Bekannter Chefarzt verlässt Klinikum Dortmund Kündigung nach „Kriegserklärung“

„Unsere rund 120 Mitarbeiter leisten hervorragende Arbeit“
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Zum Interview empfängt er in einem etwas barock anmutenden Büro im früheren Dudenstift des Klinikums Dortmund. Er hat es 1993 von seinem Vorgänger übernommen und seitdem nichts verändert. An der Wand hängen drei Bilder, die er damals aus dem Urlaub in Mallorca mitgebracht hatte. Ende September wird er sie abhängen und sein Büro verlassen. 30 Jahre sind auch für Prof. Dr. Thomas Schwenzer eine gefühlte Ewigkeit.

Herr Prof. Dr. Schwenzer, nach nunmehr 30-jähriger Tätigkeit als Direktor der Frauenklinik begehen Sie im laufenden Jahr ihr Dienstjubiläum am Dortmunder Klinikum. Wir vermuten, Sie haben groß gefeiert.

Prof. Dr. Schwenzer: Es gab ein kleines Sommerfest mit allen meinen Mitarbeitern aus der Frauenklinik. Ich habe ein paar Sätze gesprochen, dann ging es in den lockeren Teil über. Auf eine irgendwie gestaltete, große Abschiedsfeier des Klinikums Dortmund habe ich bewusst verzichtet.

Abschiedsfeier? Ihr Vertrag endet doch erst zum 31.3.2024?

Das hat sich geändert. Ich habe mich für eine vorzeitige Kündigung entschieden und werde die Frauenklinik Ende des laufenden Monats September verlassen.

Warum das?

Aus mehreren Gründen. Herr Polle (Ex-Klinikum-Chef, Anm. d. Redaktion), war ein paar Wochen hier, als er mir im März 2022 bei einem Abendessen überraschend eröffnete, die Geschäftsführung habe entschieden, meinen Vertrag über die Laufzeit hinaus nicht mehr zu verlängern. Ich habe ihm geantwortet, dass ich das für töricht halte, weil die Bewerberlage extrem dünn ist.

Mit seinem Vorgänger, Herrn Mintrop, hatte ich eine andere Regelung vereinbart, mit einer Möglichkeit der weiteren Vertragsverlängerung. Mit meinen 69 Jahren bin ich körperlich und geistig topfit und im Focus kürzlich erneut als herausragender Operateur aufgeführt worden. Überdies hatten wir vereinbart, dass ich als Klinikdirektor an der Ausschreibung für meine Nachfolge beteiligt werde.

Das ist nicht geschehen?

Nein. Im Januar 2023 hat man mir einen Ausschreibungstext vorgelegt, den ich bis heute für unverändert schlecht halte, weil wichtige qualitative Anforderungen fehlen. Entsprechend dünn ist nun die Bewerberlage. Der Gipfel aber war, dass in dem Text meine Nachfolge bereits zum 1.1.2024 gesucht wurde. Das habe ich als Kriegserklärung betrachtet und mich entschieden, vorzeitig zu kündigen.

Marcus Polle ist als Vorsitzender der Klinikum-Geschäftsführung im Juni nach gerade eineinhalb Jahren abberufen worden. Er soll es sich mit nahezu allen Klinikdirektoren verdorben haben. Die Rede ist von einem „Brandbrief“ u.a. an den OB, in dem mehrere Direktoren mit ihrer Kündigung gedroht haben. Haben Sie auch unterzeichnet?

Ich kann bestätigen, dass es ein solches Schreiben gab, ja. Ich habe es ebenfalls unterzeichnet. Die Entscheidung für die Bestellung Herrn Polles als Chef des größten kommunalen Klinikums in NRW war keine glückliche. Ich war erstaunt, wie schwach er teilweise auf Sitzungen vorbereitet war. Dabei haben meine Kollegen und ich auch sein ständiges Herumspielen mit dem Handy nicht als sonderlich hilfreich empfunden. Nein, diese Personalie hat dem Haus nicht gut getan.

Wie fällt Ihre persönliche Bilanz aus?

Ich bin sehr zufrieden. Während meiner 30 Jahre hatte ich rund 50.000 Geburten zu verantworten. Mit mehr als 12.000 ambulanten und stationären Patientinnen jährlich steht das Haus sehr gut da und genießt auch in Fachkreisen hohe Anerkennung. Wir bieten Diagnostik und Behandlung nach neuesten internationalen Standards. Unser Westfälisches Brustzentrum gehört mit zu den ersten, das von der Ärztekammer Westfalen zertifiziert worden ist. Auch das gynäkologische Krebszentrum ist seit 12 Jahren zertifiziert.

