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Alle Parkplätze weg? Radikalkur für Straße im Kreuzviertel sorgt für Aufregung
Verkehr in Dortmund
Aufregung im Kreuzviertel: Der Neue Graben soll umgestaltet und aus Parkplätzen Gemeinschaftsfläche werden. Die Anwohner haben aktuell einen Vorgeschmack bekommen, wie das aussehen könnte. Das löst heftige Kontroversen aus.
Steven März hat keinen einfachen Stand. März, beruflich beim Wuppertal Institut zuhause, leitet das Projekt „Lebenswerte Straßen“. Nun diskutierte er im Kreuzviertel mit Anwohnern, wie sich der Neue Graben in Zukunft ohne parkende Autos präsentieren könnte.
Die Stimmung ist aufgeheizt: „Ein Hohn ist das, wie soll die Feuerwehr hier noch reinkommen?“, schimpft ein Mann, der wie viele andere nicht genannt werden möchte. Stein des Anstoßes sind die „Zukunftsbilder" für den Neuen Graben, mit denen die Forscher des Wuppertal Instituts die Anwohner überzeugen möchten.
Doch die Begeisterung für eine mögliche Neugestaltung des Neuen Grabens von der Lindemannstraße bis zur Hohe Straße hält sich bislang in Grenzen. Die größte Sorge gilt den Parkplätzen.

Spielen, wo vormals Autos parkten: Der Neue Graben als Testballon. © RN
Seit Samstag (31.7.) bekommen die Anwohner einen Vorgeschmack, wie der Neue Graben tatsächlich mal aussehen könnte: Wo früher auf dem Abschnitt zwischen Arneckestraße und Liebigstraße Parkplätze waren, stehen plötzlich Tischreihen, ein kleines Zelt, ein überdimensionales Schachspiel und Sitzecken mit kleinen Lampions.
Es ist eine Art Versuch, der noch bis Sonntag (15.8.) laufen soll. Natürlich sind die Anwohner informiert und in diversen Formen beteiligt worden. Doch jetzt, mit der Realität konfrontiert, schlagen die Emotionen hoch.
"Wo soll ich denn künftig parken?"
„Ich finde das super, weil endlich mehr Lebensqualität ins Viertel kommt“, sagt ein junger Mann, der seinen Namen ebenfalls lieber nicht lesen möche. Die Kritiker, so scheint es bei der Diskussion vor Ort, sind in der Mehrheit.
Die Lage sei bereits jetzt katastrophal, schimpft eine Anwohnerin. „Wo soll ich künftig parken? Ich brauche meinen Wagen.“ Die „Zukunftsbilder“ des Wuppertal Instituts sehen zwei Varianten vor: Bei einer Variante fallen alle 140 Stellplätze weg. Bei der zweiten sind es minus 75 Prozent. Die Wahrscheinlichkeit, dass es so komme, sei zwar gering, sagt Projektleiter März.
Doch die Befürchtungen vieler Anwohner bleiben. Ohne eine Lösung des Parkplatzproblems werde der Versuch zur Umgestaltung des Neuen Grabens scheitern, gibt Wolfgang Scholz zu bedenken.
„Der Ersatz für Parkplätze muss zwingend mitgedacht werden“, sagt Scholz, der selbst Stadtplaner und Anwohner im Kreuzviertel ist. Er schlägt vor, die Parkpalette am Rewe in der Rittershausstraße aufzustocken und dort Ersatz zu schaffen. Im Neuen Graben selbst sollten zumindest Anwohnerparkplätze bleiben – für ältere Menschen.
Ärger über die Partyszene
Monika und Bodo Melenk wohnen seit 26 Jahren im Kreuzviertel. Die Aussicht, plötzlich ohne Stellplatz dazustehen, ist längst nicht ihr einziges Problem: Die Bänke und Sitzreihen, so ihre Befürchtung, seien quasi eine Einladung für die Partyszene. Die verlagere sich ohnehin seit geraumer Zeit von der Möllerbrücke ins Kreuzviertel.

Bei Jüngeren, so scheint es zumindest, kommen die neuen Angebote gut an. © RN
Schon jetzt werde nachts gelärmt und getrunken. „Neulich ist mir die Heckscheibe am Auto eingeschlagen worden“, berichtet Bodo Melenk. Nach durchzechten Nächten würden Anwohner morgens die leeren Flaschen und Scherben aufsammeln.
Durch die Umgestaltung des Neuen Grabens werde die Situation eher noch schlimmer, sagt Bodo Melenk voraus. Mit der Prognose steh er nicht allein da: Mehr Grün in den Straßenzug hineinbekommen, daran hat im Grunde keiner etwas auszusetzen. „Aber eine Partymeile vor meiner Haustür? Nein danke", winkt eine Frau ab.
Es gehe nicht darum, den Neuen Graben für den Autoverkehr zu sperren, erklärt Steven März vom Wuppertal Institut. Denkbar sei aber, aus dem Neuen Graben eine Gemeinschaftsfläche („Shared Space“) zu machen, die von Fußgängern, Rad- und Autofahrern gleichberechigt genutzt werde. Eine andere Option sei, den Neuen Graben zu einer Fahrradstraße umzuwidmen.
Die Stadt ist im Bilde
Begleitet wird das Wuppertal Institut von der Emschergenossenschaft sowie vom Planungsbüro MUSST Städetbau GmbH. Und natürlich ist die Stadt Dortmund im Bilde. „Wir sprechen alle Schritte ab“, sagt März. Hintergrund: Im Neuen Graben stehen mittelfristig Kanalbauarbeiten an. Nun soll bereits im Vorfeld geklärt werden, wie sich der Neue Graben nach Abschluss der Arbeiten präsentiert. „Da zieht sich ein Riss durch die Anwohnerschaft“, sagt eine Frau.
Angelika Winkhaus aus der Liebigstraße steht auf der Seite der Befürworter. Sie beobachtet das Geschehen seit 35 Jahren. Sie findet, „dass es mit den Autos immer schlimmer geworden ist“. Das Projekt „Lebenswerte Straßen“ sei eine einmalige Chance, endlich ein Konzept zur Neuaufteilung des öffentlichen Raums zu erstellen.

Die "Lebenswerte Straße" scheint auf Plänen leicher umsetzbar als in der Realität. © RN
Die Verschönerung des Neuen Grabens dürfe nicht davon abhängig gemacht werden, ob es weiterhin Parkplätze gebe oder nicht. „In dem Fall würde sich hier gar nichts ändern“, findet Angelika Winkhaus, die gleichwohl den Bau von Quartiersgaragen vorschlägt. Aktuell beschreibt sie die Lage so: „Wir leben in einer Stadt, die von Autos gestaltet wird statt von Menschen.“
Nach ungefähr eineinhalb Stunden gehen die Anwohner auseinander. Manche machen es sich auf Stühlen gemütlich und diskutieren weiter. Am Montag (9.8.) folgt die nächste Bürger-Sprechstunde vor dem Eiscafe Hitzefrei, Neuer Graben 67. Am Ende des Beteiligungsverfahrens wollen die Projektmacher in Absprache mit der Stadt einen Entwurf vorstellen und ihn zur Beratung in die politischen Gremien einbringen. Bezirksbürgermeister Friedrich Fuß schwebt für die September-Sitzung der Bezirksvertretung ein „Sachstandsbericht“ vor.
Jahrgang 1961, Dortmunder. Nach dem Jura-Studium an der Bochumer Ruhr-Uni fliegender Wechsel in den Journalismus. Berichtet seit mehr als 20 Jahren über das Geschehen in Dortmunds Politik, Verwaltung und Kommunalwirtschaft.