
© Verena Hasken
Der Dortmund-Tatort ginge auch ohne Klischee
Kolumne Klare Kante
Der Oberbürgermeister schreibt wütend an den WDR-Intendanten: Der Dortmund-Tatort ist Mobbing gegen unsere Stadt! Unsere Autorin meint: Wir hätten es wissen müssen.
Der Tatort ist eine Summe von Klischees. Dabei könnten Mord und Totschlag auch im modernen Dortmund spielen.
Unsere aufgeregte Freude damals und der Stolz, endlich in den Reigen der Tatort-Städte aufgenommen zu werden, war schon reichlich naiv. Wir hätten es doch aus Duisburg wissen müssen. Aber da hat natürlich der spektakuläre, alle Grenzen sprengende Schimmi (Ruhe in Frieden!) das Schmuddel-Image geadelt und zum Kult erhoben.
Oh Mann, wer wollte nicht wie Schimmi sein! Wer trug nicht alles diesen ollen verknautschten Parka! Seitdem wissen wir Tatort-Zuschauer, dass Duisburg abgrundtief hässlich ist, auch wenn man dort sehr malerisch auf dem Hausboot leben kann.
Warum hat mich nie etwas nach Duisburg gezogen?
Vermutlich stimmt beides nicht. Auch Duisburg wird nicht wirklich und erst recht nicht überall so aussehen wie in den Schimanski-Krimis. Aber ich weiß es nicht. Es hat mich nie etwas nach Duisburg gezogen. Eher im Gegenteil. Menschen sind Augentiere. Augen liefern dem Gehirn die meisten Daten. Wir glauben, was wir sehen. Oder was wir gezeigt bekommen. Bilder prägen das Bewusstsein und die Meinung und das Image.
Darum hat Ullrich Sierau recht mit seinem Ärger. Der Oberbürgermeister hat mit seinem Brief an WDR-Intendant Tom Buhrow den vielen Dortmundern aus der Seele gesprochen, die stolz sind auf das, was ihre Stadt, die wenig Ähnlichkeit mit diesen Tatort-Bildern hat, nun mal nachweislich geschafft hat. Und damit hat er nichts Falsches getan. Der Tatort in Dortmund ist an Klischees wirklich nicht zu überbieten.
Auch in anderen Tatort-Städten spielen die Drehbuch-Autoren mit Klischees
Aber er wird anderswo auch nicht so sehr viel unterboten. Auch Münster besteht nicht nur aus den wunderschönen (übrigens nach dem Krieg wiederaufgebauten) Giebelhäusern am Prinzipalmarkt, traditionsreichen Herrenhäusern, Pferdekoppeln und einer aufgeräumten, blitzblanken Pathologie. Ist aber ein schöneres Klischee. Als Münsteraner kann man damit sehr gut leben (x-mal war ich schon in Münster, nie in Duisburg. Zufall?).
Für den Dortmund-Tatort gilt leider: Auch wenn die Kohle-Ära nun endgültig Geschichte ist, drehen sich in den Köpfen der Bildermacher offenbar immer noch die Förderräder, rauchen die Schlote, wird in Zechenkneipen Korn getrunken und fliegt der Kohlenstaub durch die Luft. In Wohnzimmern halten Stützpfeiler die Bergschäden mühsam in Schach. Diese einzigartige Szenerie kann man doch nicht einfach zu den Akten legen, nur weil sie nicht mehr stimmt! Sind einfach zu starke Bilder.
Zum Thema Ende der Zechen-Ära im Ruhrgebiet passte der Dortmund-Tatort jetzt zeitlich einfach zu perfekt. Wie dumm, dass die letzte Zeche in Dortmund schon vor mehreren Jahrzehnten geschlossen wurde. Aber Marl ist doch ganz in der Nähe, da war die vorletzte Zechenschließung im Ruhrgebiet. Nehmen wir doch einfach eine Leiche aus Marl, die in Dortmund herumliegt. In Marl gibt es noch die Nähe zum Thema. Dazu die (echten) Denkmäler der Industriekultur in Dortmund und wenn noch etwas Szenerie fehlt, drehen wir halt in Duisburg. Passt. Und jetzt kleben wir noch das Schild drauf: Dortmund-Tatort. Fertig ist der Ruhrgebiets-Krimi.
Düstere Bilder in Endlosschleife sind offenbar das Schicksal des Dortmund-Tatorts
Das Schicksal des Dortmunder Tatortes ist es leider offenbar, die alten starken düsteren Bilder der niedergegangenen Industriezeit, vermengt mit den neuen sozialen Problemen der Jetzt-Zeit in Endlosschleife zu wiederholen, weil sie sich an keinem anderen Tatort festmachen lassen. Das war wohl der Grund, warum Dortmund Tatortstadt werden durfte.
Doch ist es wirklich zu naiv, wenn man erwartet, dass in einem Dortmund-Krimi auch Dortmund zu sehen ist? Kann Herr Faber mit seinem Baseball-Schläger (hat er den noch?) nicht auch mal durch den Westfalenpark laufen und im Rosarium die Rosen köpfen? Oder mitten in eine Ballettszene von Schwanensee platzen, weil es Morddrohungen gegen die Primaballerina gibt? Ballettchef Xin Peng Wang würde bestimmt eine kleine Nebenrolle übernehmen.
Es gäbe genügend Möglichkeiten Mord und Totschlag im modernen Ruhrgebiet von heute stattfinden zu lassen
Ich habe noch mehr Vorschläge, allein schon, weil es nirgendwo in Deutschland eine so dichte Kulturszene wie im Ruhrgebiet gibt, gerade auch in Dortmund: Tödliche Intrigen wegen gekürzter Subventionen! Leiche im Kulturbüro! Mordlüsterne Intendanten, weil schon wieder ein Konzerthaus in der Nachbarschaft gebaut wird!
Schön wär das alles. Es würde wahrscheinlich sogar stimmen. Na jedenfalls fast.
Also, lieber WDR-Intendant Buhrow: Auch mir ist klar, dass es keinen Tatort ohne Verbrechen gibt und Verbrechen per se nichts Positives sind.
Aber es gäbe für Sie, Ihre Regisseure und Ihre Drehbuchautoren genügend Möglichkeiten, sich von der Last der Klischees zu befreien und Mord und Totschlag im modernen Ruhrgebiet von heute stattfinden zu lassen.