Hier gehen Chagall und Picasso über die Theke Einblicke in Dortmunds exklusivste Galerie

Dieser Galerist handelt Chagall, Kandinsky und Picasso
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Lukas Minssen steckt in einem Dilemma: Jedes Mal, wenn der Galerist aus Dortmund ein Bild verkauft, bereut ein kleiner Teil in ihm. „Die Vorstellung, dass ein Kunstwerk wieder geht, ist bedrückend. Einerseits freue ich mich natürlich, das Geschäft gemacht zu haben. Andererseits frage ich mich als Händler, wo ich ein solches Bild noch einmal herkriege“, erklärt er. „Eigentlich müsste ich sogar sagen, dass ich nicht verkaufe, weil ich die Arbeit so nie wieder finden würde.“

Trotzdem tut er es. Lukas Minssen ist Geschäftsführer der Galerie Utermann. In fünfter Generation leitet er das Unternehmen seiner Familie, das 1853 in Dortmund gegründet wurde und seit mittlerweile 26 Jahren im Hansakontor in der Silberstraße ansässig ist.

Die Galerie Utermann ist, wenn man es genau nimmt, das wohl exklusivste Geschäft in der Stadt. Hier wird Kunst gehandelt. Ausstellungen gibt es auch, kostenfrei zugänglich. Erst im Frühsommer 2024 hingen hier in der ersten Etage 22 Werke Marc Chagalls. Für 2025 planen Minssen und sein vierköpfiges Team eine große Impressionismus-Ausstellung mit Posten wie Monet und Degas. „Wir konzipieren heute bewusst weniger Ausstellungen und wenn, dann versuchen wir, das im Spitzensegment zu machen.“

Die Bilder und Skulpturen, die aktuell bei Utermann zu sehen sind, hängen und stehen mit Abstand zueinander an den weiß, rot und blau gestrichenen Wänden. Prächtige Farbenmeere, schlichte Zeichnungen in Schwarzweiß, metallene, teils fragile Konstruktionen. In dem schwarzen, auf Hochglanz polierten Steinboden spiegeln sie sich. Jede einzelne Arbeit soll wirken in dem ausladenden Flur und dem lichtdurchfluteten Ausstellungsraum, der groß ist wie ein Tanzsaal.

Die fast deckenhohen Fenster geben den Blick frei auf Hansaplatz und Hansastraße. Von außen ist der Ausstellungsraum nicht einsehbar. Jene, die von unten hinaufblicken, das Karstadt-Haus im Rücken, dürften nichts von den Schätzen ahnen, die hier im ehemaligen Verwaltungsgebäude der Ruhrkohle AG verborgen liegen.

Nolde, Picasso, Kandinsky sind nur drei der mehreren Dutzend Namen auf der Bestandsliste der Galerie. Gut 400 Kunstwerke lagern in ihren Räumen. „Zum Teil haben wir in unserem Bestand ganz kleine Grafiken. Das ist nicht alles Max Beckmann.“

Einige Bilder stehen in Minssens Büro, aneinandergereiht im Regal, zum Teil meterhoch eingeschlagen in Pappe. Damit die Kunst keinen Schaden nimmt, müsse die Raumtemperatur bei etwa 20 Grad Celsius liegen, erklärt der Kunsthändler, dessen elegante Erscheinung sich harmonisch in das Bild der Galerie fügt – dunkle Stoffhose und Hemd, die dunkelbraunen Haare zur Seite gekämmt. Auch der Dortmunder will, so scheint es, mit seiner Person nicht von der Kunst ablenken.

