Immer mehr Unternehmen fürchten, den anhaltenden Lockdown nicht zu überstehen. Bisher allerdings gibt es in Dortmund noch keine Pleitewelle. © picture alliance/dpa
Corona-Krise
Trotz Corona weniger Pleiten in Dortmund – wird die Not kaschiert?
Trotz mieser Konjunkturlage in vielen Wirtschaftsbereichen, hat die Corona-Krise bisher nicht zu einer Pleitewelle geführt. Im Gegenteil: die Zahl der Insolvenzanträge sank. Was bedeutet das?
Viele Dortmunder Unternehmen kämpfen im anhaltenden Lockdown ums Überleben. Nach unserer Umfrage, an der zu Monatsbeginn 271 Firmen teilgenommen haben, fürchtet jedes dritte Unternehmen, einen möglichen Lockdown bis Ende März nicht zu überstehen. 11,44 Prozent haben angegeben, dass ihnen wegen der Corona-Pandemie bereits jetzt die Insolvenz droht.
Es brauche dringend, sagt Heinz-Herbert Dustmann als Präsident der Industrie- und Handelskammer (IHK) zu Dortmund, eine realistische Perspektive für weite Teile des Einzelhandels, Gastronomie, Schausteller und viele andere mehr. „Viele Unternehmen stehen vor der Insolvenz“, stellt auch er fest. Die angekündigten staatlichen Hilfen seien viel zu kompliziert und kämen viel zu spät an.
Trotz dieser Probleme und des massiven Konjunktureinbruchs durch die Auswirkungen der Pandemie sind allerdings die Insolvenzen in Deutschland und auch in Dortmund deutlich gesunken. Bundesweit nahm im Jahr 2020 die Zahl der Unternehmensinsolvenzen deutlich um 13,4 Prozent auf 16.300 Fälle (2019: 18.830) ab. Das ist der niedrigste Stand seit der Einführung der Insolvenzordnung im Jahr 1999, stellt die Wirtschaftsauskunftei Creditreform fest.
Zahl der Pleiten geht kontinuierlich zurück
Beim Amtsgericht Dortmund wurden 2019 genau 1236 Insolvenzverfahren beantragt. Im Krisenjahr 2020 waren es nur 817 Verfahren. Und in diesem Jahr hält dieser Trend an.
„Das Insolvenzgeschehen bleibt auch 2021 paradox. Mitten in der größten Krise seit dem Weltkrieg geht die Zahl der Pleiten kontinuierlich zurück, im Ruhrgebiet und in Dortmund sogar überdurchschnittlich“, sagt Hartmut Irmer von der Creditreform Dortmund, der Auskunftei am Phoenix-See.
Hartmut Irmer leitet den Vertrieb der Creditreform Dortmund. „Das Insolvenzgeschehen bleibt auch 2021 paradox. Mitten in der größten Krise seit dem Weltkrieg geht die Zahl der Pleiten kontinuierlich zurück“, stellt er fest. © Creditreform/Lippert
Verzeichnete das Dortmunder Amtsgericht im Januar 2020 noch 28 Insolvenzanträge, waren es im Januar 2021 nur noch 18 Unternehmen, die einen Antrag wegen Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung stellten. „Zu erklären ist das unter anderem damit“, so Hartmut Irmer, „dass es in den Ballungszentren viele kleine und mittlere Unternehmen gibt, die unmittelbar von den massiven Hilfsprogrammen des Staates profitieren können. Kurzarbeitergeld, Soforthilfen und vor allem die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht helfen vermeintlich und zeigen den wahren, oft schlechten Zustand dieser Unternehmen nicht anhand der Statistik.“
Corona-Pandemie: „Jede Krise wirkt wie ein Brennglas“
Im Umkehrschluss bedeutet das, dass gerade kleinere Dienstleistungsbetriebe oder die Gastronomie besonders von Insolvenz betroffen sind, sollten die Staatshilfen wieder abgeschafft werden. „Und nach jetzigem Stand soll die Antragspflicht für Unternehmen Ende April wieder gelten. Wenn das nicht mit Blick auf die Bundestagswahl erneut verlängert wird, ist spätestens dann mit einigen Ausfällen auch in Dortmund zu rechnen“, so Hartmut Irmer.
Vorerst hat die Corona-Krise nicht dazu geführt, dass Firmen mit ohnehin veraltetem Geschäftsmodell oder schlechter Zahlungsmoral vom Markt verschwinden. Auch sie werden durch die Staatshilfen gestützt und/oder die Aussetzung der Insolvenantragspflicht geschützt. In der RN-Umfrage haben wir daher gefragt: „Sehen Sie die Krise auch als Chance für eine Marktbereinigung?“ Die Antwort ist geteilt. 43,3 Prozent sagen Ja, 39,3 Prozent Nein.
