
© Oliver Volmerich
„St. Pauli im Kleinen“: Wo in Dortmund oft bis 4 Uhr nachts was los ist
Serie: „Straßen voller Leben“
Silvana Feighofen-Onofrietti liebt ihr lautes Viertel: „Ich bin halt ein Großstadt-Kind.“ Insider-Tipps von einer Frau, die das Auf und Ab ihres Quartiers seit 58 Jahren miterlebt.
Am Kiosk nebenan wird frische Ware angeliefert, ein paar Passanten schlendern im gemächlichen Tempo an den Geschäften vorbei. Wer Silvana Feighofen-Onofrietti am Vormittag in ihrem Haus an der Lütge Brückstraße besucht, ahnt wenig vom Trubel, der im Brückstraßen-Viertel abends und nachts herrscht. „Teilweise ist hier nachts um 3 oder 4 Uhr noch viel los“, berichtet Silvana Feighofen-Onofrietti. Sie stört es wenig. „Hier ist es lebendig“, sagt sie. „Und ich bin halt ein Großstadt-Kind.“

Zwischen „fetten Beats“ und „kleiner Nachtmusik“ präsentiert sich die Brückstraße den Besuchern. © Oliver Volmerich
Nicht zuletzt ist sie den Trubel gewohnt. Seit 1961 lebt sie im Brückstraßen-Viertel und hat das Auf und Ab des Quartiers über die Jahrzehnte miterlebt. „Das war hier immer ein Gastro-Viertel“, erklärt Silvana Feighofen-Onofrietti.
In der Tat: Schon Ende des 19. Jahrhunderts reihten sich hier die Gasthäuser aneinander. Konzert-Cafes, in denen live musiziert wurde, waren damals der Renner. Wie das „Cafe Vaterland“ im Ruhfus-Haus an der Gabelung zwischen Brück- und Reinoldistraße, das zwischenzeitlich auch die Namen „Cafe Metropol“ und „Cafe Roland“ trug.

Das Ruhfus-Haus mit seinem Cafe markiert schon seit mehr als 100 Jahren den Eingang zum Quartier mit Brückstraße (l.) und Reinoldistraße. © Stadtarchiv
Es gab aber auch große Bierkeller, Stehbier-Hallen, Automaten-Restaurants und regelrechte Vergnügungspaläste. In Konzertsälen und Cafehäusern spielten große Orchester, in Varietés traten Kleinkünstler auf, im 1905 eröffneten „Wintergarten“ im Zentrum der Brückstraße wurden sogar Operetten aufgeführt. Als „St. Pauli im Kleinen“ wurde die Brückstraße vor gut 100 Jahren in einem Zeitungsbericht beschrieben. „Ein ewiger Strom von Trinkfreudigkeit, Ohrenschmaus und Augenweide rauscht durch die Straße.“

So sah es in der Brückstraße vor 100 Jahren aus. Auch damals gab es neben Geschäften schon viel Gastronomie und Vergnügungsbetriebe. © Stadtarchiv
Nicht zuletzt war die Brückstraße die Straße der Kinos, in denen anfangs die Filme von Orchestern begleitet wurden. Einige waren regelrechte Filmpaläste – wie der Ufa-Palast, das spätere Universum, mit mehr als 1500 Zuschauerplätzen. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg, in den 1950er Jahren, hielt der Kino-Boom an.
Das Ende der Kino-Zeit
Vor gut 20 Jahren, mit der Eröffnung des Cinestar nördlich des Hauptbahnhofs, war dann die große Kino-Zeit vorbei. Außer in der Schauburg, deren Geschichte bis 1913 zurückreicht, ging das Licht an allen Leinwänden aus.
Das größte Kino, das Universum in der Brückstraße, wurde abgerissen und durch einen Neubau ersetzt – das Konzerrthaus, in dem nun Künstler und Orchester aus aller Welt auftreten. Es sorgt abends für eine eigentümliche Mischung im Viertel – wenn die Konzertbesucher oft im schicken Kleid und Anzug sich mit dem jungen, hippen Brückstraße-Publikum mischen.

Auch wenn die Brückstraße streng genommen an der Ecke zum Westenhellweg beginnt, markieren der Platz von Leeds und das Ruhfus-Haus den Eingang zum Brückstraßen-Viertel. © Oliver Volmerich
Viele Konzertbesucher verschwinden allerdings nach dem Musikgenuss im Konzerthaus gleich in den Tiefgaragen, um schnell nach Hause zu fahren. Dann ist das überwiegend junge Brückstraßen-Publikum wieder unter sich.
Sehr zum Bedauern von Silvana Feighofen-Onofrietti und ihrem Mann Detlev Feighofen. „Wir hatten gehofft, dass das Konzerthaus hier mehr Wirkung hat“, stellen sie fest. Doch Restaurants und Lokale für ein älteres Publikum haben sich entgegen der Erwartung nicht angesiedelt.
Fast-Food-Meile
Stattdessen ist die Brückstraße fast eine reine Fast-Food-Meile, an der sich Döner-Buden und Baguetterien aneinanderreihen, gemischt mit Nagelstudios, Spielhallen, Friseuren und meist kleinen Modeläden. Von den alten Fachgeschäften ist nichts mehr übrig, bedauert Silvans Feighofen-Onofrietti.

