
© Oliver Schaper (Archiv)
Corona sorgt für weniger Bombenentschärfungen – das hat Folgen für die Zukunft
Blindgänger-Bilanz 2020
Bombenentschärfungen und Evakuierungen haben auch 2020 wieder für viel Aufregung in Dortmund gesorgt. Es hat weniger Entschärfungen als üblich gegeben – doch das liegt nicht an weniger Funden.
Im Zweiten Weltkrieg gehörte Dortmund zu den am stärksten bombardierten Städten in Deutschland. Die Folgen sind noch heute spürbar - in Form von nicht explodierten Bomben, sogenannten Blindgängern, die im Dortmunder Boden schlummern.
Wie viele es insgesamt sind, lässt sich schwer ermessen. Die Blindgänger tauchen immer dann auf, wenn gebaut wird oder im Vorfeld von Bauarbeiten das Baufeld mit Hilfe von alten Luftbildern untersucht und sondiert wird. Bestätigt sich der Verdacht, muss der Blindgänger von Experten des Kampfmittelbeseitigungsdienstes der Bezirksregierung Arnsberg freigelegt und entschärft werden.
Corona-Quarantäne als Problem
Zwei bis drei Dutzend Entschärfungen gibt es in der Regel pro Jahr in Dortmund. 25 waren es 2018, 31 im Jahr 2019. 2020 fiel die Zahl mit 19 Entschärfungen deutlich geringer aus.
Der Grund hat mit der Corona-Pandemie zu tun. Tausende Menschen zu evakuieren, von denen einige möglicherweise unter Quarantäne stehen, ist für die Stadt sehr kompliziert geworden.
Bei der Evakuierung sind die Abstandsregeln und Hygienevorschriften zu beachten - auch für die eingesetzten Mitarbeiter, erklärt Stadtsprecher Maximilian Löchter. So soll vermieden werden, dass sich Mitarbeiter aus unterschiedlichen Abteilungen, Arbeitsgruppen und Schichten mischen.
Anwohner, die sich in Quarantäne befinden, müssen getrennt von den übrigen betroffenen Anwohner untergebracht werden. Das bedeute einen großen logistischen und personellen Aufwand, so Löchter.
Auf Entschärfungen vorerst verzichtet
Die Konsequenz: Wo immer es möglich war, hat man auf Entschärfungen verzichtet. Das ist immer dann möglich, wenn der Bombenblindgänger nicht bewegt wurde, sondern weiter unangetastet im Untergrund liegt.
„Während des ersten ‚Lockdowns‘ im Frühjahr fanden über einen Zeitraum von rund vier Wochen auf Dortmunder Stadtgebiet keine Überprüfungen von Blindgänger-Verdachtspunkten statt“, berichtet Löchter.
Erst ab Juni wurden wieder alte Weltkriegs-Bomben freigelegt und wenn nötig entschärft. Deshalb wurden in diesem Jahr tatsächlich weniger Blindgänger geborgen als in den Vorjahren, bilanziert Löchter.

Dreimal musste die B1 im Jahr 2020 wegen Bombenentschärfungen gesperrt werden. © Oliver Schaper (Archiv)
Das bestätigt auch der Blick ins Archiv. Von Februar bis Mai fanden überhaupt keine Entschärfungen in Dortmund statt. Die erste nach dem Lockdown gab es am 2. Juni am Rande der Emscher im eher ländlichen Niedernette. Hier waren denn auch nur 60 Anwohner betroffen.
Trotzdem mangelte es nicht an aufwendigen Evakuierungsaktionen. 14 Entschärfungsaktionen gab es insgesamt in diesem Jahr, weil bei einigen gleich mehrere Blindgänger entschärft wurden.
Die spektakulärste erlebte die Innenstadt am 12. Januar, als weite Teile des Klinikviertels und der City abgesperrt wurden und mehr als 14.000 Menschen ihre Wohnungen verlassen mussten. Außerdem mussten weite Teile des Klinikums Mitte an der Beurhausstraße, der Kinderklinik und des Johannes-Hospitals sowie zwei Pflegeheime geräumt werden.
Am Ende wurden bei der über Wochen vorbereiteten Aktion zwei Bombenblindgänger – einer an der Luisenstraße, ein anderer an der Beurhausstraße – entschärft.
Immerhin 2000 Anwohner wurden in Eving bei einer Bombenentschärfung am 9. Juli evakuiert, 1900 am 17. November in Aplerbeck, 1000 am 27. Oktober in Scharnhorst, 1200 am 23. Januar in der südlichen Innenstadt und am 24. August rund um den früheren Südbahnhof, 1800 am 12. November im Wohngebiet Hohenbuschei in Brackel. Hier musste auch das BVB-Trainingszentrum zeitweise geräumt werden.
Dreimal musste mit der B1 die wohl wichtigste Verkehrsader der Stadt zeitweise gesperrt werden - bei den Entschärfungen in Aplerbeck, auf dem Gelände der Bonifatius-Gemeinde und an der Florianstraße.
Untersuchungen liefen weiter
Dass es 2020 weniger Entschärfungen und Evakuierungsaktionen gab, heißt aber nicht, dass die Experten des Kampfmittelräumdienstes untätig waren.
Die Auswertung von Luftbildern und die Sondierungen gingen nahtlos weiter, berichtet Ubbo Mansholt als Chef des Kampfmittelbeseitigungsdienstes der Bezirksregierung. Es seien aber wegen der Corona-Pandemie erheblich weniger Verdachtspunkte freigelegt worden.

Vor einer möglichen Entschärfungsaktionen finden an Verdachtspunkten meist Sondierungsarbeiten statt - wie hier an der Hansastraße. © Oliver Volmerich (Archiv)
Und das hat Folgen für die kommende Jahre: Die schon ermittelten Blindgänger-Verdachtspunkte liegen gewissermaßen „auf Halde“. „Sie werden auf die Nach-Corona-Zeit verschoben“, erklärt der Experte. Dann dürfte es also deutlich mehr Entschärfungen geben.
Sondierungen am Wall geplant
Ein Schwerpunkt der Voruntersuchungen in diesem Jahr lag entlang der Trassen für den Breitband-Ausbau quer durch die Stadt. 40.000 Hektar Fläche wurden dabei untersucht, bilanziert Mansholt. Freigelegt und eventuell entschärft werden mögliche Blindgänger aber erst kurz bevor die Bagger anrücken.
Das wird auch am Ostwall und Schwanenwall der Fall sein, wo wegen eng gesetzter Fristen durch Fördermittel des Landes im Frühjahr 2021 die Arbeiten für den Bau des Radwalls beginnen müssen und auch DEW21 weiter am Fernwärme-Netz baut.
Oliver Volmerich, Jahrgang 1966, Ur-Dortmunder, Bergmannssohn, Diplom-Journalist, Buchautor und seit 1994 Redakteur in der Stadtredaktion Dortmund der Ruhr Nachrichten. Hier kümmert er sich vor allem um Kommunalpolitik, Stadtplanung, Stadtgeschichte und vieles andere, was die Stadt bewegt.