Lukas Minssen lehnt in der Galerie Utermann hinter dem Gemälde "Blühender Garten" von Max Beckmann an der Wand.
Das Bild, hinter dem Lukas Minssen an der Wand lehnt, stammt von Max Beckmann. „Blühender Garten“ heißt es. Mehr als 30 Jahre habe es sich in Dortmund in einer Privatsammlung befunden und sei dann über die Niederlande sowie die Schweiz in die USA gelangt. Von dort, erzählt Minssen, habe die Galerie Utermann es zurückerworben. © Schütze

Vor Kurzem habe er eine Arbeit von Christian Rohlfs verkauft, ein Maler, der 1938 starb und als Wegbereiter der Moderne gilt. „Das Bild befand sich länger im Bestand, als ich alt bin. Daran zeigt sich der Langzeitcharakter einer ernstzunehmenden Kunsthandlung. Manche Bilder suchen einfach ihre Leute. Bei keiner Arbeit, die ich kaufe, kann ich davon ausgehen, dass ich sie zwei Jahre später wieder verkauft habe. So funktioniert Kunsthandel nicht.“

Wie dann? Bevor der Geschäftsführer ins Detail geht, hält er fest: „Handel passiert auch durch Ausstellung. Wir machen aber keine Ausstellung in der Hoffnung, dass jemand vorbeikommt und etwas kaufen könnte.“ Das gebe es nur selten. „Einmal hing eine Arbeit von Andy Warhol bei uns im Eingang. Ein Mann kam herein auf dem Rückweg vom Zahnarzt und fragte nach dem Bild, ob es ein Warhol sei. Er ließ sich alle Dokumente mitgeben. Drei Tage später rief er an und sagte, er würde das Bild gern kaufen.“

Die Grundlage einer erfolgreichen Galerie sei ihr Netzwerk. „Die wichtigste Frage beim Kunsthandel ist: Woher bekomme ich das Bild? Wir vertreten so gut wie keinen lebenden Künstler. Wir können also niemanden anrufen und fragen: ‚Hast du noch etwas im Atelier?‘“

Kunst in Klimakisten

Darum ist es Minssens Aufgabe als Kunsthändler, Bilder auf ihrem Weg zu verfolgen, diesen zu dokumentieren und mit möglichen Käufern in Kontakt zu sein. Sobald sich ein Bild in seinem Besitz befindet, erklärt Minssen, wisse er bereits, welchem seiner Kunden er es anbieten könnte, weil es womöglich in dessen Sammlung passt.

Drei der Arbeiten von Marc Chagall, die vor Kurzem noch in der Galerie ausgestellt waren, befinden sich mittlerweile in den Vereinigten Staaten. Minssen war dorthin gereist, um sie einem Kunden anzubieten. Dieser sammle vor allem religiöse Motive – und somit auch die Bilder des Franzosen, der Tora und Bibel in seinen Werken verarbeitete. Die Geschäftsreise in die USA war erfolgreich: Der Sammler kaufte die Bilder, die Minssen in vakuumierten, sogenannten Klimakisten hatte einfliegen lassen, für einen siebenstelligen Betrag.

Diese Skluptur von Abraham David Christian steht ebenfalls in der Galerie Utermann in Dortmund.
Diese Skluptur von Abraham David Christian steht ebenfalls in der Galerie Utermann. Christian gehört zu einem der wichtigsten deutschen Künstler abstrakter Nachkriegskunst. © Schütze

So einfach ist es aber freilich nicht immer. „Es gibt kein Schema F im Kunsthandel. Es ist subjektiv. Sobald man glaubt, seinen Handel zu verstehen und die Leute zu kennen, wollen die auf einmal etwas kaufen, von dem ich nie gedacht hätte, dass sie sich für dieses Thema interessieren.“

Der Erfolg eines Kunsthändlers hängt also auch davon ab, ob er seine Sammler und deren Geschmack richtig einzuschätzen weiß. „Die Beziehung zu unseren Kunden ist von einer außerordentlichen Intimität geprägt. Wir kennen sie – auch privat. Das geht nur, wenn unsere Kunden uns vertrauen. Ich glaube, nur so baut man überhaupt Intimität auf.“

Und nur so kann eine Galerie wie die der Familie Utermann sich auf dem Markt gegen Auktionshäuser, andere Galerien und Kunstvermittler behaupten. Die meisten Konkurrenten hätte Minssen, wenn er eine Arbeit akquiriert: „Wenn ich ein Unikat kaufe, dann hat es natürlich kein anderer – und kann es auch nicht anbieten.“

Der Kunstmarkt sei in den vergangenen Jahren immer größer und internationaler geworden. Das fällt umso stärker auf, da die Branche eigentlich klein, ja elitär ist. Mittlerweile aber ist Kunst für viele längst zur Wertanlage geworden.