Ein weiterer Schwerpunkt unseres Hauses liegt auf der Geburtshilfe. Das Perinatalzentrum für Früh- und Frühstgeborene, das ebenfalls über eine Zertifizierung verfügt, zählt zu den größten in Deutschland und gehört als Level I Zentrum der obersten Versorgungsstufe an. Unsere rund 120 Mitarbeiter leisten in allen Bereichen der Klinik hervorragende Arbeit. Ich wünsche mir, dass die Frauenklinik auch künftig so ruhig durch das Gesundheitssystem gelenkt wird, wie mir das in all den Jahren gelungen ist.

Wie wird es Ihrer Einschätzung nach mit der Frauenklinik weitergehen, wenn Sie in den Ruhestand treten?

Zunächst einmal: Ich hinterlasse ein Haus, das gut aufgestellt ist und seiner Führung eine hohe Qualifikation abverlangt. Es bedarf einer Persönlichkeit, die fachlich über große Kompetenz verfügt, das Haus auf hohem Niveau weiterentwickelt und den Patientinnen menschlich zugewandt ist.

Die Führungsperson ist entscheidend für die Zukunft der Frauenklinik. Ich habe große Zweifel, ob die Ausschreibung geeignet ist, eine solche Persönlichkeit zu finden. Nach meinem Ausscheiden wird meine Kollegin Dr. Barbara Kipp, Leiterin des gynäkologischen Tumorzentrums, die kommissarische Leitung des Hauses übernehmen. Im Übrigen trete ich keineswegs in den Ruhestand, im Gegenteil.

Sondern?

Ich habe über das Deutsch-Chinesische Zentrum für Wissenschaftsförderung das Angebot bekommen, die Frauenklinik im chinesischen Luhzou in der Provinz Sichuan als Direktor zu leiten. Ich habe mir das Haus im März angesehen. Die Klinik ist insgesamt 4.500 Betten groß, die Frauenklinik ohne die Geburtshilfe umfasst 200 Betten und ist hervorragend aufgestellt. Es werden für deutsche Verhältnisse eine unverstellbare Anzahl von Patientinnen mit bösartigen Erkrankungen behandelt.

Mein Vertrag läuft zunächst ein Jahr und beinhaltet die Option auf weitere vier Jahre. Ich freue mich sehr auf diese Aufgabe. Obendrein bekomme ich eine Kraft an die Seite gestellt, die mich von Bürokratie so weit wie möglich entlastet und die darüber hinaus über gute Beziehungen ins chinesische Gesundheitsministerium verfügt und fließend Deutsch spricht.

Wie müssen wir uns das vorstellen? Brechen Sie und Ihre Gattin ihre Zelte in Dortmund ab?

Nein, Dortmund wird unser Hauptwohnsitz bleiben. Zumal meine Frau Claudia als Medizinische Beauftragte des Vorstands der Kassenärztlichen Vereinigung tätig ist und zusätzlich in das NRW-Gesundheitsministerium delegiert ist, um die Krankenhausreform mit zu begleiten.

Was mich betrifft: Meine Anwesenheitspflicht in China umfasst acht Monate im Jahr. Die weitere Zeit werde ich in Deutschland und Europa verbringen – und natürlich auch in Dortmund. Hier ist unser Lebensmittelpunkt, und das soll auch so bleiben.

Scheiden Sie im Groll?

Nein, in keiner Weise. Ich blicke auf viele schöne Jahre zurück. Als ich 1993 anfing, konnte man die Hörder Fackel sehen. Und das Klinikum, heute eine gGmbH, war noch das „Stadtamt 53“.

Ich freue mich, dass ich die Frauenklinik all die Jahre erfolgreich mitgestalten konnte und auf den heutigen, hohen Standard entwickelt habe. Dunkle Stunden gab es in den vielen Jahren auch, vor allem als die Klinik wirtschaftlich am Abgrund stand. Ich wünsche mir, dass diese Entwicklung nicht wieder eintritt. Auch in den schweren Jahren habe ich aber unendlich vielen Patientinnen helfen können, von denen sich viele noch heute bedanken oder mir zum Geburtstag gratulieren.

Haben Sie ein Beispiel zur Hand?

Ein schönes Beispiel ist eine ehemalige Patientin, deren Tochter ich im Zuge einer komplizierten Schwangerschaft und Geburt auf die Welt helfen konnte. Sie und ihre inzwischen 15-jährige Tochter haben mich vor wenigen Wochen wieder besucht. Ich glaube, für einen Arzt kann es keine schönere Bestätigung geben. Nein, ich gehe ohne Groll. Meine 30 Jahre am Klinikum Dortmund sind voller schöner Erinnerungen. Ich wünsche dem Haus für die Zukunft eine glückliche Hand bei den anstehenden Personalentscheidungen. Sowohl bei der Frauenklinik als auch bei dem Klinikum insgesamt.

Hinweis der Redaktion: Dieses Interview erschien ursprünglich am 18. September 2023.

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