Rechts die Hansa-Grundschule, links die Wohnhäuser von Sabine Gora, Matthias Sprenger und Ernst Kaaf (v.r.n.l.): Auf der frisch gerodeten Fläche dazwischen soll der Schulanbau hochgezogen werden.

© Natascha Jaschinski

Anwohner in Dortmund entsetzt: „Ausbau der Schule nimmt uns das Tageslicht“

rnSchulerweiterung

Eine Dortmunder Grundschule wird ausgebaut. Einige Nachbarn sind sauer. Sie fühlen sich von der Stadt schlecht informiert. Und fürchten, dass es mit dem Anbau kaum noch Sonne im Garten gibt.

Huckarde

, 06.04.2022, 20:40 Uhr / Lesedauer: 4 min

Bis vor kurzem hatte Sabine Gora den großen Schreibtisch in ihrem Arbeitszimmer direkt unter dem Fenster stehen. So konnte sie immer rausschauen, wenn sie zu Hause gearbeitet hat. Und Sabine Gora sitzt häufig am Schreibtisch. Sie ist Lehrerin für Pädagogik und Sport an einem Essener Gymnasium.

Wenn die 53-Jährige aus dem Fenster in Dortmund-Huckarde schaut, blickt sie auch auf eine Schule. Die Hansa-Grundschule an der Westhusener Straße. Damit die Grundschule mehr Kinder aufnehmen kann, soll sie ausgebaut werden. So hat es die Stadt beschlossen.

Von ihrem Arbeitszimmer aus hat Sabine Gora bis vor kurzem auf Bäume und Sträucher geschaut, nun ist die Fläche gerodet. Der Anbau der Hansa-Grundschule wird nah an die Gärten der Welkenerstraße reichen.

Von ihrem Arbeitszimmer aus hat Sabine Gora bis vor kurzem auf Bäume und Sträucher geschaut, nun ist die Fläche gerodet. Der Anbau der Hansa-Grundschule wird nah an die Gärten der Welkenerstraße reichen. © Natascha Jaschinski

Jetzt lesen

Ärger Thema in der Bezirksvertretung

Ein Anbau soll kommen. Ein Bauvorhaben, das Sabine Gora seit ein paar Wochen so sehr aufregt, dass sie in der Einwohnerfragestunde der letzten Bezirksvertretung Mitte März ihrem Ärger Luft gemacht hat. Und ihren Schreibtisch hat sie auch umgestellt, ein stilles Zeichen des Protests. Nun steht er vom Fenster abgerückt. Wenn Gora arbeitet, schaut sie in den Raum und nicht mehr raus.

Eine Lehrerin, die der Anbau einer Schule so aufbringt, dass sie Widerstand formiert? Um das zu verstehen, muss man Gora, ihren Mann Matthias Sprenger (56) und Nachbarn Ernst Kaaf (54) in ihren Häusern an der Welkenerstraße besuchen. Reihenhäuser, gelblich angestrichen, mit Gärten Richtung Rahmer Wald. Dazwischen liegt die Hansa-Grundschule.

Die Hansa-Grundschule in Dortmund musste laut Stadt in den letzten Jahren immer wieder Kinder ablehnen. Daher soll sie nun auf drei Züge erweitert werden.

Die Hansa-Grundschule in Dortmund musste laut Stadt in den letzten Jahren immer wieder Kinder ablehnen. Daher soll sie nun auf drei Züge erweitert werden. © Natascha Jaschinski

Jahrelang war das Gebäude immer nur zu erahnen, denn zwischen Schulhof und Häusern lag noch ein Stück Wildnis. Gestrüpp, Büsche und eine ganze Reihe hoher Bäume standen dort. 24, schätzt Sprenger. Darunter auch eine alte Eiche. Jetzt ist da nur noch Brachland. Alles umgehauen und ausgegraben. Für den Schulanbau.

Keine Informationen der Stadt

Gora, der Lehrerin, ist wichtig: „Wir haben grundsätzlich nichts gegen den Ausbau der Schule.“ Aber gegen die Größe des Gebäudes. Und gegen „die Informationspolitik der Stadt“.

Dass die Schule erweitert wird, haben Gora und ihre Nachbarn im Herbst vor anderthalb Jahren aus der Presse erfahren. Von der Stadt seien keinerlei Informationen gekommen. Das ist schon mal etwas, das in der Welkenerstraße keiner versteht. „Für unser Verandadach“, sagt Gora und weist auf die Überdachung der Terrasse, „brauchten wir eine Baugenehmigung und die Einwilligung aller Nachbarn.“ Und bei einem Schulanbau in direkter Nachbarschaft werde man nicht mal über Grundsätzliches informiert.

