
© Jens Volke
BVB-Ordner Kurt war seit 1974 ein Grundpfeiler der Südtribüne, jetzt ist er tot
Nachruf
Den Mann, von dem dieser Text handelt, kannte unser Redakteur seit 16 Jahren. Doch seinen Namen hat er erst erfahren, als er tot war. Ein Nachruf auf Kurt, einen Grundpfeiler der Südtribüne.
Jeder Mensch besteht aus der Summe seiner Teile. Aus seinen Genen, aus seiner Erziehung und aus den Kontakten und den Erfahrungen, die er über die Jahre seines Lebens gesammelt hat. Dabei ist es außerordentlich erstaunlich, welchen Eindruck die unauffälligsten Puzzleteile hinterlassen können.
Das freundliche Lächeln der Frau beim Bäcker lässt uns ganz anders in den Tag starten als das mürrische Grummeln des Schaffners in der Bahn. Häufig sind es Menschen, die wir gar nicht so bewusst wahrnehmen, die uns doch wirklich viel mitgeben. Am Wochenende habe ich erfahren, dass Kurt gestorben ist – und ich war aufrichtig traurig. Dabei wusste ich bis dahin nicht einmal seinen Namen.
Seit 16 Jahren hat er uns alle zwei Wochen begrüßt
Kurt kannte ich seit 16 Jahren. Wirklich aufgefallen ist er mir aber erst viel später. Er war der Mann, der zwischen August und Mai alle zwei Wochen stundenlang stoisch unter der Südtribüne stand, wie einer ihrer Grundpfeiler, an der Treppe zum Block 12. Kurt war unser Ordner.
„Den Alten“ haben wir ihn nur genannt. Hört sich abschätzig an, war aber nie respektlos gemeint, er war bestimmt über 75. Wenn wir am letzten Spieltag gesagt haben: „Hoffentlich ist er nächste Saison noch hier“, dann war das von Herzen so gemeint.
Wehe, man hatte keine Karte für Block 12
Der Mann in der roten Weste hat gewissenhaft wie kein zweiter kontrolliert, dass niemand mit einer falschen Karte auf seinen Block kommt. Block 12, die Herzkammer der Südtribüne. Da wo alle hinwollen, die einmal das Erlebnis Süd spüren wollen.
Unzählige Menschen haben versucht, ohne Karte an ihm vorbeizukommen. Ich wüsste nicht, dass es irgendjemand geschafft hätte. Kurt hat denjenigen dann am Arm gepackt. Und der war im Schraubstock gefangen, bis er ein Ticket vorzeigen konnte.
Kurt war mir und meinen Freunden gegenüber nie unnötig freundlich. Hallo, danke, tschüss. Mehr haben wir fast nie miteinander gesprochen. Reicht ja auch.
Aber damals, als Lucas Barrios und Robert Lewandowski den BVB zur ersten Meisterschaft nach fast zehn Jahren geschossen haben, da hat Kurt gestrahlt, als wir die Treppe nach dem Spiel runtergekommen sind. Diese Freude, bei dem sonst so knurrigen Senior, die werde ich wohl nie vergessen.
„Bis nächstes Jahr“ und „Frohes Neues“ haben wir vor und nach der Sommerpause immer gesagt. Seit dieser Sommerpause ist Kurt nicht mehr da. Seit 1974, seit dem Bau des Westfalenstadions, gehörte er zur Süd.
Und jetzt steht er nicht mehr vor dem Block, sondern vor der Himmelspforte. So passend haben es einige Fans auf Banner geschrieben, mit denen sie Kurt am Samstag im Stadion gewürdigt haben. Kurt macht jetzt den Ordner im Himmel. Und ohne Eintrittskarte kommt keiner an ihm vorbei.
Kevin Kindel, geboren 1991 in Dortmund, seit 2009 als Journalist tätig, hat in Bremen und in Schweden Journalistik und Kommunikation studiert.
