Wegen der Wahlrechts-Reform Dortmund könnte seine Direktmandate im Bundestag ganz verlieren

Verliert Dortmund bei der Bundestagswahl seine Direktmandate?
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In bundesweiten Umfragen trennen CDU und SPD wenige Tage vor der Bundestagswahl Welten: Stimmen sie, werden die Christdemokraten wohl rund doppelt so viele Zweitstimmen bekommen wie die Sozialdemokraten - etwa 30 Prozent gegenüber rund 15 Prozent.

Dieser riesige Vorsprung bringt selbst die SPD-Bastion Dortmund ins Wanken. Mehrere Prognoseportale sehen ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen den Amtsinhabern Jens Peick und Sabine Poschmann und ihren Herausforderern von der CDU, Sarah Beckhoff und Michael Depenbrock.

Besonders im Wahlkreis von Peick und Beckhoff, „Dortmund I“, sollen die Abstände marginal sein. Das Meinungsforschungsinstitut Insa sieht dort in seiner letzten Schätzung der Wahlkreisergebnisse vor der Wahl die CDU sogar leicht vor der SPD, um rund zwei Prozentpunkte (23 zu 21 Prozent).

CDU-Sieg in Dortmund bei Bundestagswahl hätte Nebenwirkung

Doch die politische Sensation eines CDU-Siegs in Dortmund könnte eine gravierende Nebenwirkung haben. Sie würde sehr wahrscheinlich dazu führen, dass der Gewinner oder die Gewinnerin des Wahlkreises trotzdem nicht in den Bundestag einzieht.

Verantwortlich dafür ist eine Wahlrechtsreform, die bei dieser Bundestagswahl erstmals greift: Um das ausufernde Wachstum der Abgeordnetenzahl im Bundestag (aktuell 736 anstatt der Regelgröße von 598 Parlamentarier) zu stoppen, hatte die Ampel-Regierung 2023 das Bundeswahlgesetz geändert.

Eine Debatte im Bundestag.
Eine Debatte im Bundestag: Nach der Bundestagswahl wird das deutsche Parlament infolge einer Wahlrechtsreform über 100 Abgeordnete weniger haben. © dpa (Archivbild)

Nun ist die Größe des Bundestags auf maximal 630 Abgeordnete gedeckelt. Möglich gemacht wird dieses Schrumpfen um mehr als 100 Plätze durch den Wegfall der sogenannten Überhang- und Ausgleichmandate. Stattdessen bekommt eine Partei nur noch so viele Sitze, wie durch ihren Zweitstimmenanteil gedeckt sind.

Heißt im Umkehrschluss: Holt eine Partei in einem Bundesland über die Erststimmen mehr Direktmandate in den Wahlkreisen, als ihr umgerechnet von ihrem Zweitstimmenanteil her zustehen, gehen einige Wahlkreissieger leer aus. Dabei erwischt es die Gewinner jener Wahlkreise, in denen das Rennen am engsten war, wo die Sieger also die niedrigsten Stimmanteile am Gesamtergebnis haben.

„Der Westen ist schwarz“

In NRW droht dieses Schicksal der CDU: Meinungsforscher rechnen damit, dass die Christdemokraten in den meisten Wahlkreisen bei den Erststimmen vorne liegen werden. „Der Westen der Repubik ist bei dieser Wahl überwiegend schwarz“, sagt Frieder Schmid vom Meinungsforschungsunternehmen „YouGov“. Doch so viele Sitze gebe ihr erwarteter Zweitstimmenanteil nicht her. Bundesweit sind bei der Union im „YouGov“-Modell vom 6. Februar rechnerisch 36 Wahlkreise ungedeckt, davon 5 in NRW.

