Dortmunds „Goldenes Wunder“ wird 500: „Ein echtes Luxusgut“

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Dortmunds „Goldenes Wunder“ wird 500: „Ein echtes Luxusgut“

rnAltar in der Petrikirche

Ein Besuchermagnet feiert Geburtstag: Die Geschichte von Dortmunds „Goldenem Wunder“ begann vor rund 500 Jahren - und beschäftigt die Menschen bis heute.

Dortmund

, 21.12.2021, 05:00 Uhr / Lesedauer: 4 min

Eigentlich ging es bei der Dortmund-Tour für die Reisegruppe aus Sachsen um Strukturwandel im Ruhrgebiet. Doch die offene Kirchentür an St. Petri lockte die Besucher für eine Stippvisite in das Gotteshaus. Der Aufenthalt dauerte etwas länger. Denn mit einer Mischung aus Staunen und Bewunderung versammelte sich die Gruppe vor dem Altar im Chorraum der Petrikirche.

Eine Reaktion, die die ehrenamtlichen Helfer, die Besucher in der Kirche betreuen, oft erleben. „Die Leute sind immer wieder geflasht“, stellt Christel Schürmann, Stadtkirchenpfarrerin in St. Petri fest. „Viele sind sichtlich überrascht von unserem ‚Goldenen Wunder‘“.

Die Petrikirche beherbergt seit 1809 das „Goldene Wunder“.

Die Petrikirche beherbergt seit 1809 das „Goldene Wunder“. © Stephan Schütze

Das wiederum ist eigentlich kein Wunder. „Denn der Petri-Altar ist ein Werk von Weltrang“, erklärt Prof. Barbara Welzel. Die Kunsthistorikerin der TU Dortmund hat sich in Forschungen und Veröffentlichungen immer wieder mit dem besonderen Altar und seiner Geschichte befasst, die aus Dortmunder Sicht vor ziemlich genau 500 Jahren begann. Denn im Februar 1521 wurde der Liefervertrag für das monumentale Werk unterzeichnet - für das Dortmunder Franziskaner-Kloster.

Das lag im mittelalterlichen Dortmund ungefähr dort, wo heute das Reinoldinum steht. Die Klosterstraße und der Brüderweg erinnern noch an das frühere Kloster, das für den Hochaltar seiner Kirche 1525 ein ganz besonderes Kunstwerk bekommen sollte.

Vertragsabschluss in Antwerpen

Rutger Schipmann war als „Guardian“, also als Vorsteher des Klosters, dazu in die Handels- und Kunstmetropole Antwerpen gereist. Der Vertrag, den er hier mit dem Bildschnitzer Jan Gilliszoon Wrage im Februar 1521 schloss, ist noch heute überliefert - inklusive des Preises.

Vereinbart wurde eine Zahlung von 646 Goldgulden. Eine gewaltige Summe. Von einem „echten Luxusgut“ spricht Barbara Welzel. Und sie nennt einen anschaulichen Vergleich: Eine Kogge, der damals in der Hanse verbreitete Schiffstyp, kostete zu der Zeit etwa 35 Goldgulden.

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Nicht zuletzt der hohe Preis verleitet den Dortmunder Altarforscher Dr. Wolfgang Rinke zu der These, dass das Altarwerk ursprünglich nicht im Auftrag des Franziskanerklosters, sondern für einen anderen, vermögenden Auftraggeber gefertigt wurde.

Er vermutet als Auftraggeberin die 1504 gestorbene Königin Isabella von Kastilien, die mit ihrem Gemahl, König Ferdinand II. auf zwei Bildern des Altars dargestellt sei. Der spätere Kaiser Karl V. als Nachfahre habe das für die Kathedrale von Granada bestimmte Werk jedoch abgelehnt. Schließlich seien in Antwerpen tätige Kaufleute aus Dortmund auf das Werk aufmerksam gemacht worden und hätten den Kauf für das Franziskanerkloster vermittelt.

