Das Village ist die Nachtleben-Konstante am Westenhellweg. Die „Party am Freitag“ war legendär. Der heutige Besitzer hat an einem Welthit mitgewirkt und mit einem BVB-Star gab’s Ärger.

Dortmund

, 01.09.2018, 04:14 Uhr / Lesedauer: 7 min

Wer das Village (französisch ausgesprochen, „Wilaasch“) nicht kennt – und von denen, die in den vergangenen drei Jahrzehnten im Dortmunder Nachtleben unterwegs waren, dürften es nicht viele sein –, der könnte den Eingang zu der Disko leicht übersehen. Zwischen Mobilfunk-Laden, Schuhgeschäft und der riesigen Thier-Galerie direkt gegenüber geht der im Vergleich doch recht schmale Eingang unter.

Am Freitag- oder Samstagabend, wenn die Geschäfte drumherum längst geschlossen haben, ist jene unscheinbare Tür mit dem orange-weißen „Village“-Schriftzug darüber allerdings nicht mehr so schnell zu übersehen. Weil sie die einzige ist, die offen steht.

Wie aus dem Metropolis das Village wurde

Wer den Türsteher passiert hat, und das ist heute nicht mehr so schwierig wie damals in den Anfangszeiten, geht einige Stufen hinunter in den Keller, wo sich eine Diskolandschaft ausbreitet, die sich in nun 28 Jahren immer wieder verändert hat. Nur die Tanzfläche, die ist noch immer da, wo sie schon im April 1990 war, als das Village seine Türen erstmals am Westenhellweg öffnete.

Der Eingang zum Village auf dem Westenhellweg. Als Wolfram Metzen die Disko betrieb, hieß sie „Metzen‘s Village“.

Der Eingang zum Village auf dem Westenhellweg. Als Wolfram Metzen die Disko betrieb, hieß sie „Metzen‘s Village“. © Stephan Schütze

Davor gab es an dieser Stelle erst das Ambassador und dann das Metropolis. Letztere war eine Disko, die sich zunächst zum angesagten Szene-Club mauserte, mit der es dann aber stetig bergab ging. Im Januar 1990 übernahm Herbert Schoeb den Laden und ließ ihn komplett entkernen. Von dem, was einmal zum Metropolis gehört hatte, blieb nichts mehr übrig. Für 1,5 Millionen Mark ließ Schoeb in nur wenigen Monaten eine neue Disko entstehen.

Im damaligen von Heiko Wasser und Thomas Gehrmann herausgegebenen Szene-Magazin Nacht-Zähne hieß es zur Einrichtung: „Komplett neuer Fußboden, avantgardistisch-gestylte Theken, ein völlig umgestalteter hinterer Emporenbereich und viele mutige Farben an den Wänden und Decken prägen nun das Herz des Village. Dazu kommt eine computergesteuerte Super-Lichtanlage, konzeptioniert von Peter Danne, einem der renommiertesten Lichtspezialisten Europas.“ Die Ruhr Nachrichten schrieben von einer Disko, die neue Maßstäbe setzen sollte.

Es sollte die modernste Disko NRWs werden

„Herbert Schoeb wollte, dass das Village NRWs Edel-Club Nummer eins wird“, sagt Michael Walter, der damals, mit 20, als DJ im Village anfing und heute Betreiber der Disko ist. Die Türpolitik war entsprechend streng. Die Herren mussten Anzug tragen, die Damen Abendkleider, um am Westenhellweg 85 feiern zu können. Die Disko hatte mittwochs, freitags und samstags ab 21 Uhr geöffnet und zwei Tanzflächen. Michael Walter und Berty Polzin legten vor allem Charts, House und Techno auf.

Hören Sie in den Soundtrack des Village hinein:

Und weil er die modernste Disko in ganz NRW haben wollte, sagte Herbert Schoeb seinem DJ-Team: „Spielt die neuste Musik, die es gibt. Es ist egal, wie viel Geld ihr für Platten ausgebt.“ Also fuhren Michael Walter und Berty Polzin jede Woche nach Köln oder Düsseldorf und klapperten dort die angesagten Plattenläden ab. „Wir haben für 600 Mark die Woche Platten gekauft“, erinnert sich Michael Walter.

Was Michael Walter mit „Macarena“ zu tun hat

Es waren andere Zeiten damals. Wer die neuste Musik hören wollte, ging in die Disko. Schallplatten gab es oft nur in geringen Stückzahlen. Die guten, die angesagten Platten waren oft schnell vergriffen. „Aber weil wir Stammkunden waren, haben uns die Läden die guten Platten immer zurückgelegt“, sagt Michael Walter. Es waren die großen Hits der 90er, die es im Village zu hören gab. Und bei einem hat Michael Walter sogar mitgewirkt.

