Der Wohnungsbau ist bundesweit ins Schlingern geraten. Der Bedarf an neuen Wohnungen ist zwar immens, aber die von der Politik selbst gesteckten Ziele werden oft nicht erreicht. Der Grund sind für die Spitzenvertreter der Bauverbände. NRW in Dortmund nicht nur steigende Zinsen und explodierende Baukosten.
Aus seiner Unzufriedenheit mit der Ampelregierung in Berlin macht Karlgünter Eggersmann, Präsident der Bauverbände.NRW, die ihren Sitz am Westfalendamm haben, keinen Hehl. „Bauen kann sich heute kaum noch jemand leisten. Und es gibt Förderprogramme, die komplett am Ziel vorbeischießen“, sagt er.
Beim Stichwort KfW-40plus-Förderung gehen er und Hermann Schulte-Hiltrop, der Hauptgeschäftsführer der Bauverbände.NRW, geradezu in die Luft. „Ein solcher Förderstandard macht das Bauen noch viel teurer und führt letztlich zu einem Zielkonflikt zwischen bezahlbarem Wohnraum und Umweltschutz“, sagen die beiden Verbandsvertreter.
Große Kostensprünge
Zum Hintergrund: Der Standard „KfW 40plus“ ist der aktuell höchste Effizienzhaus-Standard, bezeichnet also ein energetisch nahezu optimal ausgelegtes Gebäude. Ein mit dem Standard ausgestattetes Haus darf nur 40 Prozent der Primärenergie eines definierten Referenzgebäudes verbrauchen. „Die Förderung eines solchen Standards ist eine Förderung für Ideologen, nicht für Wohnungsbauwillige“, sagt Karlgünter Eggersmann.
Der Experte rechnet vor, dass der Zinsnachlass in Höhe von 0,5 Prozent, den die Kreditanstalt für Wiederaufbau - dafür steht KfW - Häuslebauern für einen 40plus-Standard gewährt, die immens höheren Kosten nicht auffängt. „Es sind eben nicht nur 15 Prozent Verbesserung gegenüber dem KfW-55-Standard, sondern über 30 Prozent - bei dementsprechenden Mehrkosten“, so Karlgünter Eggersmann. Hauptgeschäftsführer Hermann Schulte-Hiltrop ergänzt: „Dieser hohe Standard rechnet sich weder für selbstgenutztes Wohneigentum noch für den institutionellen Wohnungsbau.“
Seit Einführung des Energieeffizienzhauses sei der gesetzliche Förderstandard schrittweise auf KfW-40plus angehoben worden - angefangen bei KfW 85, 70, 55 hin zu 40 und zuletzt eben 40plus.
„Dabei ergeben sich zwischen jedem KfW-Schritt Kostensprünge von teils mehreren 10.000 Euro. Der Standard 40 und gar 40plus tut finanziell richtig weh. Das Haus wird so gedämmt, dass man kein Fenster mehr aufmachen darf und die Raumluft über eine Lüftungsanlage gesteuert wird. Es ist also viel Technik vonnöten und es gibt laufende Wartungskosten. Und Stand jetzt rechnet sich die Energiekosten-Einsparung, die so erreicht wird, nicht“, sagt Hermann Schulte-Hiltrop.
„Vertrauen massiv geschwunden“
Für ihn und Karlgünter Eggersmann sind es nicht die in Dortmund und anderen Großstädten in NRW nahezu stabil gebliebenen Grundstückspreise oder der Anstieg der Bauzinsen auf 4 Prozent, die das Bauen so teuer machen. „Es sind die zu einem Teil die Baupreise, die in diesem Jahr um 16,8 Prozent gegenüber 2022 gestiegen sind. Vor allem aber sind es die immer höheren Anforderungen an Baustandards bei einer gleichzeitig fehlenden verlässlichen Förderkulisse“, so Karlgünter Eggersmann.
„Nach dem KfW-Debakel Anfang 2022 und dem monatelangen Heizungsstreit ist das Vertrauen in die Verlässlichkeit und Planbarkeit von staatlichen Förderprogrammen massiv geschwunden“, ergänzt er und schlägt vor, zur KfW55-Förderung zurückzukehren („Auch damit sind wir in Europa weit vorne“) und diese Förderung mal für 10 bis 15 Jahre gesetzlich festzuschreiben.
Außerdem würden nach Ansicht der beiden Experten von Bauverbände.NRW folgende sieben politische Maßnahmen helfen:
- Recycling-Baustoffe zulassen und klare Rechtsverbindlichkeit schaffen. „In der Praxis kommt das günstigere Recycling-Material viel zu selten zum Einsatz“, sagt Karlgünter Eggersmann.
