
© Marcel Drawe
Der türkische Schimanski: Was Integration ist und wo sie aufhört
Lesetipp
Kaum jemand kann über Integration so viel erzählen wie der „türkische Schimanski“. Aber gibt es noch etwas zu berichten, wenn das Wort nach mehreren Generationen von Integrierten bedeutungslos wird?
Levent Aktoprak weiß viel zu erzählen über das Thema Integration. Ein Thema, das jetzt, 60 Jahre nach Abschluss des Anwerbeabkommen zwischen Deutschland und der Türkei, auch unter diesem Blickwinkel in den Mittelpunkt rückt – und nicht nur durch die aktuell wieder zunehmenden Flüchtlingsbewegungen.
Der 62-jährige Journalist und Hörfunkmoderator aus Dortmund, der Kamener Wurzeln hat und im ZDF vier Jahre lang das bekannte Format „Nachbarn in Europa“ moderierte, weiß auch, wie widersprüchlich das Thema sein kann. Aktoprak, der jahrelang den Dortmunder Fanclub „BVB international“ anführte, wurde einmal als der „türkische Schimanski aus dem Ruhrpott“ bezeichnet. All die Widersprüche und Facetten von Integration, bei der auch Fußball ein Rolle spielt, sind wiederzufinden in Aktopraks neuen Buch: „Unterm Arm die Odyssee/Das Meer immer noch im Kopf“. Das Schriftwerk ist jetzt neu erschienen im Berliner Dağyeli Verlag.

Levent Aktoprak (hinten rechts), hier mit BVB-Legende Aki Schmidt, der 2016 verstorben ist und weiteren BVB-Fans. Aktoprak organisiert mit seinem Fanclub „BVB international“ zahlreiche Aktionen rund um den Fußball. © Stefan Milk
Vom lästigen Arbeiterkind zur steilen Karriere
Wenn jetzt gerade neue Generationen von Migranten in Deutschland aufgenommen werden, bietet das für die Zukunft neues Potenzial: „Die Integration hat gegriffen“, sagt Aktoprak mit Blick zurück auf seine Kindheit und weitere Generationen, die folgten. So sehr, dass es für Hunderttausende mit sogenanntem Migrationshintergrund gar kein Thema mehr sei, über das man reden müsste, so Aktoprak, „weil sie gar nicht mehr als Ausländer wahrgenommen werden“. Früher, ja, seien sie lästige Arbeiterkinder gewesen, die in Hauptschulen und Sonderschulen gepackt wurden. Er sei Türke, Vorzeigetürke und Deutschtürke gewesen. Stempelzeichen, die verblasst sind. „Viele haben es geschafft, auch den Weg nach oben, und prägen nun Fachbereiche in Medizin und anderlei Wissenschaft. Aber es ging für sie nicht gerade, sondern im Zickzack nach oben.“

Levent Aktoprak auf dem Alten Markt in Kamen. Der Journalist und Hörfunkmoderator stellte unserer Redaktion dort sein neues Buch vor. © Marcel Drawe
Autor will nicht in eine Schublade gesteckt werden
Für Aktoprak verlief es ähnlich. 1959 in der türkischen Hauptstadt Ankara geboren, kam er im Alter von fünf Jahren nach Deutschland. Er profilierte sich als Journalist in überregionalen Medien mit eben jenen Thema, die sich zwischen zwei Kulturen bewegen, wie „Bittere Heimat Deutschland oder der Weg zwischen den Kulturen“ oder „Zwischen Bosporus und Ruhrgebiet. Türkische Kicker im Revier“.
Irgendwann fühlte er sich zu sehr darauf festgenagelt. „Für mich hieß es Stopp, ich wollte nicht immer in die gleiche Schublade gesteckt werden“, sagt er mit Blick auf den Wechsel vom Funkhaus Europa (heute Cosmo) zum Deutschlandfunk, wo er nun seit 20 Jahren arbeitet. „Ja, man kann sich von seinen Wurzeln nicht lossagen, aber man muss selbstbewusst damit umgehen.“ In Deutschland lebende Türken, die sich herzhaft an Schweinesülze mit Bratkartoffeln erfreuen? Who cares?
Nicht zwischen den Kulturen, sondern mit den Kulturen
Aktoprak wirbt für ein anderes Verständnis von Integration. Dieses drehe sich nicht um das vielzitierte Leben zwischen den Kulturen. „Es ist das Leben mit den Kulturen. Man ist nicht weniger Wert, wenn man besser Deutsch als Türkisch spricht. Man verliert ebenso nicht seine Identität, wenn man nur ein bisschen auf Galatasaray guckt, aber Fan von Dortmund, Schalke oder Bochum ist.“ Und man gebe auch nicht seinen Glauben auf, wenn man nicht ständig in die Moschee gehe.
Aktoprak, aufgewachsen in Hamm zwischen Kohlenfeldern und Gartenlauben, leitet mit diesen Gedanken in sein Buch ein, in dem zahlreiche lyrische Werke folgen; Werke, die aus zwei zuvor veröffentlichen Büchern stammen und nun zusammen Bindung gefunden haben: „Unterm Arm die Odyssee“ und „Das Meer immer noch im Kopf“.
Jahrgang 1968, aufgewachsen in mehreren Heimaten in der Spannbreite zwischen Nettelkamp (290 Einwohner) und Berlin (3,5 Mio. Einwohner). Mit 15 Jahren erste Texte für den Lokalsport, noch vor dem Führerschein-Alter ab 1985 als freier Mitarbeiter radelnd unterwegs für Holzwickede, Fröndenberg und Unna. Ab 1990 Volontariat, dann Redakteur der Mantelredaktion und nebenbei Studium der Journalistik in Dortmund. Seit 2001 in Kamen. Immer im Such- und Erzählmodus für spannende Geschichten.