Dabei ist ihr Wert im weitesten Sinn subjektiv. Er misst sich daran, wie begehrt ein Künstler ist. Beispiel Banksy: „Sobald es ein neues Graffito gibt, schlägt jemand das Stück Mauer ab und schleppt es zum Auktionshaus, um Kasse zu machen.“ Der Wert eines Bildes sage jedoch nicht zwangsläufig etwas über dessen künstlerische Qualität aus: „Eine Zeichnung von August Macke wird deutlich weniger kosten als eine von Picasso. Sie kann aber besser, mitunter sogar viel besser sein.“

Was für Dortmund spricht

Wer in Dortmund kauft einen Picasso? In dieser Frage hält Lukas Minssen sich erwartbar bedeckt. Nur so viel verrät er: „Letztlich sind wir fast ortsungebunden. Wir haben in Dortmund zwar unsere Ausstellungsräume, unsere Kunden und Sammler sitzen aber weltweit verteilt.“

Dass das Unternehmen trotzdem hier geblieben ist, hat zwei Gründe. Zunächst ist die Stadt kein Ballungsraum bildender Künste in Deutschland: „Wir sind nicht so betrachtet wie Londoner oder Münchner Kollegen, von denen erwartet wird, dass sie alle sechs Wochen eine monografische Ausstellung machen. Wir haben andere Freiheiten.“ Eben, sich dem Handel zu widmen.

Kunswerke in Schwarzweiß im Flur der Galerie Utermann in der Dortmunder City
Gut 400 Kunstwerke lagern im Bestand der Galerie Utermann, unter ihnen Arbeiten von Emil Nolde, Max Beckmann und August Macke. Teilweise, sagt Lukas Minssen, handele es sich bei den Werken auch um kleine Grafiken. © Schütze

Das zweite und für die Familie wohl bedeutungsschwerere Argument für Dortmund ist ihre Geschichte in der Stadt: „Wir wurden 1853 hier gegründet. Diese Traditionslinie wollen wir weiterführen.“

Begonnen hat Utermann als Buch- und Schreibwarenhandlung. Als Carl Utermann, Sohn von Gründer Wilhelm, das Geschäft in den 1890ern übernahm, war daraus bereits eine Kunsthandlung mit Rahmenwerkstatt geworden, ab 1912 mit Sitz in der Betenstraße.

Als die Galerie Utermann die Reinoldikirche verdeckte

Dort, wo heute die Volksbank steht, arbeitete und lebte die Familie Utermann damals. Mit seiner Stahlträger-Konstruktion war das Haus eines der modernsten und vor allem höchsten Gebäude der Stadt. Es verdeckte, so monierte man in der Lokalzeitung, die Sicht vom Alten Rathaus auf den Turm der Reinoldikirche.

Im Zweiten Weltkrieg wurde die Galerie zu Boden gebombt. Und obwohl die Kunstwerke zuvor an die Möhne ausgelagert worden waren, hatte die Familie sie verloren: Kanadische Besatzungstruppen beschlagnahmten die Arbeiten als herrenloses Feindgut.

Trotzdem handelten die Utermanns weiter Kunst. In einer Zeit, da von Dortmund nur Ruinen standen und niemand das Geld oder gar die Muße für Kunst hatte. Aus der Not machte Werner Utermann eine Tugend – und tauschte. Ein Bild gegen einen Gutschein für Treibstoff von Aral in Bochum, ein Bild für einen Stahlträger. Bild um Bild baute er das Haus in der Betenstraße wieder auf.

Sein Sohn Wilfried, der dem Unternehmen 1972 beitrat, fokussierte sich fortan auf den deutschen Expressionismus und die Klassische Moderne. Epochen, die kunstgeschichtlich relevanter und begehrter sind als die Düsseldorfer Malerschule, deren Arbeiten die Galerie zuvor vertreten hatte. „Wilfried hat das Programm so umgestellt, dass wir heute diesen klangvollen Namen in der Branche haben.“

Wilfried Utermann war es auch, der mit vier weiteren Kunsthändlern das Auktionshaus Grisebach gründete, 1986 im damaligen Westberlin. Ein zweites Standbein, um der zunehmenden Konkurrenz durch Auktionshäuser zuvorzukommen und nicht ausgebootet zu werden.

