BVB-Fan Mats (9) hat seltene Krankheit Sein Lebenstraum geht nicht mehr in Erfüllung

BVB-Fan Mats (9): Sein Lebenstraum wird nicht mehr in Erfüllung gehen
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Der Rollstuhl kam zur Einschulung. Er wird benutzt, aber nicht gemocht. „Mats schafft nicht mehr alle Wege alleine“, erklärt seine Mutter Marie Labus. Denn der neunjährige Junge leidet an einer seltenen, aber bei Kindern weit verbreiteten Erbkrankheit, der sogenannten Duchenne-Muskeldystrophie, kurz DMD.

Der Gendefekt bewirkt, dass Muskelmasse des Kindes nach und nach durch Fett- und Bindegewebe ersetzt wird. Betroffen sind fast ausschließlich Jungen. Sie verlieren ihre Gehfähigkeit, die Muskelschwäche schlägt auf Herz und Lunge, derzeit werden Patienten im Mittel 28 Jahre alt - Tendenz steigend.

Für Marie Labus war die Diagnose ein Schock. „Mats war elf Monate alt, als ich feststellte, dass er nicht richtig zunahm und er kleiner war als es eigentlich seinem Alter entsprach“. In der Klinik wurde festgestellt, dass der Kreatinkinase-Wert erhöht ist. Ein Signal für viele körperliche Probleme wie Entzündungen oder auch Schock - aber eben auch für Muskelerkrankungen. „Es hat lange gedauert, bis das Erbgut analysiert worden ist. Aber nach einem Jahr stand fest: Er hat DMD.“

Wir treffen die 39-Jährige mit ihrem Lebensgefährten, dem neunjährigen Mats und seinen beiden Schwestern bei einem Ausflug an der Ruhr. Der Rollstuhl ruckelt übers Pflaster. Die kleinen Räder vorne blinken bei jedem Auf und Ab. Auf dem Speichenschutz lächelt das Auto Lightning McQueen aus „Cars“. Emma, sein Rucksack in Form des BVB-Maskottchens, ist immer mit dabei. „Mats ist ein großer BVB-Fan“, sagt seine Mutter. „Er war auch schon im Stadion, sogar beim Spiel.“

Seine Leidenschaft: Autos

Mats bestätigt, dass er auf jeden Fall die Farb-Kombination Blau-Weiß „überhaupt nicht mag“. Ein großer Fan ist der Zweitklässler von Deutsch - „das ist sein Lieblingsfach“. Eine Urkunde in einem Vorlesewettbewerb - „das ist jetzt sein größtes Ziel“, sagt Marie Labus, die als Erzieherin arbeitet. Eine weitere Leidenschaft des kleinen Blondschopfs mit dem Leguan-Shirt: Autos. Heute hat er ein Porsche-Modellauto dabei. Zuhause hat er eine ganze Kiste mit Autos - „er achtet sehr auf Ordnung: Die Wagen stehen immer in Reih und Glied auf seinem Spielteppich“, sagt seine Mutter.

Mats hat Entwicklungsverzögerungen, die für diese Krankheit typisch sind: Er wurde ein Jahr später eingeschult, mit drei Jahren wurde eine Fuß-Fehlstellung durch eine Operation korrigiert - dann lernte er erst richtig laufen. „Da wurde er schon angesprochen: Du bist doch so ein großer Junge, warum kannst du denn nicht richtig gehen?“, erinnert sich seine Mutter.

Weil er schon früh Probleme mit dem Gehen hatte, bekam er einen Rollstuhl - eben pünktlich zum ersten Schultag. „Was haben wir gekämpft für diesen Rollstuhl“, erinnert sich Marie Labus. Erst wollte die Krankenkasse nur einen Falt-Rollstuhl zahlen, schließlich wurde es doch das stabilere Modell. „Man muss immer für alles kämpfen. Auch für die Sachen, die in einer inklusiven Welt eigentlich selbstverständlich sein sollten“, sagt sie.

Schule lieber ohne Rollstuhl

Das betrifft auch das Thema Schule. Mats geht nicht auf die nächstgelegene Grundschule. „Sondern wir haben eine ausgesucht, die möglichst ebenerdig ist“, sagt seine Mutter. Marie Labus bringt ihn mit dem Auto zur Schule. Oft bleibt der ungeliebte Rollstuhl dann im Kofferraum oder wird im Schulgebäude verstaut. „Dann läuft er ins Klassenzimmer. Und auch für den Weg in die Pausen verzichtet er auf den Rollstuhl. Er ist dann zwar langsamer und seine Pause ist dadurch kürzer. Aber er will das so.“

Jetzt kommt Mats‘ Schwester Sara bald auch in die Schule: „Es wäre toll, wenn sie auf dieselbe Schule kommen würde. Dann muss ich nicht noch woandershin fahren oder Mats mit einem Fahrdienst zur Schule bringen lassen. Er soll doch zur Schule kommen wie viele Grundschüler auch.“ Aber noch ist unklar, ob Sara nicht auf eine andere Schule muss. Und aus dem aktuellen Rollstuhl ist Mats eigentlich auch rausgewachsen - bald muss ein neuer beantragt werden. Die nächste Baustelle.

