Am 25.7. kommen die Abrechnungen für das erste Quartal 2023. „Da werden einige Kollegen sicher eine böse Überraschung erleben“, vermutet Dr. Prosper Rodewyk. Er betreibt zusammen mit Kollegen eine hausärztliche Gemeinschaftspraxis in Hörde und ist Dortmunder Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe.
Deren Vorstandsvorsitzender Dirk Spelmeyer warnt aktuell: „Vielen Ärzten und Psychotherapeuten steht das Wasser inzwischen bis zum Hals.“ Wenn die Krankenkassen bei der nächsten Verhandlungsrunde nicht mehr Kosten ausgleichen würden, „könnte in einigen Praxen bald das Licht ausgehen“. Auch in Dortmund?
Gleiches Geld seit 1996
Nun ja, vielleicht, erklärt Prosper Rodewyk. Jedenfalls sei die Forderung nach mehr Geld angebracht. Die Gebührenordnung, nach der man Leistungen für Privatpatienten abrechnen könne, sei seit 27 Jahren nicht mehr angefasst worden - seit 1996 also. Und auch was die gesetzlich Versicherten angehe, hätten die Krankenkassen Jahr für Jahr hart verhandelt.
„Da ist man mit 0 Prozent in die Verhandlungen gegangen“, ärgert sich Rodewyk. Und das bei den gestiegenen Kosten, die nicht nur auf höhere Strom- und Gaspreise zurückgingen.
Deutlich höhere Personalkosten
„Wir haben alleine Gehaltssteigerung von sechs bis neun Prozent - und es steht im Gesetz, dass die Krankenkassen solche Mehrkosten ausgleichen“, stellt Rodewyk klar. Zudem: Die Abrechnung, die bald in die Praxen komme, sei die erste echte für die Zeit nach der Corona-Pandemie.
2020, 2021 und 2022 habe es Geld gegeben für all die Mehrleistungen im Kampf gegen Covid-19, für die Abstriche und die Impfungen. „Das ist sicher Geld, an das sich manche Kollegen über die Jahre schon gewöhnt haben.“ Und dann ist da noch die Neupatienten-Regelung. Beziehungsweise: Die sei eben nicht mehr da.
Pro Patient und Quartal 64 Euro
Die hatte Arztpraxen versichert: Wenn ihr neue Patienten aufnehmt, bekommt ihr das Geld dafür aus einem Extra-Topf. Der Gedanke dahinter: Menschen sollten schneller an Termine in den Praxen kommen. Allerdings: Zum Jahresanfang 2023 wurde das abgeschafft.
Pro Patient und Quartal erhalte eine Praxis 60 bis 64 Euro, rechnet Rodewyk modellhaft vor. „Ob Sie mit einem Herzinfarkt zu mir kommen oder mit einem Schnupfen - ich bekomme das gleiche Geld.“ Bei einer Praxis mit 1000 Patienten mache das rund 60.000 Euro.
Personalkosten, Rente, Steuern
Knapp über 50 Prozent davon würden für die Kosten draufgehen: Personal, Strom, weitere Kosten. Heruntergerechnet auf einen Monat blieben rund 10.000 Euro übrig. Aber das könne sich der Arzt bei Weitem nicht alles als Gehalt auszahlen.
Steuern gingen herunter, die Renten- und Sozialversicherung, zudem „stehst du als Arzt immer mit einem Bein im Gefängnis“, urteilt Rodewyk.
Rückzahlung an Krankenkasse
Einerseits solle man den Patienten die bestmögliche Versorgung zur Gesundung bieten. Andererseits laute die Formulierung im Sozialgesetzbuch „ausreichende Versorgung“. Klar: Die Krankenkassen schauen genau auf die Ausgaben.
„Und dann kann es schnell heißen: Du verordnest zu viel.“ Wenn Medikament und Diagnose nicht genau zusammenpassen würden, stelle die Krankenkasse einen Regressantrag - „und dann kommen noch 1000 oder 2000 Euro auf uns zu, die wir zurückzahlen müssen“, verdeutlicht Rodewyk.
Ärzte könnten auch streiken
„Ein Abteilungsleiter in der Privatwirtschaft verdient mehr“, vergleicht Rodewyk. Wenn in einem Monat die neuen, niedrigeren Abrechnungen kommen, könne es gut sein, dass auch die niedergelassenen Ärzte sagen: Wir streiken jetzt. „Wenn jetzt schon die Apotheker streiken“, könne das durchaus sein, schätzt der Bezirkssprecher.
„Corona hat in den letzten Jahren einiges kaschiert“, so Rodewyk. Ansonsten - da ist er sich sicher - wäre der Protest der Ärzte schon früher laut geworden.
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