Als DJ produzierte er in dieser Zeit selbst Musik. Und so kam es, dass der Musikverlag, bei dem er unter Vertrag war, Produzenten für den Song „Macarena“ eines gewissen spanischen Musikduos Los del Rio suchte. Ein Produzentenduo aus Miami hatte den Song entdeckt und wollte ihn moderner gestalten. So recht glaubte aber zunächst niemand an den Erfolg des Songs.

Michael Walter Anfang der 2000er-Jahre am DJ Pult im Village. Das Foto stammt aus einem alten Zeitungsartikel.

Michael Walter Anfang der 2000er-Jahre am DJ Pult im Village. Das Foto stammt aus einem alten Zeitungsartikel. © Stephan Schütze


Er habe nur die Vocal-Spuren bekommen, „und die waren krumm und schief“, sagt Michael Walter. Letztlich habe er als einer von sechs Produzenten einen Teil der Hauptmelodie zugetragen. Der Macarena-Remix wurde zu einem Welthit. „Ich bekomme dafür noch heute Tantiemen“, sagt Michael Walter.

Insgesamt produzierte er mehr als 50 Musikstücke, vor allem viele Remixe für andere Künstler. Zwischenzeitlich war der heute 48-Jährige DJ, Produzent und Betriebsleiter im Village – am Ende entschied er sich, seine Energie in die Disko zu stecken.

Die Village-Theke im Jahr 2006.

Die Village-Theke im Jahr 2006. © Knut Vahlensieck

Die Disko hatte in ihren 28 Jahren drei Betreiber: 1996 übernahm Wolfram Metzen das Village von Herbert Schoeb, zwei Jahre später wurde Michael Walter Betriebsleiter. Metzen war schwer krank. Als er starb, kaufte Michael Walter das Village. Seit 15 Jahren ist er nun Besitzer der Disko, die zwischendurch zwar immer mal wieder andere Namen hatte (unter anderem Metzen‘s und Velvet Club), aber eigentlich immer als Village bekannt gewesen sei, sagt Michael Walter.

Bis 2002 legte er noch selbst auf. „Ein DJ prägt einen Laden natürlich ungemein“, sagt er. Mit Ludger Staudinger (DJ Luke Payton) habe er sich dann einen Nachfolger „rangezüchtet“. Staudinger blieb zwölf Jahre, seither setzt Michael Walter ausschließlich auf wechselnde DJs.

Michael Walter (r.) ist seit 15 Jahre Besitzer des Village. Angefangen hat er in der Disko als DJ.

Michael Walter (r.) ist seit 15 Jahre Besitzer des Village. Angefangen hat er in der Disko als DJ. © Village

Bei seiner Eröffnung 1990 hatte das Village viele positive Schlagzeilen gemacht. Vier Jahre später sorgte die Disko erneut für einen großen Medienrummel. Dieses Mal waren es allerdings alles andere als positiv. Es ging um einen BVB-Star. Und Rassismus.

Als BVB-Star Julio Cesar vom Türsteher abgewiesen wurde

Der brasilianische Verteidiger Julio Cesar war im Sommer 1994 von Juventus Turin nach Dortmund gewechselt - mit großen Bedenken und Angst vor Rassismus in Deutschland.

An einem Mittwochabend im September 1994 wollte Cesar nach einem verpatzten Spiel für den BVB seinen Frust beim Feiern vergessen und gemeinsam mit seinem Dolmetscher Eduardo Lucio Facion im Village feiern. Doch der Türsteher wies den dunkelhäutigen Fußballprofi und seinen Begleiter ohne eine Begründung ab.

Demonstrationen vor der Disko und Drohbriefe

Der Vorfall wurde öffentlich. Eine Rassismus-Debatte entbrannte. Cesar drohte, den BVB und Dortmund wieder zu verlassen, weil er sich diskriminiert fühlte. Zuvor war er bereits in seinem Haus in Herdecke mit Anwohnern aneinandergeraten. Vor dem Village demonstrierten in den Folgetagen junge Leute, um ihre Solidarität zu bekunden, auch der damalige Oberbürgermeister Günter Samtlebe schaltete sich ein.

Village-Betreiber Herbert Schoeb bekam Drohbriefe und -anrufe, musste die Disko für einen Samstag sogar schließen. Er schrieb Julio Cesar eine Entschuldigung und der überlegte es sich doch noch einmal und blieb in Dortmund. Auch, weil die Fans des BVB sich sehr dafür eingesetzt hatten.

Der legendäre Freitag im Village

Für das Village ging es, trotz dieses Vorfalls, erfolgreich weiter. Es war Ende der 90er-Jahre, 1997, 1998, als Claudia Praske fast jeden Freitag im Village feiern war. „Es hat mein Partyleben sehr geprägt“, sagt die 44-jährige Schwerterin heute. „Es ist eine Zeit, die ich nicht missen möchte.“

Auf der Tanzfläche ist es stets voll.