Bei diesen alltäglichen Problemen hilft der Kontakt zu Menschen, die ähnliche Probleme haben. 1500 Menschen im deutschsprachigen Raum tauschen sich in einer Facebook-Gruppe über DMD aus. Aus den Online-Kontakten wurden im Raum Dortmund reale Begegnungen: Einige Eltern treffen sich, gehen gemeinsam mit ihren Kindern im Romberpark spazieren oder das Sea Life besuchen. „Das ist gut - so sieht Mats auch mal Kinder in seinem Alter mit den gleichen Problemen.“

Lebenstraum Polizist

Wie geht Marie Labus mit der geringen Lebenserwartung ihres Sohnes um? Was weiß er davon? „Ich versuche einfach nicht daran zu denken, das verdrängt man ein bisschen.“ Zumal die Forschung ja meist mit Durchschnittswerten agiert. „Es gibt Fälle, da wurden die Erkrankten älter als 40 Jahre. Ich war aber auch schon auf der Beerdigung eines 15-Jährigen.“ Mats weiß nichts von der verkürzten Lebenserwartung von DMD-Erkrankte. „Er weiß, dass er schwache Muskeln hat und Medikamente nehmen muss, damit er stark bleibt.“

Mats bekommt Kortison, das den Muskelabbau verlangsamen soll. Außerdem geht er einmal in der Woche zur Physiotherapie. Bis vor kurzem hat er sogar noch Ballett gemacht. Als Mats außer Hörweite ist, sagt Marie Labus: „Sein größter Traum ist es, Polizist zu werden. Ich hab ihm noch nicht gesagt, dass das nicht klappen wird.“

Allerdings gibt es jetzt wohl einen Hoffnungsschimmer für DMD-Erkrankte - wenn auch aus weiter Ferne und derzeit nur für Erkrankte, die jünger sind als Mats. Denn mittlerweile gibt es eine Gen-Therapie gegen DMD. Das heißt: Eine Behandlung, die den Defekt im Erbgut ganz oder teilweise reparieren kann. SRP-9001 heißt das Mittel, das in den USA von der Firma Sarepta Therapeutics entwickelt wurde und dort am 22. Juni 2023 per Schnellverfahren von der zuständigen FDA zugelassen wurde.

„Das Medikament ist für uns eine riesige Hoffnung. Es kann DMD nicht heilen, aber es besteht die Hoffnung, dass der aktuelle Zustand erhalten bleibt und der Muskelabbau gestoppt wird“, sagt Marie Labus. Allerdings hat die US-Behörde das neue Medikament aktuell nur zugelassen für die Behandlung von Jungen im Alter von vier und fünf Jahren. Außerdem darf die Krankheit noch nicht so weit fortgeschritten sein, dass das Kind nicht mehr laufen kann.

Strenge Kriterien

Um diesen Personenkreis auszuweiten, müsste eine sogenannte Klinische Studie zur Wirksamkeit des Medikaments abgeschlossen sein. Die läuft derzeit noch an Kliniken rund um den Erdball - in Deutschland sind unter anderem die Uni-Kliniken in Essen, Hamburg und München beteiligt. Für die Studie sind derzeit 126 Kinder zwischen drei und sechs Jahren registriert. Das aktuelle Stadium der Medikamenten-Prüfung kann insgesamt bis zu fünf Jahre dauern.

Deswegen versuchen Marie Labus und ihre Mitstreiterinnen bei Facebook, jetzt auch in Europa eine beschleunigte Zulassung zu erreichen. Außerhalb der USA wird SRP-9001 von Roche vermarktet, über eine Zulassung entscheidet die Europäische Arzneimittel-Agentur EMA.

An sie richtet sich eine Online-Petition, die Stand 25. August schon von mehr als 19.000 Menschen unterzeichnet wurde. „Für die erkrankten Kinder geht es um jede Stunde, jeden Tag. Deswegen ist es wichtig, dass dieses Medikament bald zugelassen wird“, erklärt Marie Labus.

Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 27. August 2023.

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