Die Brückstraße ist in weiten Teilen eine Fast-Food-Meile. © Oliver Volmerich
Wobei: „Ich finde es schön, wenn viele junge Leute hier sind“, sagt sie. Aber sie wünscht sich, dass sich etwa auch die älteren Konzerthaus-Besucher im Viertel wohlfühlen.
Möglicherweise hält das anhaltend schwierige Image des Quartiers viele davon ab. Sorgen um die Sicherheit hält Silvana Feighofen-Onofrietti allerdings für unbegründet. „Ich fühl mich hier sicher. Angst muss man hier nicht haben, auch als Frau nicht“, sagt sie.
Das war freilich nicht immer so. Vor allem in der 1980er Jahren war das Brückstraßen-Viertel Treffpunkt der Drogen-Szene: Der Platz von Leeds wurde zum Platz von Pieks. In den Hauseingängen und Innenhöfen traf man immer wieder auf Drogenabhängige, die sich eine Spritze gesetzt haben.
Viel Arbeit für Quartiersmanager
Diese Zeiten sind lange vorbei. Stadt und Polizei gingen ordnungsrechtlich gegen die Drogen-Szene vor. Und die Stadt investierte auch sonst in das Viertel, nicht nur mit dem Bau des Konzerthauses. Straßen und Plätze wurden neu gestaltet. Ein Quartiersmanager kümmert sich um die Entwicklung des Viertels und versuchte, auch die privaten Eigentümer mit ins Boot zu holen.
Viele zogen mit und investierten ebenfalls. „Wir bemühen uns, das Viertel schön zu halten“, versichert Silvana Feighofen-Onofrietti. Doch der neue städtische Quartierskümmerer Christian Weyers habe es nicht mehr ganz so leicht. „Viele von den alten Eigentümer-Familien sind nicht mehr da“, bedauert Feighofen-Onofrietti. Sie und ihr Mann, so viel steht fest, werden dem Quartier aber treu bleiben.
Lust auf einen Ausflug nach Dortmund-St.-Pauli? Das sind die Tipps von Silvana Feighofen-Onofrietti für das Brückstraßen-Viertel:

Burger und mehr gibt es an der Gerberstraße. © Oliver Volmerich
Während an der Brückstraße selbst Fast Food dominiert, wird es in den Seitenstraßen abwechslungsreicher. Vor allem die Gerberstraße ist „ein schöner Treffpunkt für junge Leute“, findet Silvana Feighofen-Onofrietti. Bereits mittags sind hier viele Außen-Sitzplätze belegt. Schon legendär ist gleich an der Ecke zur Brückstraße der „(Kartoffel)-Lord“, bei dem es neben Backkartoffeln viele andere vegatarische und vegane Gerichte gibt. Burger in vielen Varianten bieten nebenan und gegenüber Food Brother und die Chill‘r Burger Factory. Ganz neu ist an der Südecke von Brückstraße und Gerberstraße „Fries and Friends“ mit vielen Pommes- und Hotdog-Variationen.
Es gibt aber auch mehr als Fast Food im Quartier - etwa das Restaurant „Strawinsky“ im Konzerthaus. Mehr als ein Geheimtipp ist inzwischen das vietmasische Restaurant Nhy Star an der Hansastraße 24. „Da muss man eigentlich immer reservieren“, rät Silvana Feighofen-Onofrietti. Gleich gegenüber lohnt das „Domicil“ als Jazzclub immer einen Besuch. Und nebenan am Bissenkamp bietet „Tapas and More“ spanische Spezialitäten nach dem „All you can eat“-Prinzip“.

Galeristin Anne Voss und Künstler Hans Litt in Ausstellung „Der goldene Ring“. Litt nutzt die Galerieräume als Künsteratelier. © Oliver Volmerich
Auch Kunst und Kultur ist im Brückstraßen-Viertel zuhause. Silvana Feighofen-Onofrietti empfiehlt einen Besuch im Museum für Kunst und Kulturgeschichte an der Hansastraße mit inzwischen eintrittsfreier Dauerausstellung. „Konzeptionelle Kunst“ bietet mitten im Quartier die Galerie Anne Voss in der Gerberstraße. In der Galerie hinter einem Rolltor sind bis zum 21. Juli Zeichnungen, Grafiken und Objekte von Sabine Schellhorn unter dem Titel „Der goldene Ring“ zu sehen. Geöffnet ist die Galerie donnerstags von 15 bis 18 Uhr und nach Vereinbarung.
Kunstmeile und Schachturnier
- Die Brückstraße ist auch Teil der Dortmunder Kunstmeile, die von der städtischen Stabsstelle Kreativquartiere propagiert wird.
- In diesem Sommer sollen die musikalische Projekte eines studentischen Wettbewerbs unter dem Titel „Klang.Raum.Stadt“ umgesetzt werden -unter anderem mit einer Hebebühne, auf der Künstler auftreten, und klingenden Bänken.
- Erstmals findet am 25. Juli ein Pre-Event des Festivals „Juicy Beats“ im Brückviertel mit mehreren Rap-Acts in der Kneipe „Schlips“ statt. Dort soll es bis Ende des Jahres auch erneut ein klassisches Konzert mit Studierenden des Orchesterzentrums NRW geben.
- Das 47. Sparkassen Chess-Meeting findet als Schach-Großmeisterturnier wieder bis zum 21. Juli im Orchesterzentrum NRW an der Brückstraße statt.
Oliver Volmerich, Jahrgang 1966, Ur-Dortmunder, Bergmannssohn, Diplom-Journalist, Buchautor und seit 1994 Redakteur in der Stadtredaktion Dortmund der Ruhr Nachrichten. Hier kümmert er sich vor allem um Kommunalpolitik, Stadtplanung, Stadtgeschichte und vieles andere, was die Stadt bewegt.
