Seit 25 Jahren engagiert sich Karl-Heinz Czierpka als Bezirksbürgermeister in Brackel. Das Amt bereitet ihm Freude - auch wenn er zeitweise heftig angegangen oder gar bedroht wird. © Andreas Schröter
Mehr Aggressionen gegen Politiker
Dortmunder Bezirksbürgermeister hat den Staatsschutz noch immer auf Kurzwahl
Karl-Heinz Czierpka ist Bezirksbürgermeister in Brackel. Er macht das gerne - obwohl er in der Vergangenheit schon Todesdrohungen aushalten musste. Über ein Ehrenamt in aggressiven Zeiten.
von Christian Wernicke
Dortmund
, 13.10.2019 / Lesedauer: 9 minAuch das noch. „Alles voll,“ sagt Karl-Heinz Czierpka, „kein Platz zum Parken.“ Es ist viel los an diesem sonnigen Nachmittag in der Meylant-Siedlung, der Supermarkt zwischen den alten, klobigen Wohnblocks zieht Kundschaft an.
„Jahrelang gab’s hier kein einziges Geschäft“, sagt Czierpka hinterm Steuer und streicht sich eine Strähne seiner grauen Zottelhaare aus der Stirn: „Der neue Discounter ist ein Fortschritt.“
Czierpka gibt Gas, drüben auf dem Parkplatz hat er hinter dem weißen Lieferwagen eine Lücke entdeckt. Er biegt um die Ecke, bremst – und schlägt, da er nun das blau-weiße Verkehrsschild entdeckt, mit der rechten Hand aufs Lenkrad: „Nur für Behinderte – verdammt“, ruft er und lacht, „wer zum Teufel hat sich denn diesen Mist wieder ausgedacht?“
Kein Parkplatz. Das ist der Fluch der guten Tat. Seiner Tat. Karl-Heinz Czierpka ist Bürgermeister des Stadtbezirks Brackel. Hier im Dortmunder Osten hat der 69-Jährige seine Spuren hinterlassen. Überall. Wo der Glascontainer steht, wann die Ampel am Hellweg auf Grün schaltet, ob das alljährliche Friedensgebet auf der Halde einen Zuschuss bekommt und ja, wo Stellplätze für Behinderte hinkommen – all das hängt von Czierpka ab. Selten entscheidet er allein. Aber ohne ihn geht hier nichts.Heute will der Bezirksbürgermeister kurz in der Meylant-Siedlung nachschauen, ob sich endlich was tut im „Time Out“. Der Jugendtreff ist in der verwaisten Ladenzeile untergekommen. Drüben, wo einst die Sparkasse war, liegt Müll im Beet, vom Vordach blättert die Farbe. Abends hängen hier die Jugendlichen aus dem Viertel ab, Türken, Bulgaren und Russlanddeutsche spielen Kicker, hören Musik, reden. Oft ist der Treff überlaufen, weshalb Czierpka sich seit zwei Jahren müht, fürs Time Out zusätzlich das nebenan leer stehende Ladenlokal zu bekommen.
Viel Telefonieren und Briefe schreiben
Die Wohnungsbaugesellschaft würde sogar auf die Miete verzichten, aber die Stadt müsste die Kosten für Heizung und Strom übernehmen. Was, wie ein Sozialarbeiter erzählt, das Jugendamt noch immer nicht will. Czierpka fasst sich an den Kopf. Er weiß, er muss wieder telefonieren. Und noch einen Brief ins Rathaus schreiben. „Aber so ist das“, sagt er, „das Erste, was du lernst in der Politik, ist, Geduld zu haben.“Karl-Heinz Czierpka ist Freizeitkapitän, wenn er nicht gerade im Stadtbezirk unterwegs ist. © privat
Das macht Czierpka, überzeugter Sozialdemokrat, seit 25 Jahren. 1994 übernahm er das Ehrenamt des ersten Bürgers des Bezirks. Brackel, sein Beritt, wirkt so unaufgeregt wie unscheinbar: geduckte Eigenheime, Reihenhäuser mit Vorgärten, zwischendrin Mietskasernen, Gewerbehallen, auch Äcker und Wiesen. 56 000 Menschen wohnen hier.
Wambel, Brackel, Asseln und Wickede pflegen ihr Eigenleben
Die vier Stadtteile Wambel und Brackel, Asseln und Wickede pflegen ihr Eigenleben, der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund (28,4 Prozent) und die Hartz-IV-Quote (12,5 Prozent) im Bezirk liegen unterm Dortmunder Durchschnitt.