Vor allem nicht darüber, wie groß er werden soll. Hin und wieder habe man Leute an der Schule herumlaufen sehen, die mit dem Anbau zu tun hatten. Angesprochen auf das Bauvorhaben, habe es informell immer geheißen: Der Anbau gehe nur bis zu den Bäumen. „Da haben wir keinen Handlungsbedarf gesehen“, so Gora.

In einer Stunde alle Bäume umgehauen

Das änderte sich am Samstag, 22.1.22, frühmorgens, als es plötzlich sehr laut und sehr hell wurde in der Welkenerstraße: Große Maschinen rissen alle Bäume, Sträucher und Büsche raus. Sprenger: „Die haben um 7 Uhr angefangen, um 8 Uhr war alles fertig.“ Will heißen: Zwischen der Schule und den Gärten war plötzlich nur noch ein Acker. Die Anwohner waren fassungslos: In dem Grün lebten auch viele Tiere. Ernst Kaaf ist sich sicher: „Da sind auch Igel im Winterschlaf mitgeschreddert worden.“ So schnell hätten die Tiere sich nie retten können.

Am 22. Januar wurden in aller Früh Bäume, Sträucher und Büsche für die Schulerweiterung gerodet.

Am 22. Januar wurden in aller Früh Bäume, Sträucher und Büsche für die Schulerweiterung gerodet. © privat

Wie die Stadt dazu auf Anfrage mitteilt, ist die Rodung „außerhalb der Brut- und Setzzeit“ erfolgt. Auffälligkeiten oder besondere Vorkommnisse habe es an dem Morgen nicht gegeben. Für alle gefällten Bäume hätten mit dem Umweltamt abgestimmte, gültige Fällgenehmigungen vorgelegen. Fünf Bäume seien schützenswert gewesen und daher stehen geblieben.

Anbau wird bis zu zehn Meter hoch

Doch nicht nur der Kahlschlag entsetzte die Anwohner. Sondern auch die Größe der freien Fläche. Sei hakten bei der Stadt nach. Mit Erfolg: Ein Bauleiter kam in die Welkenerstraße. Mit allen Plänen. „Erst da wurde uns klar, was da für ein Klotz geplant ist und wie nah der Klotz uns kommt“, sagt Sprenger. Ans Eckgrundstück der Häuserreihe werde der Anbau bis auf um die vier Meter reichen, bei Gora und Sprenger werden es ein paar Meter mehr sein.

Allerdings: Der Anbau werde neun bis zehn Meter hoch. Sprenger fürchtet: „Uns wird das Tageslicht genommen, wir werden Nacht im Garten haben.“ Auch wenn die Sonne scheint, werde man immer im Schatten sein – außer vielleicht im Hochsommer. Gora bangt zudem um ihre Privatsphäre: „Wenn der Anbau so hoch wird, können die Schüler direkt in unsere Zimmer schauen.“

Seit sie wissen, wie groß der Schulanbau werden soll, wälzen die Nachbarn Pläne und versuchen, das Ganze zu verhindern.

Als die Anwohner die Baupläne zum ersten Mal gesehen haben, waren sie entsetzt: Dass der Anbau der Schule so groß werden soll, hatten sie nicht gewusst. © Natascha Jaschinski

Stadt: Alle Vorgaben sind eingehalten

Die Stadt sieht das anders: Alle nachbarschaftlichen Belange würden bei der Planung eines solchen Bauvorhabens berücksichtigt, schreibt Pressesprecher Christian Schön. Sie seien auch an der Welkenerstraße „bestmöglich beachtet worden“. Die Abstände zu den Häusern entsprächen den Vorgaben der Landesbauordnung. Ein Garten ohne Tageslicht sei nicht zu befürchten: „Eine völlige Verschattung der angrenzenden Gärten ist hier nicht gegeben.“

Noch fällt das Sonnenlicht in Sabine Goras Garten. Die Lehrerin und ihre Nachbarn fürchten, dass sie im Dunkeln sitzen, wenn der Schulanbau steht.

Noch fällt das Sonnenlicht in Sabine Goras Garten. Die Lehrerin und ihre Nachbarn fürchten, dass sie im Dunkeln sitzen, wenn der Schulanbau steht. © Natascha Jaschinski

Trotzdem: Die Nachbarn treibt die Frage um, ob es keine Alternativen gegeben hätte. Sie haben einige Ideen: Hätte man nicht einen schlankeren Bau wählen können, der nicht so nah an die Wohnhäuser reicht? Hätte man nicht auf den angrenzenden Sportplatz ausweichen können, der wenig genutzt werde? Oder zur Westhusener Straße?