Auf der Tanzfläche ist es stets voll. © Knut Vahlensieck

Eine ganze Weile lang sah jeder Freitag fast gleich aus: Sie habe sich in Dortmund mit ihrem besten Kumpel getroffen, sich auf den Weg ins Village gemacht und dort stundenlang gefeiert. „Man brauchte keinen anrufen, freitags waren sowieso alle im Village. Man wusste genau, wo wer steht“, sagt sie. „Keiner saß, alle haben getanzt und es wurde gegrölt wie auf einem Konzert.“

Ganz ähnlich sind die Erinnerungen von Sascha Kobudzinski. „Der Freitag im Village war legendär“, sagt er. Irgendwann um die Jahrtausendwende sei er zum ersten Mal in der Kellerdisko gelandet – und wurde schnell zum Stammgast. Später, von 2010 bis 2012, legte er auch als DJ in der kleinen Halle auf. „Es war egal, wer du warst, was du anhattest“, sagt er. Der strenge Dresscode galt schon lange nicht mehr. „Das hat keinen interessiert. Alle waren einfach nur da, um zu feiern.“

„Die besten Partys überhaupt“

In der großen Halle liefen House und Charts, in der kleinen Black-Music. Und wenn um 6 Uhr das Licht angegangen sei, dann habe der Türsteher die letzten Gäste fast rauswerfen müssen, weil sie nicht wollten, dass dieser Abend jemals endet.

„Das waren die besten Partys überhaupt“, sagt Kobudzinski. „Der Laden war immer voll, es gab fast immer einen Einlassstopp.“ Schlechte Tage habe es, wenn überhaupt, nur in den Sommerferien gegeben.

Das Village war aber nicht nur wegen der Musik und wegen der Leute angesagt, die dort feiern gingen. „Es gab damals diese blaue Karte“, sagt Sascha Kobudzinski. „20 zahlen, für 40 trinken“. Das gab’s nirgends sonst. Auch das habe die Leute ins Village gezogen.

Die berühmte „Blaue Karte“. Es gibt sie noch heute. Die Gäste zahlen 22 Euro (früher waren es 20) und können für 40 Euro etwas verzehren.

Die berühmte „Blaue Karte“. Es gibt sie noch heute. Die Gäste zahlen 22 Euro (früher waren es 20) und können für 40 Euro etwas verzehren. © Jana Klüh

Genauso wie die Fotoaktion, die es viele Jahre lang gab. Damals, als die digitale Fotografie noch in den Kinderschuhen steckte, nicht jeder ein Smartphone in der Tasche hatte, da hatte das Village einen Hausfotografen, der jeden Abend die Gäste fotografierte. „Wir haben die Fotos dann entwickeln lassen und eine Woche später in den Eingangsbereich gehängt“, sagt Michael Walter. Wer sich auf einem Foto wiedererkannte, konnte es sich nehmen und hatte eine Erinnerung in der Tasche.

Das Restaurant in der Disko

Das Village hatte zudem, und das war durchaus ungewöhnlich, von Beginn an ein À-la-carte-Restaurant, „mit Küche vom Allerfeinsten“, sagt Michael Walter und kramt aus einem Ordner eine alte Speisekarte von damals hervor. Es gab „Schmankerln“ wie Rumpsteak in Champignon-Soße, Hähnchenfilet auf schwarzen Nudeln und Lachsstreifen mit Krabben.

Und in den 90ern war es so: Von 21 bis 23 Uhr und 3 bis 5 Uhr gab es all diese Gerichte, die sonst zwischen 12 und 24 Mark kosteten, für 5 Mark. „Durch das Angebot hatten wir dann oft schon um 21 Uhr 100 Leute vor der Tür stehen“, erinnert sich Michael Walter. Das Village habe ein ganzes Küchenteam beschäftigt, bis zu 280 Essen an einem Abend serviert. „Das Essen war richtig gut“, erinnert sich Sascha Kobudzinski. „Manche sind nur für das Essen gekommen.“

So sah das Restaurant im Village rund um die Jahrtausendwende aus.

So sah das Restaurant im Village rund um die Jahrtausendwende aus. © Stephan Schütze

Doch irgendwann änderte sich das Ausgeh- und Essverhalten der Gäste. Am Bahnhof machte ein McDonalds auf, an der Brückstraße kamen die ersten Dönerläden, die auch nachts aufhatten. „Und die Leute wollten lieber Snacks wie Pommes haben“, sagt Michael Walter. Er passte das Konzept an, servierte Fingerfood. „Aber irgendwann war es nicht mehr rentabel.“ 2006 schloss das Bistro, heute ist dort ein Bereich, der für private Feiern oder Junggesellenabschiede gemietet werden kann, oft wird er auch von Musikern, die im Village auftreten, als Backstage-Bereich genutzt.