- Bürokratieabbau bei Baugenehmigung und Bauausführung.
- Steueranreize für Neubautätigkeit schaffen (Sonderabschreibung auf 3 Prozent erhöhen).
- Vergünstigter Mehrwertsteuersatz für nachhaltige Bauprodukte. „Wir sehen in einer Mehrwertsteuersenkung für nachhaltige Bauprodukte ein entscheidendes Werkzeug, um nachhaltiges Bauen zu fördern und das Bauen insgesamt zu vergünstigen“, so Hermann Schulte-Hiltrop.
- Senkung der Grunderwerbssteuer von 6,5 Prozent auf 3 bis 3,5 Prozent. „Seit der Erhöhung im Jahre 2015 zählt NRW zu den Bundesländern mit dem höchsten Grunderwerbssteuersatz“, sagt Hermann Schulte-Hiltrop.
- Keine Sonderabgabe auf Sand und Kies.
- Maklerprovision festsetzen. „Die Provision darf frei verhandelt werden, in der Realität haben sich aber feste Sätze etabliert. In NRW liegt er bei 7,14 Prozent. Die Bundesregierung sollte darüber nachdenken, die Maklercourtage mit Höchstsätzen zu deckeln, da hier die Kaufnebenkosten weiter nach oben getrieben werden“, so Hermann Schulte-Hiltrop.
Kaum neue Aufträge
Auch wenn im Stadtbild viele Baukräne zu sehen sind, über 2000 Wohnungen in Dortmund im Jahr 2022 gebaut wurden und Unternehmen wie Adesso, Continentale Versicherungen oder Materna gerade riesige Neubauten errichten, so täuscht das Bild. Bauverbände.NRW sieht eine Krise aufziehen. „Das sind alte Aufträge, aber es kommt jetzt kaum etwas nach“, sagt Karlgünter Eggersmann.

Die hohen Baukosten, erklärt er, hätten mittlerweile direkte Auswirkungen auf die Bauwirtschaft. „Seit Juni 2022 beobachten wir vermehrt Auftragsrückgänge in diversen Bausparten, die sich ungebrochen im ersten Quartal 2023 fortgesetzt haben“, so der Präsident. Baukosten von über 5000 Euro pro Quadratmeter Wohnraum, die Mieten von 20 Euro pro Quadratmeter erfordern, sind in Dortmund nicht darstellbar.
Karlgünter Eggersmann sagt also: „Immer mehr Wohnungsunternehmen und Wohnungsbaugenossenschaften haben sich bereits aus dem Neubaugeschäft zurückgezogen. Die Zahl der erteilten Baugenehmigungen ist im ersten Quartal 2023 um satte 43 Prozent eingebrochen.“
Die Sorge ist groß, dass vor allem kleine Unternehmen im zweiten Halbjahr nun in wirtschaftliche Not geraten und Personal abbauen. „Es trifft uns hart, wenn der Wohnungsbau fast zum Erliegen kommt“, sagt Karlgünter Eggersmann und appelliert, die Durststrecke zu überwinden und die Beschäftigten auf jeden Fall zu halten. „Denn die Leute sind sonst weg und man bekommt sie nicht zurück. Und wir brauchen sie ja. Nur ein stark aufgestelltes Baugewerbe kann den bestehenden Wohnraummangel beheben und die ambitionierten Klimaziele im Gebäudesektor auch praktisch umsetzen“, so Eggersmann.
Dass die Zeit drängt, um die Rahmenbedingungen für Häuslebauer und damit für das Bauwesen zu verbessern, sollte der Politik langsam klar werden, sagen die beiden Spitzenvertreter der Bauverbände.NRW. So unzufrieden sie mit der Ampelregierung bisher sind, so setzen sie doch auch noch Hoffnung in die Koalitionäre in Berlin.
Das Bau- und Ausbaugewerbe in Nordrhein und in Westfalen ist seit Anfang 2019 unter einem Dach vereint. Die Organisation Bauverbände.NRW hat ihren Sitz am Westfalendamm 229 und bündelt unter anderem die Interessen der Berufsgruppen Maurer und Betonbauer, der Brunnenbauer, Estrichleger und Tiefbauer.
Die Bauverbände.NRW vertreten als Arbeitgeber, Wirtschafts- und Fachverbände über 4100 mittelständische Betriebe der Bau- und Ausbauwirtschaft gegenüber der Politik, den anderen Wirtschaftsgruppen und der Öffentlichkeit.
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