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Alles zu seiner Zeit. Dass jeder Utermann die Galerie entsprechend den Ressourcen, die ihm zur Verfügung standen, prägte und voranbrachte, ist wohl Teil ihrer nunmehr 170-jährigen Erfolgsgeschichte. Das und die Expertise, die hier dank Recherche und Dokumentation aufgebaut wurde.

Was bringt die Zeit des aktuellen Geschäftsführers? Seit 2015 ist Lukas Minssen Teil der Galerie. Damals stand das Geschäft seines Stiefvaters bereits seit fast 20 Jahren an der Silberstraße und war damit nicht mehr die Schaufenstergalerie wie noch an der Betenstraße. „Ich bin damals sehr kritisch beobachtet worden“, erzählt Minssen. „Ein wichtiger Kunde sagte damals zu meinem Stiefvater: ‚Herr Utermann, sind Sie sich sicher?‘“

Offenbar schon. Denn: „Ich habe das Wichtigste von meinem Stiefvater gelernt, die Begeisterung und dass es bei Kunst entscheidend ist, immer wieder hinzugucken.“ Echte, wertvolle Kunst sei nämlich etwas, „das über den ersten Gedanken hinaus beschäftigt“.

„Dass Galerien so lange bestehen, ist selten“

Es verwundert deshalb nicht, dass Kunst auch in Minssens Privatleben Platz haben muss. „Das ist nicht zu trennen“, erklärt der Dortmunder. „Ich wäre als Kunsthändler nicht authentisch, wenn ich sagen würde: ‚Kunst interessiert mich, wenn ich arbeite, aber am Wochenende will ich damit nichts zu tun haben.‘“ So gehen er und seine Frau auch mit der kleinen Tochter regelmäßig ins Museum. „Sie hat jetzt vermutlich schon mehr Museen gesehen als so manch 25-Jähriger.“

Ehe er als Geschäftsführer an die Spitze der Galerie trat, studierte Minssen Kunstgeschichte in München und arbeitete im Auktionshaus Sotheby’s in London sowie in der Neuen Galerie in New York City, einem Museum für deutsche und österreichische Kunst des frühen 20. Jahrhunderts.

Der Ausstellungsraum der Galerie Utermann in Dortmund
In der Galerie Utermann wird Kunst vorwiegend gehandelt. Bilder werden hier aber auch laufend ausgestellt. Im Sommer 2024 zum Beispiel hingen in der Galerie 22 Werke Marc Chagalls. Für 2025 plant Lukas Minssen eine Impressionismus-Ausstellung. © Schütze

Sein Weg als Erbe sei aber nicht vorbestimmt gewesen. Seine Geschwister und Stiefgeschwister haben ganz andere eingeschlagen. Wilfried Utermanns leiblicher Sohn zum Beispiel betreibt eine Rettungsschule, an der Sanitäter ausgebildet werden. „Ich glaube ohnehin nicht an vorgezeichnete Wege“, sagt Minssen. „Man kann sicherlich eine Roadmap erstellen, aber ich glaube, das sollten Ideen sein, keine zwangsläufigen Ziele.“

Ein konkretes Ziel hat der Galerist trotzdem. Sein Stiefvater hat es ihm aufgetragen. Mit Minssen soll das Familiengeschäft 200 Jahre alt werden. Der Schlüssel, so hofft er, liegt in seiner Authentizität. „Dass Galerien so lange bestehen, ist selten. Deshalb darf ich nicht einfach meinen Vorgänger kopieren, sondern muss meinen eigenen Kundenstamm aufbauen.“ Das schafft er, indem er seine Sammler so begeistert wie sein Vater seinerzeit ihn. „Ich möchte nichts verkaufen nur des Geldes wegen. In einer Galerie gibt es die sensationelle Möglichkeit, selbst zu bestimmen, was begeistert, sich damit zu beschäftigen und zu handeln.“

Dieser Artikel erschien ursprünglich am 13. November 2024.