Die wenigen Reichen residieren in den Villen von Hohenbuschei, dem Neubaugebiet, wo nebenan die Stars von Borussia Dortmund trainieren. Die Ärmsten verschlägt’s an den Stadtrand, nach Wickede: Im Umfeld des Meylantviertels, wo Zuwanderer und Geflüchtete zuzogen, wählen die Deutschen jetzt häufiger AfD als SPD.
Brackel ist weder Idylle noch tägliches Drama. Und doch glaubt Karl-Heinz Czierpka, dass sich etwas verändert hat im Alltag. Schleichend, fast unmerklich, aber nun spürbar. „Die Leute sind ruppiger geworden“, sagt er, „der Ton wird rauer.“ Czierpka sitzt daheim am Küchentisch, bei einer Tasse Kaffee erinnert er sich.
Bürger kippte Erdaushub auf öffentlichem Weg ab
Etwa an die Versammlung voriges Jahr in Wambel, als einige Anwohner wild schreiend gegen die geplante Bebauung eines Nachbargrundstückes protestierten. Oder an die Dreistigkeit eines Bürgers, der 2015 ungenehmigt einen Anbau in seinen Garten setzte – und dann mehrere Tonnen Erdaushub auf einem öffentlichen Weg abkippte.
Die Fotos hat Czierpka in seinem Computer. „Die Leute bauen sich ihre eigene Welt“, sagt er, „und dann reagieren sie empört, wenn man sie an die Regeln erinnert.“
Was Czierpka beobachtet, lässt sich nicht in Zahlen fassen. Die Statistik kommt erst ins Spiel, sobald die Konflikte eskalieren. Wenn bedrohte Amtsträger die Häme im Netz melden, die Hetzer anzeigen. Wenn Wutbürger einen Bezirksvertreter oder eine Ratsfrau gewaltsam angehen und die Polizei eingreifen muss. Oder wenn, wie im Fall des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, ein Politiker ermordet wird.
Das Wort des einstigen Bundespräsidenten Johannes Rau, wonach die kommunale Politik „der Ernstfall der Demokratie“ sei, bekommt einen bedrohlichen Unterton.
1256 Straftaten gegen politische Amts- und Mandatsträger
Insgesamt 1256 Straftaten gegen politische Amts- und Mandatsträger zählte das Bundeskriminalamt im vergangenen Jahr, darunter 43 Gewalttaten. Der größte Anteil dieser Delikte ging aufs Konto rechter Täter: 517, also zehn pro Woche.
Diesen Trend bestätigt auch Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul. Von Januar 2016 bis Anfang August 2019 notierten die Behörden 125 Straftaten gegen kommunale Repräsentanten. Knapp die Hälfte davon (66) begingen Rechte, vier davon in Dortmund. Karl-Heinz Czierpka wäre ein fünftes Opfer, nur taucht sein Fall in der Statistik nicht auf, doch dazu später mehr.
Mitte Juni, als neue anonyme Morddrohungen gegen Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker und Andreas Hollstein, Bürgermeister im sauerländischen Altena, bekannt geworden waren, schlug Burkhard Jung Alarm, der Präsident des Deutschen Städtetags. Jung rechnete vor, es gebe „täglich drei Straftaten gegen politisch Verantwortliche, vor allem auf kommunaler Ebene“.
