen Tag zugegangen, nicht aufgelöst worden ist.
Wir haben die entsprechende Passage am 30. Januar 2025, 15.36 Uhr, im Text angepasst.