Finanziert von Kaufleuten

Barbara Welzel hält die These nicht für schlüssig, spricht von „missinterpretierten Details“. Es sei durchaus möglich, dass man sich bei der Auswahl des Altars aus dem Repertoire der damals sehr produktiven Antwerpener Werkstätten bedient habe, das dann für die Franziskaner vollendet worden sei. „Es passt gut zur franziskanischen Frömmigkeit“, stellt die Kunsthistorikerin fest.

Finanziert wurde der Altar von wohlhabenden Dortmunder Patriziern. Für sie waren Stiftungen von Altären durchaus üblich, um für das Seelenheil ihrer Familien Sorge zu tragen. Der Kauf des „Goldenen Wunders“ ist damit auch Zeugnis für den Reichtum, zu dem es die Dortmunder Kaufleute gebracht hatten. Denn das „Goldene Wunder“ gehörte wohl zu den teuersten Altarwerken seiner Zeit, wie es im Stadtführer „Dortmund im Mittelalter“ heißt.

Bilder im Eingangsbereich der Petrikirche zeigen Besuchern die verschiedenen Formen des Altars, die zu unterschiedlichen Zeiten im Jahr zu sehen sind.

Bilder im Eingangsbereich der Petrikirche zeigen Besuchern die verschiedenen Formen des Altars, die zu unterschiedlichen Zeiten im Jahr zu sehen sind. © Stephan Schütze

An dem Werk waren mehrere Künstler und Handwerker von Malern bis zu Tischlern und Schreinern beteiligt. Denn es ist ein sogenannter Wandelaltar, der auf- und zugeklappt und in diesem Fall sogar dreifach gewandelt werden kann. Ausgeklappt sind auf 41 Quadratmetern Fläche 30 Gefache mit kunstvollen goldfarbenen Figuren zu sehen, denen der Altar die Bezeichnung „Goldenes Wunder“ verdankt. Es war damals die „Festtagsansicht“, die nur an hohen kirchlichen Feiertagen zu sehen war.

Altar mit drei Gesichtern

Dargestellt wird in detailreichen Bildern mit 633 bemalten und vergoldeten Eichenhholzfiguren die Passion und Kreuzigung Christi. Die einzelnen Darstellungen verbinden sich zu einer biblischen Erzählung - wie in einem dreidimensionalen Bilderbuch.

In der Regel von Oktober bis zur Karwoche ist die goldene Seite des Altars in St. Petri zu sehen.

In der Regel von Oktober bis zur Karwoche ist die goldene Seite des Altars in St. Petri zu sehen. © Stephan Schütze

Wenn man die Flügel einmal zusammenklappt, sind 36 Gemälde zu sehen, die das Leben Jesu und seiner Familie vor allem mit den mütterlichen Vorfahren darstellen. Diese Seite, entstanden in der Werkstatt des Antwerpener Malers Adrian van Overbeck, war ursprünglich an Sonntagen zu sehen.

Die innere Bildseite des Altars ist in den Sommermonaten zu sehen.

Die innere Bildseite des Altars ist in den Sommermonaten zu sehen. © Stephan Schütze

Der geschlossene Altar zeigt auf zwölf Tafeln unter zwei schwebenden Engeln in der Spitze eine Anbetung der Eucharistie durch weltliche und geistliche Stände - gewissermaßen die „Alltagsseite“.

Nur in der Karwoche ist die Außenseite des Altars mit geschlossenen Flügeln zu sehen.

Nur in der Karwoche ist die Außenseite des Altars mit geschlossenen Flügeln zu sehen. © Stephan Schütze

Heute orientiert man sich an verschiedenen Zeiten des Kirchenjahres. Die „Alltagsansicht“ mit dem geschlossenen Altar ist in St. Petri in der Karwoche, also der Woche vor Ostern zu sehen. Die Gemäldetafel als ehemalige Sonntagsansicht ist vom Sonntag nach Pfingsten bis Anfang Oktober, die goldene Ansicht mit vollständig ausgeklappten Flügeln vom 1. Sonntag im Oktober bis zur Karwoche und von Ostern bis Pfingsten zu sehen. Dann hat der 5,60 Meter hohe Altar eine Breite von 7,40 Meter.