Diese Attacken seien „deutlich schlimmer geworden in den letzten fünf Jahren, insbesondere nach der Flüchtlingsdebatte 2015“. Jung forderte, der Staat müsse strenger einschreiten gegen Hetze und Beleidigungen: „Erst kommt das Wort und dann die Tat.“Als 2015 die Flüchtlinge in Dortmund ankamen, bemühte sich Czierpka darum, dass sie gut untergebracht wurden. Auch in Brackel. Das fanden dort nicht alle Anwohner gut. © Sarah Rauch (A)
Klar, dem stimmt auch Karl-Heinz Czierpka zu. Er sieht da jeden Bürger in der Pflicht: „Wir müssen auch als Gesellschaft klarstellen, dass wir solche Hasstiraden nicht dulden.“ Czierpka ist aus der Küche hinübergegangen ins Büro. Bis zur Decke türmen sich im Regal Ordner, Bücher, Papierhaufen. Durch die beiden Fenster kommt wenig Licht ins schmale Zimmer, überm Schreibtisch brennt eine Leseleuchte. „Willkommen in meiner Amtsstube“, sagt er und breitet die Arme aus, „mehr gibt es nicht.“
Bezirksbürgermeister arbeiten ehrenamtlich. Monatlich 720,63 Euro Aufwandsentschädigung bekommt Czierpka, inklusive 6,30 Euro Fahrtkosten. Keine Diät, kein Sitzungsgeld, keine Weisungsbefugnis gegenüber städtischen Beamten.Links neben dem Bildschirm des Computers ist ein schwarzes Tastentelefon montiert. Die Nummer des Bürgermeisters steht im Internet. Wenn nachts irgendwo eine Mülltonne umfällt und der Abfall auf dem Gehweg liegt, klingelt es um sieben Uhr früh. Dann dankt Czierpka für den Hinweis. Und informiert die Kollegen von der EDG, der städtischen Entsorgung.
Der Müll, das ist auch so ein Beispiel für „diesen Trend zur Verrohung“, sagt Czierpka. Vor zwei Wochen, bei einer Sitzung seiner SPD-Fraktion im Awo-Haus von Asseln, haben ihn zwei Manager der EDG drauf gestoßen. Anfangs blätterte Czierpka gelangweilt in Papieren, machte sich Notizen in Unterlagen der Bezirksvertretung. Plötzlich horchte er auf.
„Littering“: Immer häufiger lassen Menschen Müll fallen
Da berichteten die Experten von einem Phänomen, das ihnen mehr und mehr zu schaffen macht – dem „Littering“. Immer häufiger ließen Menschen leere Dosen, Chips-Tüten oder die Verpackung ihres Burgers einfach fallen. Nicht Kinder, nicht Teenager, vor allem junge Erwachsene unter 30 verhielten sich so – egal, wo sie stünden, und egal, ob zehn Meter weiter ein Papierkorb hänge oder nicht.
Czierpka deutet dies als Zeichen „für einen generellen Mangel an Respekt“. Da zähle nur noch das Private, das Eigeninteresse, das Ich. „Und das wird ausgelebt, in voller Egozentrik.“ Niemand verhalte sich so im eigenen Garten, „aber im öffentlichen Raum erleben wir diese Rücksichtslosigkeit“.
Czierpka sagt: „Auch ich spreche längst nicht mehr jeden an, der seinen Pappbecher auf die Straße schmeißt.“ Neulich hat ein Handwerker per selbstgemachtem Parkschild einfach den Gehweg zum Firmenstellplatz deklariert. Czierpka informierte das Ordnungsamt, „ich kann mir nicht alles aufhalsen“.
Einer, der sich einmischt
Dabei ist er eigentlich einer, der sich einmischt. Wenn der Betriebsrat eines Logistikunternehmens anruft, weil täglich 60 Kollegen von der Straßenbahn zum Job ohne Bürgersteig durch Pfützen marschieren müssen, dann kommt der Bezirksbürgermeister: „Wir tun da was“, sagt er, „aber ich verspreche nicht, dass es schnell geht.“
Auch beim Döner-Shop in Wickede schaut er vorbei. Der kurdische Besitzer möchte dort, wo jetzt ein Auto auf dem Bürgersteig parkt, eine kleine Holzterrasse zimmern, für Gäste im Sommer. Doch die Verwaltung mauert. Czierpka hat sich den Rückhalt seiner 18 Kollegen in der Bezirksvertretung geholt, demnächst kommt’s zum Ortstermin mit Polizei und Ordnungsamt: „Das kriegen wir hin“, sagt er und lächelt.
Seit einem Vierteljahrhundert geht das so. Czierpka, gelernter Bäcker, hatte es über den zweiten Bildungsweg zum Gymnasiallehrer für Physik und Chemie gebracht. SPD-Mitglied war er schon länger, als ihn 1991 die Genossen baten, als Ersatzmann die Liste für den Bezirk aufzufüllen. „Ich hab‘ da nicht aufgepasst“, sagt er.
Es klingt, als wäre er Politiker geworden, wie andere Vater werden – durch Unachtsamkeit. „Stimmt“, sagt Czierpka und lacht, „und das Baby macht mir bis heute Spaß.“ Er weiß, dass immer weniger Menschen Lust auf Politik haben: Die Zahl der Sozialdemokraten im Bezirk ist seit den Achtzigerjahren von 2000 auf 560 gesunken.