Und zuletzt: Muss die Hansa-Grundschule erweitert werden? Schließlich sei das Umfeld in den letzten Jahren schon erheblich zugebaut worden. Ein neuer Kindergarten ist links der Gärten von Gora, Sprenger und Kaaf gebaut worden. Rechts ist ein Neubaugebiet entstanden.

Hansa-Grundschule musste Kinder ablehnen

All diese Alternativen habe man geprüft, beteuert die Stadt auf Anfrage. Allerdings sei keine in Frage gekommen. Seit Jahren sei die Hansa-Grundschule so stark gefragt, dass sie Kinder ablehnen müsse. Auch die nächstgelegene Jungferntalschule habe zuletzt schon drei erste Klassen gebildet, obwohl sie nur zweizügig ist.

Die Schule zur Westhusener Straße raus zu erweitern, sei auch keine Option: Dort sei zu wenig Platz, heißt es. Der Sportplatz sei ebenfalls aus verschiedenen Gründen ungeeignet. Die Schule brauche ihn künftig für den Sportunterricht. Der Platz soll überdies attraktiver werden: Ab Sommer 2022 werde er umgebaut und bekomme ein Kunstrasenspielfeld, ein Streetball-Feld sowie einen Minibolzplatz mit Kunststoffbelag. Auch sei der Höhenunterschied zur Hansa-Grundschule so groß, dass man Anbau und bestehendes Gebäude nicht hätte verbinden können.

Ernst Kaaf im Garten seiner Nachbarn: Er weist Richtung Sportplatz und fragt sich, ob nicht dieser eine Option für den Schulanbau gewesen wäre.

Ernst Kaaf im Garten seiner Nachbarn: Er weist Richtung Sportplatz und fragt sich, ob nicht dieser eine Option für den Schulanbau gewesen wäre. © Natascha Jaschinski

So blieb anscheinend nur der Anbau Richtung Welkenerstraße. Auch in dieser Größe: Laut Stadt entstehen nicht nur sechs zusätzliche Klassenräume, sondern auch weitere Räume, die vorgeschrieben sind für einen dreizügigen Ausbau. Zum Beispiel eine Aula, offene Lernbereiche und Mehrzweckräume. Auch der Küchenbereich müsse vergrößert werden, um alle Kinder im offenen Ganztag mit Essen versorgen zu können.

Anwohner haben Anwalt eingeschaltet

Laut Stadt sollen die Bauarbeiten in diesem Sommer starten. Bezugsfertig soll der Anbau dann im Dezember 2023 sein. Wenn nichts mehr dazwischenkommt. Die Anwohner zumindest haben mittlerweile einen Anwalt eingeschaltet. Ob die Erfolgsaussichten hoch sind, da zweifeln sie selbst, sagen sie. Aber: Man könne sich nicht immer alles bieten lassen.

Ab Sommer 2022 sollen hier die Bagger rollen, damit die Hansa-Grundschule ihren Anbau bekommt.

Ab Sommer 2022 sollen hier die Bagger rollen, damit die Hansa-Grundschule ihren Anbau bekommt. © Natascha Jaschinski

Dass vielleicht nicht alles ganz glücklich gelaufen ist, gibt auch die Stadt zu. Sie schreibt: Der Unmut der Anwohner über „unzureichende Kommunikation“ sei „verständlich“. Und weiter: „Aus diesem Grund wird die Stadt amtsübergreifend ein Konzept erarbeiten, um die Anwohner*innen über solche Bauvorhaben in Zukunft besser informieren zu können.“

DER SCHULANBAU

  • Laut Stadt wird der Anbau der Hansa-Grundschule eine Größe von etwa 26 mal 40 Metern Grundfläche haben. Er wird bis zu zehn Meter hoch sein und damit zweietagig. Die Bruttogeschossfläche beträgt 2950 Quadratmeter.
  • Das Gebäude wird in Teilen unterkellert. Der Anbau wird etwa 10 Millionen Euro kosten. Hinzu kommen noch rund 790.000 Euro für Umbaumaßnahmen am bestehenden Gebäude.
  • In dem Anbau wird es sechs Klassenräume, zwei Differenzierungsräume, zwei Betreuungsräume, drei Mehrzweckräume, zwei offene Lernbereiche und eine Aula geben.
Lesen Sie jetzt