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Dortmunder Arztpraxis unter Dauerdruck: „Wir reißen uns die Beine heraus“
Coronavirus
Corona, Erkältungswelle und viel Mehraufwand für alle Beteiligten: In den Arztpraxen herrscht momentan Hochbetrieb und Sorgen und Ängste ballen sich. Ein Besuch in einer Dortmunder Praxis.
Und wieder ein Patient, der anscheinend nicht aufmerksam genug gelesen hat. Tanja Whittington muss reagieren. Sie muss den jungen Mann, der über Magenschmerzen und erhöhte Temperatur klagt, wieder rausschicken. „Patienten mit Symptomen sollen nicht in die Praxis. Das steht doch überall“, ärgert sich die Medizinische Fachangestellte (MFA). Kurz zuvor musste sie bereits einen anderen Patienten vor die Tür setzen, weil er an typischen Corona-Symptomen litt.
Wir befinden uns in der Arztpraxis im Kaiserviertel in der Innenstadt. Ein typischer Vormittag wie er so in vielen Dortmunder Arztpraxen zurzeit sein könnte. Es herrscht der ganz normale Wahnsinn: Erkältungen, Routinekontrollen, Impfungen prägen das Geschehen - und dazu natürlich Corona.
Bei all dem Durcheinander, den vielen Fragen der Kollegen und Ärzte und ihren eigenen Aufgaben behält Whittington den Überblick. Knapp 13 Jahre arbeite sie nun in dem Beruf, da ist sie routiniert, meint sie. Sie wirkt stressresistent und hat immer ein Lächeln auf den Lippen - zumindest ihre Augen zeigen das, die Lippen sind hinter der Maske verborgen.
Gesonderte Corona-Infektsprechstunde
Und ganz nebenbei nimmt die Medizinische Fachangestellte außerhalb der Arbeitszeit auch noch Corona-Abstriche der Lehrer an der Schule ihrer Tochter. „Die Schule dort hat keine Arztpraxis in der Nähe gefunden. Daher habe ich dann meine Hilfe angeboten“, erzählt die Hemerin.
Corona. Natürlich das Thema in den Arztpraxen aktuell. Vor Ort im Kaiserviertel gibt es eine Corona-Infektsprechstunde. Jeden Tag von 9 bis 12 Uhr können sich Menschen mit Symptomen testen lassen und werden in einem anderen Raum behandelt. Über einen gesonderten Eingang gelangen die Patienten dorthin, wo dann der Corona-Test gemacht wird. Ziel ist natürlich, den Kontakt mit anderen Patienten zu vermeiden. Zudem wurde auch ein zusätzliches Büro im Nachbargebäude angemietet, in dem ausschließlich Rezepte abgeholt werden können.
Mit Vorurteilen zu Schnelltests aufgeräumt
Den Anstieg der Coronazahlen in Dortmund in den vergangenen Wochen bekam auch die Praxis in der Innenstadt zu spüren. Eckart Fraisse, einer der Ärzte dort, berichtet davon, dass von 100 Tests etwa 30 positiv gewesen seien. Mittlerweile seien es nur noch ein oder zwei Tests pro Tag, erzählt der Allgemeinmediziner.

Auch im Labor gibt es für die Medizinischen Fachangestellten viel zu tun. © Schaper
Neben den üblichen PCR-Tests werden dort auch Schnelltests durchgeführt. Mit dem Vorurteil, dass die Schnelltests nicht so zuverlässig seien wie das andere Verfahren, räumt Tanja Whittington auf. „Auf die positiven Schnelltests folgten dann auch positive PCR-Tests - bei negativen war das jeweils genauso. Wir haben gute Erfahrungen gemacht.“
Sie vermutet, dass zu Beginn ein falsches Bild der Schnelltests entstanden sei, weil viele den Corona-Test bei sich selbst machen mussten und so die Ergebnisse verfälscht sein könnten. „Wer schiebt sich das Stäbchen schon freiwillig so tief in Nase oder Rachen, wie es bei einem Test sein muss.“
Nur den Hörer an Hand und Ohr
Aber der Corona-Test ist natürlich nur die eine Sache. Der bürokratische Mehraufwand die andere. „Mittlerweile telefonieren wir den betroffenen Patienten hinterher und beraten sie bei Fragen“, sagt Fraisse, „die Gesundheitsämter kommen leider nicht mehr hinterher.“
Und dass in der Praxis viel telefoniert wird, merkt man. Direkt hinter der Anmeldung sitzt eine Frau, die nur den Hörer am Ohr und in den Händen hält. Sie macht Termine aus, beantwortet Fragen zu Corona und bespricht mit den Corona-Erkrankten, ob diese auch ihre Kontaktpersonen informiert haben.
Bei Tanja Whittington und der anderen jungen Frau, die an der Anmeldung sitzt, kommen hingegen keine Anrufe an. Sie sollen Zeit und Luft für die Patienten in der Praxis und die Fragen der Kollegen haben. „Für alle anderen Anliegen haben wir extra ein Backoffice geschaffen. Zusätzlich zu den Fachangestellten haben wir auch zwei Studentinnen eingestellt. Sie beantworten in erster Linie die zahlreichen Mails“, erzählt Internist Jochen Stripp. Insgesamt besteht das Team aus 21 Fachkräften.
Hausbesuche in der Mittagspause
Zurück in die Praxis: Trotz separater Infektsprechstunde und einem großen Wartezimmer kommt es gegen 9.30 Uhr dazu, dass das Wartezimmer voll ist und es keinen Sitzplatz mehr gibt. Kurze Zeit später hat sich das Problem in Luft aufgelöst und jeder kann wieder sitzen. Auch Schlangen an der Anmeldung bilden sich kaum. Die Frauen hinter den Plexiglasfenstern haben alles im Griff.
Dass vieles reibungslos läuft, hängt auch mit dem Mehraufwand zusammen, den alle betreiben. Internist Stripp spricht davon, dass er in der Mittagspause Hausbesuche macht oder auch nach Betriebsschluss noch oft länger bleibt, um mit Patienten zu telefonieren oder andere administrative Aufgaben abzuarbeiten.
„Das kann nicht wahr sein“
„In der Regel arbeite ich zwölf Stunden am Tag. Da wir auch mit Seniorenheimen zusammenarbeiten und ich zudem Palliativmediziner bin, fahre ich auch häufiger am Wochenende in die Altenheime, weil unter der Woche einfach keine Zeit bleibt“, erzählt Stripp. Zwar sei diese Zeit sehr stressig und intensiv, aber insgesamt sei das Praxisteam zusammengewachsen, berichtet der Arzt.
Sein Kollege Fraisse wünscht sich aktuell mehr Wertschätzung. Gerade wenn er die Menschen bei den Demonstrationen sieht, kommt in ihm Wut auf. „Wir reißen uns die Beine heraus, aber manche möchten es immer noch nicht begreifen. Das kann nicht wahr sein.“
Gebürtiger Brandenburger. Hat Evangelische Theologie studiert. Wollte aber schon von klein auf Journalist werden, weil er stets neugierig war und nervige Fragen stellte. Arbeitet gern an verbrauchernahen Themen, damit die Leute da draußen besser informiert sind.