Die Sache mit den Muttizetteln

Abgesehen von einer kleinen Delle kurz nach der Jahrtausendwende, als das Prisma in Eving gerade neu war, war das Village seit seiner Eröffnung eine der Top-Ausgehadressen in Dortmund. Eine zweite, schwerwiegendere Delle kam gut zehn Jahre später.

Zur Finanzierung ihrer Abibälle veranstalteten etliche Oberstufen der umliegenden Schulen Partys im Village. Das Publikum wurde dadurch ohnehin schon jünger. Weil aber auch viele Schüler minderjährige Freunde hatten, die mitfeiern wollten, gab es – das war so üblich – die Erziehungsbeauftragung, den „Muttizettel“. Diesen Zettel konnten Eltern ausfüllen. In Begleitung einer volljährigen Person konnten 16- und 17-Jährige so dann auch nach 24 Uhr feiern gehen.

Freitags gab‘s im Village meistens House und Charts zu hören, samstags dagegen eher R’n‘B und Hip-Hop.

Freitags gab‘s im Village meistens House und Charts zu hören, samstags dagegen eher R’n‘B und Hip-Hop. © Village

Das junge Publikum vertrieb nicht nur die älteren Gäste, sondern rief auch Ordnungsamt und Polizei auf den Plan. Es gab Kontrollen, die Polizei fand betrunkene Minderjährige, deren volljährige Begleitung nicht zu finden war, die Nachricht verbreitete sich über die Presse. Danach verschärfte Michael Walter die Einlasskontrollen.

Und änderte, nicht nur aber auch wegen dieses Vorfalls, das Konzept seiner Disko. Der musikalische Schwerpunkt lag nicht länger auf House, sondern fortan auf Hip-Hop und R’n’B. Der legendäre Freitag war Geschichte. Der Samstag wurde zum Haupttag, freitags gibt es seither eher Nischen-Programme mit wechselnden Partys. So habe sich das Village wieder gefangen, aber das Publikum sei heute ein anderes als damals. Jünger, internationaler.

Wer tanzen und feiern wollte, traf sich jahrelang freitags im Village.

Wer tanzen und feiern wollte, traf sich jahrelang freitags im Village. © Village

Das liege aber auch daran, dass sich das Ausgehverhalten der jungen Leute extrem geändert habe, sagt Michael Walter. Er beschäftigt sich intensiv damit, ist Mitglied im Bundesverband deutscher Diskotheken und Tanzbetriebe und weiß daher, dass es in ganz Deutschland ein Diskothekensterben gibt, dass besonders der Freitag für Clubbetreiber zum Problem geworden ist.

Ein Grund dafür seien die sozialen Medien. Vieles, wofür junge Menschen früher in die Disko gegangen sind, könnten sie heute online erledigen: Sie können dort flirten, die neuste Musik hören und auf Fotos ihre schönen Klamotten präsentieren. Dazu komme in NRW das Nichtraucherschutzgesetz, das auch im Village zu großen Einnahmeeinbußen geführt habe, sagt Michael Walter.

Die 1A-Lage hilft der Disko

In die Knie zwingen lassen will er sich aber noch lange nicht. „Die Leute haben noch immer Spaß hier“, sagt er. Heute sei es eben der Samstag, der so gut laufe wie früher der Freitag. Das Village profitiere natürlich auch von seiner sehr guten Lage, nur wenige Minuten vom Hauptbahnhof entfernt.

So sieht die Tanzfläche im Village aus.

So sieht die Tanzfläche im Village aus. © Village

Zudem passt er sich immer wieder den Trends an, der Dresscode etwa ist längst nicht mehr so streng wie vor 28 Jahren, er bucht international erfolgreiche DJs, alle zwei Monate gibt es Live-Musik und immer wieder wird die Disko modernisiert, die Soundanlage ist hochmodern. Die nächsten Umbauarbeiten stehen schon an. Ein neuer VIP-Bereich wird gebaut, das DJ-Pult modernisiert.

Der Blick vom DJ-Pult auf die Tanzfläche in der großen Halle im Village.

Der Blick vom DJ-Pult auf die Tanzfläche in der großen Halle im Village. © Village

Die Liste berühmter DJs und Musiker, die schon im Village waren, ist lang: DMX, Mario Winans, Alexander Marcus, Sven Väth, Westbam, DJ Hooligan… Die Liste derjenigen, die im Village eine unvergessliche Nacht verbracht haben, dürfte aber noch bedeutend länger sein. Freitags im Village – das ist eine Dortmunder Nachtleben-Legende. Für immer.

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