Mit Faltbögen, die in der Petrikirche zu kaufen sind, kann man die Wandlung des Altars nachvollziehen.

Mit Faltbögen, die in der Petrikirche zu kaufen sind, kann man die Wandlung des Altars nachvollziehen. © Stephan Schütze

Dass der Altar heute überhaupt in der Petrikirche zu sehen ist, ist einem, nein, eigentlich zwei glücklichen Umständen zu verdanken. Der erste: Nach der Auflösung des Franziskanerklosters im Jahr 1809 gelang es, das „Goldene Wunder“ für die evangelische Petrikirche zu kaufen und damit für Dortmund zu erhalten.

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Der zweite glückliche Umstand ist die Rettung des „Goldenen Wunders“ vor den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs. Unmittelbar vor dem ersten großen Bombenangriff auf die Dortmunder Innenstadt im Frühjahr 1943 hatte das Presbyterium der Gemeinde die Auslagerung des fünf Tonnen schweren Altarretabels in die Wege geleitet. Es wurde mit anderen Kunstschätzen aus Dortmunder Kirchen in der Domäne Möllenbeck bei Rinteln an der Weser in Sicherheit gebracht.

Das Bild zeigt die durch Bombenangriffe schwer zerstörte Petrikirche zum Ende des Zweiten Weltkriegs 1945.

Das Bild zeigt die durch Bombenangriffe schwer zerstörte Petrikirche zum Ende des Zweiten Weltkriegs 1945. © RN-Archiv

Tatsächlich wurde die Petrikirche im Bombenhagel des Luftangriffs vom 23. Mai 1943 schwer zerstört. Erst 1954 kehrte der Altar nach Dortmund und 1967 in die Petrikirche zurück, deren Wiederaufbau bis in 1980er Jahre dauerte.

Glaswand als Schutz

Die letzte Rettungstat war, das „Goldene Wunder“ vor Schäden durch Temperaturschwankungen zu bewahren. Seit 2008 ist der Altar deshalb hinter einer Glaswand zu sehen, die für stabile klimatische Verhältnisse sorgt. Immerhin 80 Prozent der originalen Fassung des Altarwerks seien noch erhalten, schätzt Prof. Barbara Welzel. „Damit ist er einer der größten und besterhaltenen Antwerpener Altäre weltweit.“

Der Bewunderung für das Werk durch Besucherinnen und Besucher der Petrikirche tut der Blick durch die Glaswand auch keinen Abbruch. Und das „Goldene Wunder“ inspiriert noch heute. Das zeigt die aktuelle Ausstellung auf der Hochschuletage im Dortmunder U mit Zeichnungen von Julius Reinders, der am Seminar für Kunst und Kunstwissenschaft und an der Kunstakademie Düsseldorf studiert.

Skulpturen und Zeichnungen von Julius Reinders, inspieriert von den Bildern des "Goldenen Wunders" sind in einer Ausstellung auf der Hochschuletage im "Dortmunder U" zu sehen.

Skulpturen und Zeichnungen von Julius Reinders, inspieriert von den Bildern des "Goldenen Wunders" sind in einer Ausstellung auf der Hochschuletage im "Dortmunder U" zu sehen. © Oliver Volmerich

Der 28-Jährige hat sich ausgiebig mit dem „Goldenen Wunder“ beschäftigt und jedes der 30 Fächer der Goldseite in moderne grafische Ansichten verwandelt, die neue Akzente bei der Rezeption der historischen Bilder setzen. Der Besuch der Ausstellung lässt sich gut mit einem Spaziergang vom Dortmunder U zum „Goldenen Wunder“ in der Petrikirche verbinden - es ist eine Zeitreise durch 500 Jahre.

Die Ausstellung „500 Jahre Goldenes Wunder“ ist nach einer Weihnachtspause ab dem 24.12. noch vom 4. bis 23. Januar 2022 von 11 bis 18 Uhr bei freiem Eintritt auf der Hochschuletage im Dortmunder U zu sehen.

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