„Die meisten Firmen, die verschwinden werden, waren vorher auch schwach“, heißt es vielfach in den Begründungen der Umfrage-Teilnehmer. Oder: „Jede Krise wirkt wie ein Brennglas. Unternehmen, die diese Krise überstanden haben, werden gestärkt sein.“ Ein Teilnehmer meint: „Definitiv werden viele unnötige Geschäfte damit entfernt. Und es wird Gott sei Dank dazu gezwungen, sich für die heutigen Anforderungen digital aufzustellen.“
Weitere Meinungen lauten: „Betriebe, die mehrere Wochen nicht überstehen, müssen ihr Geschäftsmodell überdenken!“ Oder: „Mich stört der Begriff Chance. Es werden viele Arbeitnehmer arbeitslos, die dann nicht bei den ehemaligen Mitbewerbern aufgefangen werden. Volkswirtschaftlich eine Herausforderung.“ Weiterer Kommentar: „Es wird eher auf eine Konzentration weniger Anbieter hinauslaufen.“
Eigenkapital geht bei vielen Firmen spürbar zurück
In der aktuellen Konjunkturumfrage der IHK gibt fast jedes fünfte Unternehmen an, von Liquiditätsengpässen betroffen zu sein. 22 Prozent berichten von deutlich spürbaren Eigenkapitalrückgängen und mehr als 17 Prozent sehen sich mit zunehmenden Forderungsausfällen konfrontiert.
Besonders negativ stellt sich dabei die Lage im Einzelhandel und im Gastgewerbe dar. Liquiditätsengpässe und Rückgänge von Eigenkapital melden in diesen Wirtschaftsbereichen übergreifend etwa ein Drittel bzw. ein Viertel aller von der IHK befragten Betriebe. Im Einzelhandel fürchten fast acht Prozent eine Insolvenz.
„Die finanziellen Mittel sind oftmals völlig erschöpft. Das Lebenswerk vieler Unternehmer und ihre Altersvorsorge sind akut und sehr konkret von Vernichtung bedroht“, sagt IHK-Hauptgeschäftsführer Stefan Schreiber. Die Sorge ist, dass viele Unternehmer händeringend nach Liquidität suchen, Kredite aufnehmen und einen Berg an Schulden aufnehmen.
Furcht, dass sich eine Insolvenzwelle aufbaut
„Dass die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht nur unter engen Voraussetzungen gilt, wissen viele nicht“, sagt Dr. Timo Floren, Anwalt für Gesellschafts- und Insolvenzrecht in der Dortmunder Kanzlei Spieker & Jäger. „Wir sehen, dass - gemessen an der Krisenlage - vergleichsweise wenige Geschäftsführer mittelständischer Unternehmen Anlass sehen, sich über die Voraussetzungen der Insolvenzantragspflicht zu informieren“, so Floren. Es sei zu befürchten, dass sich eine große Insolvenzwelle aufbaue.
Viele Mittelständler kennzeichne eine emotionale Verbundenheit mit ihrem Unternehmen. Deshalb werde oft auch privates Geld zu Rettung eingesetzt. „Außerdem“, so Timo Floren, „ist eine Insolvenz in Deutschland mit einem negativen Stigma behaftet.“
Dabei habe eine finanzielle Schieflage gerade bei einer staatliche angeordneten Schließung in der Corona-Pandemie nichts mit eigenem Versagen zu tun. „Es macht oft Sinn, sich durch eine geordnete Insolvenz oder die neu geschaffene Möglichkeit eines außergerichtlichen Restrukturierungsplans zu sanieren“, sagt Timo Floren.
Gastronom Martin Strauch hat nach der Insolvenz neu angefangen - mitten in der Pandemie. © Wulle, Peter (A)
Gastronom Martin Strauch hat mit der „Suppenfabrik“ diesen Schnitt bereits mit dem ersten Lockdown im Frühjahr 2020 gemacht. Auf Raten eines Anwalts für Insolvenzrecht meldete man für das Unternehmen mit mehreren Standorten im Ruhrgebiet und in Münster Insolvenz an. „Es war deprimierend“, sagt Martin Strauch. Aber, er war auch überzeugt von dem Schritt. Mitten in der Corona-Krise eröffnete er im September am Ursprungs-Standort der Suppenfabrik an der Kaiserstraße 43 mit seinem Bruder neu das „Strauch‘s Deli“.
Einen Experten um Rat zu fragen, empfiehlt denn auch Hartmut Irmer von Creditreform dringend. Er sagt: „Für einen Unternehmer ist es allein kaum zu prüfen, ob er verpflichtet ist, einen Insolvenzantrag zu stellen oder nicht. Das Bedarf der Beratung durch einen Fachmann.“
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