
© Michael Schuh
Schausteller warnen: „Dann gibt es Kirmes so vielleicht nicht mehr“
Coronavirus
Die Absage aller Großveranstaltungen trifft die Schausteller-Familie Loritz hart: Ihr Einkommen ist gleich Null. Wenn nicht bald die Saison beginnt, könnte das die gesamte Branche verändern.
Die bisher einzigen Einnahmen in diesem Jahr stammen aus ein paar Februartagen, die wegen des durchwachsenen Wetters aber überschaubar ausfielen. Das war‘s mit dem Verdienst. Und bis mindestens September wird kein neues Geld mehr in die Haushaltskasse fließen – für eine sechsköpfige Familie ist das der Supergau.
Seit Generationen unterwegs
Julia Loritz (39) gehört in der sechsten Generation einer Schausteller-Dynastie an, die Familie ihres Mannes Patrick reist sogar noch länger von Ort zu Ort, um die Menschen zu unterhalten.
Schon die Urahnen von Patrick Loritz seien mit Pferd, Kutsche und einem Komödiantenwagen unterwegs gewesen und haben sich als Musiker, Schau- und Puppenspieler verdingt, erzählt der 43-Jährige.
Ob er und seine Familie eine Situation wie die jetzige, in der es unmöglich ist, auch nur einen Cent zu verdienen, schon mal erlebt haben?
„Nein“, sagt Loritz und schüttelt den Kopf, das habe es in der Familiengeschichte wohl noch nie gegeben.
Familie Loritz verdient ihr Geld mit zwei großen Bratwurstständen auf diversen Kirmessen und Volksfesten, zudem betreibt das Ehepaar einen Kiosk mit Imbiss im Westfalenpark. Die erste und einzige Veranstaltung, auf der 2020 ein Stand aufgebaut werden durfte, war der Karneval in Bottrop. Ansonsten galt bislang sowohl für die Imbisse als auch für den Kiosk: zwangsweise geschlossen.
Auf den letzten Drücker zurück
Im Anschluss an Bottrop ging‘s - da während dieser Zeit ohnehin keine Events stattfinden durften - in den Urlaub nach Ägypten. Mit dabei waren natürlich auch die vier Söhne Eddy (5), Paul (7), Gino (10) und Patrick Junior (12).
Denn Schausteller können, wie andere Saisonarbeiter auch, für den Nachwuchs auch außerhalb der offiziellen Ferien Urlaub beantragen. Allerdings müssen die Kinder während dieser Zeit Unterrichtsstoff nachholen und Hausaufgaben machen, worauf Mutter Julia Loritz penibel achte.
Schon im Urlaub habe sich eine gewisse Unsicherheit breitgemacht, sagt Patrick Loritz und erinnert sich zurück: „Wir haben wirklich darum gebangt, überhaupt noch nach Hause zu kommen. Auf den letzten Drücker hat es dann geklappt.“
Schock in Dortmund
Wieder in Dortmund angekommen, folgte der nächste Schock, der es in sich hatte. Zunächst wurde ein Volksfest nach dem anderen abgesagt, dann kam der komplette berufliche Shutdown: das Großveranstaltungs-Verbot bis zum 31. August.
Keine Dortmunder Osterkirmes, keine Maikirmes in Werne, keine Sterkrader Fronleichnamskirmes - nichts. Und somit auch kein Geld.

Ein Bild aus besseren Zeiten: Julia Loritz mit einem Foto des aufgebauten Grillstandes. © Michael Schuh
Für das Ehepaar Loritz, das im Jahr 2011 vom Wohnwagen in ein festes Heim nahe Dorstfeld zog, ist das eine Katastrophe. „Mittlerweile gehen unsere Ersparnisse dem Ende entgegen“, sagt der 43-Jährige. „Wir sparen ein, wo es nur geht. Weil wir jetzt auch Angst vor der Zukunft haben.“
Lebensversicherung kündigen?
Eines der beiden Autos, das die Familie sonst dringend braucht, hat Loritz bereits abgemeldet. „Und wenn es ganz böse kommt, werde ich auch eine unserer beiden Lebensversicherungen kündigen und den Rückkaufswert in Anspruch nehmen müssen.“
Ein gewaltiger Einschnitt, da die Schausteller keine Rente bekommen und Lebensversicherungen eigentlich ihr Auskommen im Alter sichern sollten.
Zwar habe er auch die Soforthilfe des Staates in Anspruch genommen, sagt Loritz, doch davon würden nur die laufenden Kosten beglichen. Zum Beispiel die Kosten für den Umbau von einem der beiden bunt beleuchteten Imbissstände, den Patrick Loritz schon weit vor der Krise in Auftrag gab: „Hätte ich das alles kommen sehen, hätte ich drauf verzichtet.“
Banger Blick in die Zukunft
Zumal die Eheleute gar nicht wissen, wie es nach dem 31. August weitergeht. Einige spätere Veranstaltungen wie das Münchener Oktoberfest seien ja schon jetzt abgesagt, erläutert Patrick Loritz: „Was ist, wenn Großveranstaltungen erst wieder erlaubt sind, sobald ein Impfstoff gefunden ist? Und was, wenn das in den nächsten Jahren nicht gelingt?“
Doch die Hoffnung stirbt zuletzt; der Schausteller wünscht sich inständig, dass die Saison für ihn ab Herbst endlich beginnt - am besten mit der Mengeder Kirmes Anfang September.
Denn sollten auch das Herbstgeschäft und die Weihnachtsmärkte ausfallen, sieht der 43-Jährige schwarz: „Dann würde es für die Schausteller selbst mit dem geplanten Rettungsschirm sehr, sehr schwer.“
Sagt‘s und erzählt von einem Bekannten, der sich just für die Saison 2020 ein neues Fahrgeschäft zugelegt hat: „Dafür zahlt er nun den Kredit ab und hat noch keinen Cent damit verdient. Wenn uns nicht geholfen wird, dann gibt es die Kirmes, wie wir sie kennen, demnächst vielleicht nicht mehr.“
Die Familie hält zusammen
Trotz all der Sorgen, die das Ehepaar plagen, kann es der Coronakrise sogar ein wenig Positives abgewinnen. „Wir erleben gerade, dass wir eine intakte Familie sind“, sagt Patrick Loritz. „Das ist ein schönes Gefühl.“
Und für die vier Jungs ist trotz der schweren Zeiten ohnehin klar, was sie einmal werden möchten. „Schausteller mit Schwenkgrill“, erklärt Patrick Junior, der sich den Rummel sehnlichst wieder herbeiwünscht: „Ich vermisse meine Freunde und Cousins, die ich sonst immer auf der Kirmes treffe.“