Heute gibt es viele verschiedene Martinsumzüge in der ganzen Stadt verteilt (Symbolbild). © picture alliance / dpa
St. Martin
Dortmunds erster Martinszug zog nur durch einen privaten Garten
Vor fast 100 Jahren begann Käthe Kaufhold eine neue Tradition in Dortmund. Ihre Nachfahrinnen erzählen vom ersten Martinszug – und Kaufholds Widerstand gegen die Nationalsozialisten.
Alles begann mit einem kleinen Martinsumzug im eigenen Garten. Als Käthe Kaufhold von Duisburg nach Dortmund zog, musste sie feststellen, dass es die Tradition, die sie aus der Heimat kannte, in Dortmund noch nicht gab. So beschloss sie kurzerhand, am 11. November 1924 mit ihren vier Kindern einen eigenen Umzug im eigenen Garten zu veranstalten.
Ein wahres Kinderfest
Was im Familienkreis in der Peter-Florenz-Weddigenstraße in der Gartenstadt begann, lockte von Jahr zu Jahr immer mehr Kinder an. „Und dann ging es raus auf die Straße, weil der Garten einfach zu klein wurde,“ erzählt ihre Enkelin Susanne Meyer (68).
Die St. Martinszüge hat auch Kaufholds Tochter Alexia Hallmann, geboren 1934, noch gut in Erinnerung, beschreibt sie als „sehr stimmungsvoll“ und erzählt von Fackeln und Gänse-Liesel-Wagen. "Das war immer eine große Freude", schwärmt sie. Damals sei der Umzug aber eher eine "Stadtteilsache" gewesen.
Kaufhold zeigte Engagement
Käthe Kaufhold kümmerte sich um alles: sammelte Spenden für Brezeln, organisierte die Musikkapelle, Martinsreiter und Pferd.
Die Vorfahrin von Susanne Meyer hat den ersten Martinsumzug in Dortmund ins Leben gerufen. © Annika Fiedler
„Sie liebte Kinder über alles. Nicht nur ihre eigenen, sondern sie hat sich auch stark gemacht für andere“, so Kaufholds Enkelin. Die Kinder des Körner Waisenhauses erhielten ihre Brezeln umsonst.
Sie stellte sich gegen die NS-Frauenschaft
So ging es jahrelang. Doch 1938 wollte die NS-Frauenschaft den Martinszug übernehmen. Käthe Kaufhold lehnte ab.
Sie wurde daraufhin verhört, erzählt ihre Tochter Alexia Hallmann. Doch sie blieb standhaft. Schließlich sei dies „ein christliches Fest“, so habe sie argumentiert, sagt Susanne Meyer. Ihre Großmutter sei streng gläubig gewesen.
Irgendwann habe Kaufhold dann gesagt, sie müsse jetzt zuhause für ihre inzwischen sieben Kinder kochen. Daraufhin brachte man sie nach Hause. Die Martinsumzüge wurden dann verboten, was Kaufhold aber nicht aufhielt.
Wie in den früheren Jahren zog sie nun stattdessen wieder durch ihren Garten. „Auf meinem Grundstück kann ich machen, was ich will“, habe ihre Mutter damals gesagt, erinnert sich Hallmann. „Sie war eine sehr starke Frau.“
Gerade nochmal davongekommen
Doch nicht nur mit ihren Martinszügen stellte sie sich quer. Sie versorgte auch heimlich Zwangsarbeiter mit Brot und Milch und beschwerte sich, als diese während eines Angriffs vom Bunker ausgeschlossen wurden, so erzählt ihre Enkelin. Daraufhin wurde Kaufhold selbst kurzzeitig aus dem Schutzbunker geworfen. Das Haus der Familie Kaufhold wurde zerbombt.
Ihre Widerstände blieben jedoch nicht ohne Folgen: Käthe Kaufhold stand auf der sogenannten „schwarzen Liste“ und sollte bei den Karfreitagsmorden im Rombergpark 1945 hingerichtet werden. Doch sie wurde rechtzeitig gewarnt. „Sie ist haarscharf dem Tod entgangen“, erzählt ihre Enkelin. Käthe Kaufhold konnte mit ihren Kindern ins Münsterland flüchten, wo ihre älteste Tochter wohnte.
So kam der Martinszug in den Westfalenpark
Nach dem Krieg setzte sie die Martinszüge fort. Im Jahr 1951 nahmen bereits 6000 Kinder teil, so ihre Tochter. „Und irgendwann konnte sie nicht mehr“, erklärt Susanne Meyer. „Sie wurde ja auch älter.“ Zudem habe Käthe Kaufhold Angst gehabt, dass etwas passieren könnte bei so vielen Teilnehmern. Schließlich war sie für den Zug verantwortlich.
Das Foto von Käthe Kaufhold mit Susanne Meyer und ihrer Cousine Gudula (r.)stammt aus dem Jahr 1955. © Archiv Meyer
So gab sie 1963 die Organisation an die Stadt ab und diese richtete den Martinszug im Westfalenpark aus. „Sie war eine sehr bescheidene Frau, sie wollte da nie in den Mittelpunkt. Aber einmal ist sie da geehrt worden – als Mutter des Dortmunder Martinszuges. Da konnte sie nicht drumherum“, lacht Susanne Meyer. Darüber habe sich Käthe Kaufhold aber sehr gefreut.
Die Tradition lebt weiter
1967, einige Monate nach ihrem 80. Geburtstag verstarb Kaufhold. Susanne Meyer war damals 14 Jahre alt. „Ich habe sehr an ihr gehangen,“ erzählt sie.
„Sie war so eine echte Menschenfreundin.“ Die soziale Ader ihrer Großmutter führt ihre Enkelin auch auf ihren Glauben zurück. Aber Käthe Kaufhold hat nicht nur gerne St. Martin gefeiert. „Meine Großmutter war, obwohl sie so streng gläubig war, auch eine sehr fröhliche Frau. Sie hat also Karneval gefeiert, da wurde alles geschmückt und sie hat sich verkleidet und Eierlikör getrunken“, erzählt Susanne Meyer lachend. „Sie war sehr lebenslustig.“
Am 9. November wäre Käthe Kaufhold 135 Jahre alt geworden. Susanne Meyer erzählt, Kaufholds Familie wünscht sich sehr, dass irgendwann vielleicht eine Straße nach der Mutter des Dortmunder Martinszugs benannt wird.
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