Zweites Urteil, zweite Gefängnisstrafe – und trotzdem viele zufriedene Gesichter: Ein Arzt (67) aus Recklinghausen ist am Bochumer Landgericht zu zwei Jahren und drei Monaten Haft verurteilt worden. Unmittelbar nach dem Schuldspruch wurde der Mediziner nach 16 Monaten aus der U-Haft entlassen. Ihm wurde eine Meldeauflage (zweimal pro Woche) aufgegeben, außerdem muss er seine Pässe abgeben.
Der Arzt hatte zuletzt zugegeben, in seiner ehemaligen Praxis im Paulusviertel in Hunderten Fällen Patienten eine Corona-Schutzimpfung bescheinigt zu haben, ohne diese tatsächlich durchgeführt zu haben.
Die jetzt im zweiten Urteil zugrunde gelegten 184 Scheinimpfungen sind allesamt Fälle, bei denen die dazugehörigen Patienten eigene Geständnisse abgelegt hatten.
„Auch für Sie als Arzt gelten Gesetze und Sie haben sich darüber hinweggesetzt“, hieß es in der Urteilsbegründung. Dass der Mediziner einer Corona-Impfung kritisch gegenüber gestanden habe, habe ihn „allenfalls dazu berechtigt, Impfungen abzulehnen, nicht aber unrichtige Impfzeugnisse auszustellen“.
Bereits am 29. Juni hatte die 12. Strafkammer gegen den Mediziner, der vor seiner Festnahme im Mai 2022 in Dortmund-Oespel gelebt hat, für zusätzliche 207 Scheinimpfungen zwei Jahre und zehn Monate Haft verhängt. In zahlreichen dieser Fälle waren bei einer Durchsuchung der Arztpraxis unverbrauchte Vakzin-Chargen entdeckt worden. Die passenden Etiketten waren laut Urteil aber nachweislich bei Impfpässen eingeklebt gewesen.
Geständnis zurückgezogen
Demonstrationen, Sympathie-Shirts, Ablehnungsanträge: Das nun ergangene Urteil setzt vorerst einen Schlussstrich unter ein bemerkenswertes Verfahren.
Nur wenige Tage nach dem Prozessstart im Januar hatte der Arzt erst unter Tränen ein Geständnis abgelegt, dann eine Verständigung getroffen, später auf Anraten eines neu hinzugezogenen Anwalts alles radikal widerrufen.

Erst zuletzt am 29. August hatte der Arzt sein erstes Geständnis reaktiviert, nachdem das Gericht zuvor eine Verständigungslösung mit U-Haftentlassung signalisiert hatte. Zur Begründung hatte er auf hoffnungslos verzweifelte Patienten verwiesen, denen er sich menschlich und berufsethisch verpflichtet gesehen habe. Einer der Verteidiger sprach von Taten „aus Liebe zu den Mitmenschen“.
In seinem letzten Wort vor der Urteilsberatung bedankte sich der Angeklagte bei seinen Unterstützern und benannte neben Mandela und Gandhi als eines seiner großen Vorbilder „den mutigen Oskar Schindler, der so Viele vor dem Tod bewahrt hat“.
„Held und Messias“
Die Staatsanwaltschaft warf dem Arzt hingegen vor, zwar ein Geständnis abgelegt zu haben, Zeichen von Reue oder Verantwortungsbewusstsein aber ausgelassen zu haben. Man habe den Eindruck gewonnen, er genieße es förmlich, „von seiner Anhängerschaft als Held und Messias gefeiert zu werden“. An der Ausübung von Selbstjustiz könne aber nichts „Heldenhaftes“ erkannt werden, so die Anklägerin.
Vielmehr müsse sich der Arzt die Frage stellen, was ihm sein „Schlingerkurs“ genützt habe. Ohne die Konflikt-Strategie wäre er schon vor sechs Monaten aus der U-Haft entlassen worden, hob die Staatsanwältin hervor.
Und auch die aus den zwei jetzt verhängten Gefängnisstrafen zu bildende Gesamtstrafe werde sicher höher ausfallen, als die einst zugesagte Maximalstrafe.
Die zahlreichen Unterstützer und Sympathisanten nahmen die U-Haftentlassung Arztes sichtbar zufrieden auf.
Dass der Arzt im Mai 2022 überhaupt festgenommen worden war, lag an dem Haftbefehl, der auf Fluchtgefahr gestützt war. Die Staatsanwaltschaft hatte ein Absetzen auf die Insel Sansibar befürchtet.
Die Ehefrau (57) des Arztes aus Herten wurde wegen Beihilfe in 391 Fällen zu sechs Monaten Haft auf Bewährung plus 150 Sozialstunden verurteilt.
Die Urteile im Zuge dieses außergewöhnlichen Prozesses sollen vom Bundesgerichtshof überprüft werden.
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