„Als die Rakete einschlug, hat der Boden im Haus gewackelt“ Dortmunder im libanesischen Krisengebiet

Dortmunder Paar erntet Oliven im libanesischen Krisengebiet
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Angelika Mehanna hat schon viel erlebt. Die Dortmunderin ist nicht ängstlich. Auch wenn nur wenige Kilometer entfernt von ihrem Haus im südlibanesischen Dorf Saddikin Raketen einschlagen, bleibt die 76-Jährige cool. „Mit persönlich geht es gut“, sagt sie am Donnerstag (12.9.) am Telefon, „mein Mann, ursprünglich Libanese und seit 40 Jahren in Deutschland, hat Angst.“

Das Ehepaar fährt seit 1993 jedes Jahr für zwei Monate zur Olivenernte in den Südlibanon, wo es auf dem Grundstück der Eltern von Ahmad Mehanna (72) ein Haus gebaut hat. „Hier leben wir friedlich“, sagt Angelika Mehanna. Nur zehn Kilometer hinter der israelischen Grenze haben die beiden Rentner zwei Olivenplantagen. „Wir machen unser eigenes Öl.“ Sie seien dort zu Hause und in Dortmund.

Seit fast drei Wochen ist Angelika Mehanna nun mit ihrem Mann wieder in Saddakin, drei Kilometer vom Dorf Kana entfernt. Seit 2006, dem letzten größeren Krieg, sei es dort relativ ruhig geblieben. Doch der Angriff der terroristischen Hamas auf Israel, ist auch in ihr Idyll eingebrochen, hat das Leben aus dem Nichts bedroht und tut es weiterhin; denn die libanesische Hisbollah-Miliz halte sich entgegen anders lautender Behauptungen nicht heraus, sagt sie.

Raketenbeschuss

Es gebe Raketenbeschuss aus dem Palästinenserlager Raschidije im nur zehn Kilometer entfernten Tyros auf Israel. Das mache die Lage kritisch. Als am Montag die israelische Gegenrakete hinter dem nächsten Berg einschlug, „hat der Boden im Haus gewackelt“.

Am Montag waren Mehannas kurz nach Beirut geflüchtet, weil Insider der Partei Hisbollah, der politische Arm der Organisation, verbreitet hatten, dass Anschläge aus Saddakin geplant seien. „Und Israel schlägt erfahrungsgemäß dorthin zurück, von wo die Angriffe kommen.“

Rauch steigt auf nach gegenseitigem Beschuss im Dorf libanesischen Dorf Duhaira nahe der Grenze zu Israel.
Rauch steigt auf nach gegenseitigem Beschuss im Dorf libanesischen Dorf Duhaira nahe der Grenze zu Israel. Auch aus dem Dorf Saddakin schoss die Hisbollah auf Israel. © dpa/AP

Zwar hat die Hisbollah mehrfach israelische Militärstellungen an der Grenze beschossen und zündelt weiter. Doch in der Nacht zu Dienstag sei es ruhig im Dorf geblieben. „Schüsse kamen von hier, aber es sind keine Antworten gekommen.“ Die Bevölkerung wünsche sich im Gegensatz zu den Hisbollah-Kämpfern Frieden mit Israel. „Sie wollen keinen Krieg mehr, sie sind es leid. Und haben Angst“, sagt die Dortmunderin.

Von der Hisbollah entführt

Nach den ersten Meldungen über Kampfhandlungen an der Grenze hätten jetzt viele ihre Koffer gepackt. Mehr als die Hälfte der 2000 Dorfbewohner sei bereits geflüchtet. Daneben gebe es noch 2000 syrische Flüchtlinge im Dorf.

„Wenn die Israelis sich entschließen, im Libanon einzumarschieren, dann gibt es Antworten der Hisbollah“, glaubt sie. Wie es ist, wenn Schüsse fallen, hat sie bereits in den ersten Jahren seit 1993 erfahren müssen. In dem Jahr wurden sie und ihre Familie in Beirut von der Hisbollah entführt. „Sie hielten uns für israelische Spione, weil zwei meiner Kinder blond sind.“

Eine der beiden Ölplantagen von Angelika und Ahmad Mehanna.
Eine der beiden Ölplantagen von Angelika und Ahmad Mehanna. © Mehanna

Auch damals waren sie nach Beirut geflüchtet, hatte sich mit 36 anderen Menschen in einer Dreizimmerwohnung versteckt. Doch die Hisbollah entdeckte sie und führte sie in einen Hinterhof. „Wir wurden später wieder freigelassen, aber ich habe nie mehr so viel Angst gehabt wie damals.“

Ein Verbrechen

Heute ist sie gelassener, auch wenn ihr Haus schon mehrfach durch Angriffe beschädigt wurde. Dass dieses Mal alles heil bleibt, glaubt sie nicht. „Viele Häuser haben Photovoltaik-Anlagen.“ Sie bezweifelt, dass die von Zerstörungen verschont bleiben.

Die Menschen im Libanon seien entmutigt. Auch ohne Krieg gehe es den Leuten schlecht. Die Währung ist nach jahrelanger Wirtschaftskrise im Keller, seit einem Jahr hat das Land keinen Präsidenten, die Regierung ist nur geschäftsführend im Amt. „Der Libanon hat viel Potenzial“, sagt Angelika Mehanna mit Blick auf die vielen Touristen, „aber das Land kommt überhaupt nicht vorwärts.“

Die Menschen in ihrem Dorf sagten, das, was in Israel passiert sei, sei ein Verbrechen. Doch die Bevölkerung im Süden sei schiitisch geprägt. „Man wählt die Hisbollah, weil die schiitisch ist.“ Und weil die Partei ihre Befürworter mit Geld in Dollar versorgt. Als „Staat im Staat“ kontrolliert die Hisbollah den Libanon über ihre Miliz nicht nur militärisch, sondern über ihre Partei auch politisch.

Rückflug am Samstag

Ursprünglich wollten Angelika und Ahmad Mehanna bis Anfang November im Libanon bleiben, doch die düsteren Aussichten treiben sie so schnell wie möglich in ihr Dortmunder Zuhause zurück. „Die Fluggesellschaften sind ausgebucht“, erzählt sie, „jetzt fliegen wir am Samstag mit Middle East, der nationalen Airline des Libanon, zurück nach Frankfurt. Mit dem ICE geht es dann weiter nach Dortmund.“

Die Olivenernte will die Rentnerin nicht so schnell aufgeben. „Wenn alles gutgeht und alles ruhig bleibt, fahren wir Mitte oder Ende November noch mal für drei Wochen zurück in den Libanon.“

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