Zwölf Stunden die Wochen fürs Ehrenamt
Zehn, manchmal zwölf Stunden die Woche gibt Czierpka für sein Ehrenamt. Politik als Hobby, sagt Czierpkas Frau Ute, „das ist wie ein zweiter Beruf“. Sie hat sich „nie als die Frau Bezirksbürgermeisterin gefühlt“, und es ging ihr an die Ehre, als Kollegen hinterrücks tuschelten, sie sei „nur seinetwegen“ zur Grundschuldirektorin befördert worden.
Aber sie hat trotzdem mitgelacht über den Viertklässler, der vom Bürgermeister neue Fahrradständer verlangte: „Hömma, meine Schulleiterin ist deine Frau, da könnta doch ma beim Frühstück drübba reden.“ Inzwischen sind beide pensioniert, ihre Tochter ist auch längst aus dem Haus.Der Veteran genießt Respekt, auch wenn ihn die CDU im Wahlkampf mal als „König von Brackel“ beschimpft hat. Niemand in der Bezirksversammlung redet so viel wie ihr roter Vorsitzender. Man duzt sich, Czierpka ist „Kalli“, am Ende fällen SPD und Grüne, CDU und Linke acht von zehn Beschlüssen einstimmig.
Dortmunds gallisches Dorf
Brackel gilt als Dortmunds „gallisches Dorf“: Gegen Pläne des SPD-geführten Rathauses für mehr Gewerbeflächen hat auch Czierpka demonstriert, und eine Vergrößerung des Flughafens stößt auf den Widerstand aller Parteien. Neuerdings fördert der Bezirk die Aussaat von Wildpflanzen, diese „Bienenweiden“ sollen Insekten anziehen. Er sei, sagt Czierpka stolz, „unter den Roten als Grüner verschrien“.
Schwarz-Gelb ist er sowieso, da kennt Dortmund keine Parteien, keine Bezirke. Zum Termin bei Borussia Dortmund erscheint Karl-Heinz Czierpka mal nicht wie gewohnt barfuß in Sandalen. Halbschuhe, weißes Hemd, graues Jackett statt Jeansjacke, es wird feierlich: Der kleine Platz vor dem Eingang zur riesigen Trainingsanlage wird auf den Namen der BVB-Legende Alfred „Aki“ Schmidt getauft.
Czierpka ist zwei Stunden zu früh da, der Bezirksbürgermeister macht den Roadie: Er baut die mobilen Lautsprecher auf, checkt den Sound, hilft dem Partyservice beim Zeltaufbau. Vor zwölf Jahren hatte Czierpka die Idee, die neuen Straßen im Viertel nach BVB-Größen zu benennen.
Als alle Promis da sind, spricht er ein Grußwort. Die langen Reden halten andere. Auf dem Foto von der Enthüllung des Straßenschildes steht Czierpka ganz hinten ganz außen. Gegen Ende der Party trägt er schnell das Tablett mit den übrig gebliebenen Schnittchen zu den Arbeitern auf der Baustelle nebenan.
OB Sierau: Kommunalpolitiker badeten aus, was andere beschlossen hätten
Im Gespräch am Rande der Zeremonie gerät Ullrich Sierau, Dortmunds Oberbürgermeister, ins Schwärmen über Brackels ersten Bürger. „Der Kalli, das ist ein Steher,“ lobt Sierau, „der geht für seine Leute keinem Konflikt aus dem Weg – auch nicht mit mir.“ Zu oft müssten Kommunalpolitiker an der Basis ausbaden, was andere anderswo – in Düsseldorf, in Berlin – beschlossen hätten.