„YouGov“ zählt die Dortmunder Wahlkreise zu den umkämpftesten der Republik: Nur in wenigen Wahlkreisen sei das Rennen so eng wie hier. „Wenn die Wahlkreise an die CDU gehen, liegt die Wahrscheinlichkeit nahe, dass sie das mit einem der schwächsten Erststimmenanteile in NRW tun“, sagt Schmid. „Sie hätten also ein großes Risiko, unter die ungedeckten Wahlkreise zu fallen.“

Frieder Schmid arbeitet bei "YouGov" seit 2016 in der Meinungsforschung.
Frieder Schmid arbeitet bei "YouGov" seit 2016 in der Meinungsforschung. Zu den Dortmunder Wahlkreisen sagt er im Falle eines CDU-Siegs: „Sie hätten ein großes Risiko, unter die ungedeckten Wahlkreise zu fallen.“ © YouGov

Thomas Gschwend, Politik-Professor an der Uni Mannheim und einer der Macher hinter dem Wahlprognoseportal „zweitstimme.org“, kommt zum gleichen Schluss: „Wenn die CDU die Dortmunder Wahlkreise gewinnt, ist es wahrscheinlich, dass die Direktmandate nicht ziehen.“

Und auch das Meinungsforschungsinstitut Insa weist in seiner Wahlkreisschätzung „Dortmund I“ als Wahlkreis ohne Direktmandat aus. „Die CDU bekäme, wenn die Umfragedaten zutreffen sollten, in NRW etwa 32 Prozent, in dem von ihr möglicherweise gewonnenen Wahlkreis in Dortmund aber nur 23 Prozent der Erststimmen“, sagt der Berliner Politikwissenschaftler Andreas Hahn, der die Insa-Wahlkreiskarte seit 2018 erstellt. Das sei zu wenig, um der Kappungsgrenze zu entgehen.

Strukturelle Benachteiligung von Dortmund

Auch bei zukünftigen Wahlen ist das Risiko, dass es die Dortmunder Wahlkreis-Gewinner trotz ihres Siegs nicht in den Bundestag schaffen, größer als in anderen Wahlkreisen. Das neue Wahlrecht benachteilige urbane Wahlkreise gegenüber ländlich geprägten, sagen die beiden Wahlforscher Schmid und Gschwend.

„Es ist ein strukturelles Problem“, erklärt Schmid. „Der politische Wettbewerb ist in den Städten härter als auf dem Land.“ In städtischen Wahlkreisen „schneiden die Direktkandidaten schlechter ab, weil die Konkurrenz größer ist“, ergänzt Gschwend.

„Dortmund I“ könnte ganz ohne Bundestagsabgeordneten dastehen

Die Dortmunder CDU-Kandidaten Sarah Beckhoff und Michael Depenbrock sind sich dieses Problems bewusst. „Es ändert aber nichts an meinem Wahlkampfverhalten“, sagt Beckhoff. Sie gebe alles, damit sie den Wahlkreis gewinne.

Sollte ihr das gelingen, stände der Wahlkreis „Dortmund I“ wohl am Ende ohne Bundestagsabgeordneten da. Denn weder Beckhoff noch ihr SPD-Konkurrent Jens Peick haben eine Chance, über die Landesliste ihrer Parteien doch noch nach Berlin zu kommen.

Gleiches gilt für Depenbrock in „Dortmund II“. Anders seine SPD-Mitbewerberin Sabine Poschmann: Sollte sie im Rennen um das Direktmandat unterliegen, hätte sie durch ihren Listenplatz 16 gute Chancen, trotzdem weiter im Bundestag zu sitzen.

Trotzdem werden Dortmunder im Bundestag sitzen

Doch selbst wenn es Poschmann nicht schaffen sollte, werden andere Dortmunder über die Landeslisten ihrer Parteien in den Bundestag einziehen: Am sichersten dabei sein wird der AfD-Kandidat Matthias Helferich, fast ebenso gut sieht es dank des Aufwärtstrends ihrer Partei für Sonja Lemke von der Linken aus.

Noch bangen müssen Hannah Rosenbaum (Grüne) und Peter Bohnhof (AfD). Je nach Wahlergebnis könnten ihre Listenplätze reichen für ein Ticket nach Berlin.