Am denkmalgeschützten Malakowturm auf dem ehemaligen Zechengelände hängt in luftiger Höhe seit einigen Wochen ein Transparent der AfD. Wieder einmal – wie schon bei den Wahlen in den vergangenen Jahren auch. „Freie Bürger statt Untertanen“ steht in weißen Lettern auf dem hellblauen Stoff.
Unter den Kunden der benachbarten Discounter Adi und NKD oder des gegenüberliegenden Rewe-Marktes in Dortmund-Bodelschwingh ist das Transparent kaum ein Thema mehr. Die Stadt hatte bereits vor der Kommunalwahl 2020 die denkmalrechtliche Erlaubnis erteilt. Und den Slogan als freie Meinungsäußerung eingestuft.
Dennoch ist das Transparent an dem Förderturm über Schacht 1 der ehemaligen Zeche Westhausen quasi ein Sinnbild für eine nahe AfD-Hochburg. Seit sieben Jahren holt die Partei dort überdurchschnittliche Ergebnisse. Der Dortmunder Stimmbezirk 40106 liegt östlich der S-Bahn-Trasse in der Großwohnsiedlung Wattenscheidskamp. Das Wahllokal in der Kita Wattenscheidskamp ist keine 400 Meter vom Malakowturm entfernt.

Wahlgewinner im Stimmbezirk
Bei der Europawahl 2019 und der Bundestagswahl 2021 holte die AfD dort die meisten Stimmen, bei der Landtagswahl 2022 war sie mit der SPD gleichauf. Wie so häufig in den AfD-Hochburgen war die Wahlbeteiligung gering. Am Montag nach der Landtagswahl 2022 ging unsere Redaktion einmal mehr der Frage nach, warum die rechtsextreme Partei gerade in diesem Stimmbezirk so erfolgreich ist.
Bei der Landtagswahl 2022 gaben 137 der 645 Wahlberechtigten im Wahllokal Wattenscheidskamp ihre Stimme ab. Die Wahlbeteiligung lag damit bei sehr schwachen 21.24 Prozent. 28,6 Prozent der Zweitstimmen gingen an die AfD – exakt so viele wie für die SPD (28,6), mehr als für CDU (25,6), FDP (3,0) und Grüne (5,3).
Bei der Kommunalwahl 2021 bedeuteten 19,6 Prozent (Bezirksvertretung) und 20,7 Prozent (Ratswahl) zwar ein gutes Drittel weniger Prozentpunkte an Stimmen – die AfD holte aber immer noch Platz 2. Der Knick in der Kurve täuscht. Bei den Kommunalwahlen holte die ehemalige Partei Die Rechte im Wahllokal Wattenscheidskamp 6 Prozent der Stimmen.
Erstmals fiel dieser Stimmbezirk bei der Bundestagswahl 2017 auf: 24,4 Prozent der Stimmen gingen an die AfD – der Höchstwert im Stadtbezirk Mengede. Seit der Landtagswahl im Frühjahr 2017 und damit innerhalb eines nur halben Jahres hatte die AfD um 8 Prozentpunkte oder die Hälfte ihres vorangegangenen Stimmenanteils zugelegt.
Bei der Bundestagswahl wurden weitere Hochburgen in den Großwohnsiedlungen von Bodelschwingh/Westerfilde und Nette sowie im Erdbeerfeld in Mengede sichtbar. In allen Hochburgen gingen die AfD-Anteile bei der Landtagswahl 2022 im Vergleich zu den Wahlen zuvor zurück – deutlich weniger jedoch im Quartier am Wattenscheidskamp.
Warum ist das so? Unsere Ursachensuche gestaltete sich am Montag nach der Bundestagswahl im September 2021 zunächst schwierig. „Ich spreche nicht viel Deutsch“, sagte eine junge Mutter mit Kinderwagen. Ein Senior auf dem Fahrrad stoppte am Ammerbaumweg kurz. „Ich habe SPD gewählt“ sagte er knapp. „Keine Ahnung, warum die Menschen hier AfD wählen.“ Sprach‘s und fuhr weiter.
Zwei Frauen standen stellvertretend für die 55 Prozent Nicht-Wähler im Osten Bodelschwinghs. „Wir haben anders gewählt und uns für Gott entschieden“, sagte die Jüngere mit russischem Akzent. „Wir sind Zeugen Jehovas.“ Auch viele ihrer Nachbarn kämen aus Russland oder Polen, erzählt die Ältere.
Quasi als Beweis zeigte sie auf den kleinen Supermarkt direkt neben der Kita, dem Wahllokal: Der Lebensmittelmarkt Wostok existiert hier bereits seit den 90er-Jahren. Die Frau an der Kasse war beim Hinweis auf das Wahlergebnis wenig überrascht.

Sie hätten über das Thema an jenem Morgen nach der Wahl schon gesprochen, sagte sie. „Eine Erklärung ist: Die AfD ist loyal gegenüber Putin. Das unterscheidet sie von den anderen Parteien. Ich nehme an, deswegen wählen sie die AfD.“
Viele Menschen mit osteuropäischen, vor allem russischen Wurzeln würden in der Siedlung leben, sagt auch sie. Der Wohnraum sei preiswert, der Spar- und Bauverein habe den Bestand saniert und es sei ruhig. „Das ist hier ein Wohnen auf dem Dorf.“ Sie selbst wohnt nicht in der Siedlung und die AfD habe sie auch nicht gewählt, betonte die Frau. „Putin kommt für mich nicht infrage.“
Kein halbes Jahr später griff Russland die Ukraine an. Bei einem neuerlichen Besuch im Februar 2022 herrschte auf der Straße wie im Supermarkt eisiges Schweigen. Bei der bevorstehenden Europawahl am 9. Juni wird sich zeigen, wie sich die politischen Entwicklungen der vergangenen zwei Jahre auswirken, wie loyal die Bewohner zu Putin stehen. Am Wattenscheidskamp, dem Stimmbezirk mit den höchsten Ergebnissen für die AfD in ganz Dortmund.