So sei das auch 2015 gewesen, als die vielen Geflüchteten kamen: „Das war humanitär völlig in Ordnung“, sagt der SPD-Politiker, „aber Bund und Land haben das unterirdisch gemanagt – bis heute!“ Sierau holt kurz Luft: „Und der Kalli hat dann die Prügel dafür bekommen.“
Nein, niemand hat Karl-Heinz Czierpka geschlagen. Aber sie haben ihm zugesetzt, damals, als er Ende 2014 die Bürger in Wickede informierte, dass auf den Parkflächen neben dem Fußballplatz an der Morgenstraße ein Flüchtlingsdorf errichtet werden sollte. Die Briefe, mit denen er die Nachbarn zur ersten Bürgerversammlung am 4. Dezember 2014 einlud, hat er persönlich an Haustüren und über Gartenzäune verteilt. Auf dem Papier stand seine private Anschrift, wohl deshalb musste Czierpka Tage später entdecken, dass jemand vor dem Haus die rechte Seite seines Autos zerkratzt hatte.Zur Versammlung im Evangelischen Begegnungszentrum marschierten dann zwei Dutzend Nazis auf. Ihr Gebrüll übertönten dann die Kirchenglocken, drinnen forderten einige Anwohner, die Flüchtlinge anderswo einzuquartieren. „Hitzig, aber im Rahmen“ sei es zugegangen im Saal, erinnert sich Czierpka, „viele wollten auch helfen“.
Er wiederholt einen Satz, den er damals immer wieder sagte, wenn morgens neue Flüchtlinge angekommen waren: „Wir müssen dafür sorgen, dass am Abend jeder satt ist, ein Dach überm Kopf und ein Bett zum Schlafen hat.“
Czierpkas Adresse veröffentlicht
Ende Februar 2015 kamen die grauen Wohncontainer, und noch vor dem Einzug der ersten Flüchtlinge begannen die Drohungen. Es dauert ein, zwei Minuten, bis Czierpka daheim am Computer die alten Dateien wiederfindet: „Ich hab‘ hier lange nicht mehr nachgesehen“, sagt er, „vieles hab ich auch vergessen. Zum Glück.“
Dann findet er die Bilder und die Screenshots von der Facebook-Seite. Ein A. R. empfiehlt, man solle die Container „anzünden, dann ist mehr Licht da“. Ein H. V. nennt Czierpkas Wohnstraße und fragt, warum der Herr Bürgermeister da in seinem Häuschen nicht selbst ein paar Geflüchtete aufnehme.
Czierpka fällt ein, dass er damals die Geschäfte in Wickede abklapperte, nur weil eine Anwohnerin unter ihrem Klarnamen gechattet hatte, die Asylsuchenden würden die Händler bestehlen. Ergebnis: keine einzige Beschwerde.
Todesdrohungen gegen den Bezirksbürgermeister
Noch ein Doppelklick. Czierpka öffnet das Dossier über Herrn L. Der Mann hat ihm damals über drei Webseiten zugesetzt. Mit Hetze: „Größter Lügner und Betrüger von ganz Dortmund“.
Mit Todesdrohungen gegen ihn: „Solche Typen gehören frei zum Abschuss und weg.“ Und: „Wenn einer diesen Typen umpustet wäre es nicht schade.“ Der Bürgermeister hat dann den Staatsschutz alarmiert, die Polizei durchsuchte das Haus von L., ein Gericht verurteilte ihn zu einer Geldstrafe.
Auf Anraten der Polizei ist Czierpka damals ein paar Tage untergetaucht. „Es gab etliche Freunde, die mir ihr Ferienhaus anboten,“ sagt Czierpka, „inklusive Schlüssel zum Weinkeller.“
Heute lacht er darüber. Aber damals? Czierpka reagiert wortkarg. Kein Wort über die Angst, nur dies: „Wir dürfen uns von solchen Typen nicht vom Weg abbringen lassen.“ Damals parkte regelmäßig ein Streifenwagen vor seiner Tür. Bis heute leuchtet, sobald er den Telefonhörer abhebt, automatisch ein Wort im Display: „Staatsschutz“. Ein Tastendruck genügt für den Notruf.Karl-Heinz Czierpka wurde zum Ernstfall der Demokratie, noch bevor die Attentate auf Henriette Reker, auf Andreas Hollstein, auf Walter Lübcke geschahen. In der Statistik über Straftaten gegen Amts- und Mandatsträger fehlt sein Fall, das BKA erfasst diese Daten gesondert erst seit 2016.
Ein schmuckloses Amt
In zwölf Monaten sind Kommunalwahlen in NRW, Czierpka ist dann 70. Er tritt nicht mehr an. Er wird seinem Nachfolger das Amts-Collier überreichen, das ihm vor Jahren die Kollegen aus der Bezirksvertretung geschenkt haben: Sechs Taler an einer Messingkette, wie sie sonst am Wasserkasten der Klospülung hängt. „Es ist“, sagt er, „eben ein schmuckloses Amt.“
Dieser Text ist zuerst in der Süddeutschen Zeitung erschienen.
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