Anke Gerhardt wohnt in einem Pflegeheim. Dort spielt sie gerne mit anderen Bewohnerinnen und Bewohnern Würfelspiele. „Mal gewinnt man, mal verliert man. Wie im Leben“, stellt die 57-Jährige fest. Dabei zuckt sie nachdenklich mit den Schultern.
Anke lebt seit 13 Jahren in einem Wohn- und Besucherzentrum in Dortmund. Nach einem Aneurysma und zwei Schlaganfällen habe sie sich für ein Pflegeheim entschieden. Jetzt geht es ihr gut. „Ich kann wieder sprechen und essen.“ All die sonst so alltäglichen Fähigkeiten habe Anke nach ihren Schicksalsschlägen wieder neu erlernen müssen. „Nur ab und zu verliere ich beim Sprechen noch den Faden“, verrät sie. In ihrer Beweglichkeit sei sie trotzdem noch eingeschränkt.
Früher ist Anke selbst als Altenpflegerin tätig gewesen. „Als ich hier angekommen bin, dachte ich erst, ich müsse hier arbeiten“, scherzt sie. Im Wohnheim sei sie gut versorgt. Während sie erzählt, bringt eine Pflegerin einen Teller mit Obst an den Tisch. Anke zeigt auf die Mitarbeiterin. „Die hier hat mich quasi adoptiert!“ Beide schauen sich an und lachen.
Mit 14 war das Coming-Out
Anke ist lesbisch. Sie redet offen über ihre Sexualität, wie sie sagt. Mit 14 habe sie schon festgestellt, dass sie sich für Frauen interessiert. „Ich war so sehr in meine Sportlehrerin verliebt. Alle anderen fanden immer nur den Sportlehrer toll“, erinnert sich Anke. „Da habe ich mir gedacht: Irgendwas stimmt hier nicht!“
Sie sei sehr dankbar, dass sie aus einem offenen Familienumfeld kommt. Besonders ihre Mutter sei immer eine große Unterstützung gewesen. „Werde lieber mit einer Frau glücklich, als mit einem Mann unglücklich“, habe sie immer zu ihrer Tochter gesagt. Anke sei sehr froh, dass ihre Sexualität toleriert wurde. Auch sie selbst habe sich schnell akzeptiert. „Dann ist das halt so!“, habe sie sich nur gedacht.
Vorurteile in der Vergangenheit
Dennoch sei Anke in ihrem Leben mit Vorurteilen konfrontiert worden. An ein Ereignis erinnert sie sich noch besonders gut: „Einmal bin ich mit meiner Freundin an einer Baustelle vorbeigelaufen. Da haben uns die Bauarbeiter angegafft.“ Sie hätten „Lesbe, Lesbe!“ geschrien. Trotzdem habe sie sich schon damals nicht davon unterkriegen lassen. „Ich bin halt, wer ich bin.“ Damals habe sie den Bauarbeitern zurückgerufen, sie sollen doch selbst erstmal glücklich werden. „Wer sowas ruft, hat doch einfach keine Ahnung“, findet Anke. Mit Vorurteilen habe sie auch nach dem Vorfall immer mal wieder zu kämpfen gehabt.
Im Wohnheim sei so etwas aber noch nie vorgefallen. „Hier verstehe ich mich mit vielen sehr gut“, wie sie findet. Am liebsten spiele sie mit ihnen. „Wir haben jetzt sogar Kniffel Extreme!“ Die 57-Jährige freut sich über das neue Spiel. „Da muss ich mein Gehirn nur ein bisschen mehr anstrengen.“

Am Anfang habe sie gesagt, sie könne das Spiel nicht spielen, wie ein Mitbewohner verrät. Anke stimmt ihm zu. „Aber dann haben wir es immer öfter gespielt. Übung macht den Meister“, stellt sie fest. Irgendwann habe sie das Spiel aber verstanden. „Ich habe es geschafft! Manchmal gewinne ich auch“, sagt die 57-Jährige und zwinkert dabei.
„Schwer, jemanden kennenzulernen“
Bei ihrem Einzug in das Wohnheim sei sie noch mit einer Frau verheiratet gewesen. „Mittlerweile bin ich aber glücklich geschieden“, gibt sie zu. Die Scheidung habe aber keinesfalls mit Ankes Krankheit in Verbindung gestanden. Trotzdem habe sie Hemmungen, sich neu zu verlieben. „Ich fühle mich dazu einfach nicht bereit - und auch ehrlich gesagt zu eingeschränkt“, gibt sie zu. Dabei schaut sie an sich herab. Sie habe Angst, sich zu viel zu bewegen. „Ich traue mich nicht einmal, die Etage zu wechseln. So ist es total schwierig, jemanden kennenzulernen.“ Mit ihrem momentanen Beziehungsstatus sei die 57-Jährige dennoch zufrieden.
Am Christopher Street Day (CSD) in Dortmund habe Anke nicht teilnehmen können, „ich bin einfach zu eingeschränkt dafür.“ Früher sei sie aber regelmäßig zu den Straßenumzügen gegangen. Beim CSD demonstrieren jährlich Menschen aus der LGBTQ-Community für mehr Rechte für queere Menschen. „Ich finde das total interessant“, sagt Anke.
Lebensort mit Vielfalt
Das Wohn-und Begegnungszentrum Zehnthof, in dem sie lebt, sei besonders LGBTQ-freundlich. „Hier gehe ich offen mit meiner Sexualität um und fühle mich damit wohl“, erzählt Anke. Dabei lächelt sie.
„Wir sind als Wohnzentrum sogar zertifiziert, dass wir offen für alles sind“, verrät auch Einrichtungsleiterin Manuela Balkenohl. Bereits in der Eingangshalle wird man von einem Regenbogen begrüßt. Dieser symbolisiert bekanntlich die Vielfalt aller Geschlechter und sexuellen Orientierung. Er ist auch auf einem Zertifikat zu sehen. Es zeichnet das Wohnheim als einen Ort für Lebensvielfalt aus.

Anke sei gerne im Dortmunder Pflegeheim. „Hier werde ich akzeptiert - und wir haben alle Spaß!“ Ein gutes Beispiel dafür ist Ankes Zeit in Quarantäne. Während der Pandemie habe sie sich mit Corona infiziert. „Wir durften unsere Etage nicht verlassen“, verrät Anke. Sie habe mit einer anderen Bewohnerin die Quarantäne zusammen verbracht. „Seitdem sind wir befreundet“, sagt sie und lacht. „Durch so einen Zufall entstehen die besten Kontakte.“ Für Anke sei genau das letztendlich am wichtigsten - gute Freunde, mit denen man Spaß haben kann.
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