Saida, 7 Jahre alt, wartet seit 372 Tagen auf einen Schulplatz in Dortmund. Für sie steht einer der 400 Stühle am Donnerstagvormittag (4.5.) auf dem Nordmarkt in der Nordstadt; denn in ganz Dortmund fehlen zurzeit rund 400 Schulplätze. Bei den Kitas sieht es noch schlimmer aus. Hier warten etwa 3000 Kinder auf eine außerfamiliäre Betreuung.
Mit der Aktion „400 Stühle“ machten der Planerladen und die ILS Research gGmbH gemeinsam mit zwölf Institutionen und ihren Ständen die Dimension der fehlenden Schul- und Betreuungsplätze sicht- und erfahrbar – ein Anstoß, das Thema stärker ins öffentliche Bewusstsein zu rücken und mit relevanten Akteuren und Betroffenen in den Austausch zu kommen, erläuterte Dennis Zilske vom Planerladen. „Es hilft schon, dass viele Akteure merken, dass sie nicht allein sind mit dem Thema.“
16 Klassen der benachbarten Nordmarktschule hatten eigens für die Aktion ihre Stühle zum Nordmarkt getragen und ihre Mittagspause im Klassenzimmer auf dem Boden verbracht.
Ankunftsstadtteil
Tim Klockenbusch vom Sozialen Zentrum Dortmund, das im letzten Jahr 6000 Familien beraten und begleitet hat, berichtete von einer alleinerziehenden fünffachen Mutter, die aus Dortmund wegziehen musste, weil sie für zwei Kinder keinen Schulplatz bekommen hatte.
Kinder der Kita Weltenbummler in der Lortzingstraße erzählten den zahlreichen Besuchern der Aktion, was sie in der Kita erleben und was anderen Kindern ohne Kitaplatz entgeht. „Wir haben einen Rucksack und lernen schon ein bisschen schreiben“, sagte Orhan (6). „Wir waren auch schon bei der Polizei und haben die Ampel gelernt“, ergänzte Kilian (6). Basteln, Turnen und draußen Toben gehören zum Kita-Alltag.
Gerade die Nordstadt als Ankunftsstadtteil hat in Dortmund die höchsten Geburtenraten, hier wohnen die meisten jungen Menschen. Doch die Startvoraussetzungen, was die Bildung betrifft, sind vor allem in der Nordstadt eher schlecht. Das Problem werde nicht gesehen, kritisierte Bezirksbürgermeisterin Hannah Rosenbaum (Grüne), es gehe nicht nur um Chancen, sondern um Gerechtigkeit. Auch wenn das Geld koste: „Es gibt keine bessere Investition als in die Bildung von Kindern.“

Mit Piktogramm aufs Klo
Es mache einen großen Unterschied, ob die Kinder auf die Grundschule vorbereitet werden oder nicht, wusste Tim Klockenbusch eindringlich aus der Praxis zu berichten: „Das macht was mit den Bildungs- und Lebenschancen, wenn Kinder in der ersten Klasse Schilder mit Piktogramm hochhalten, wenn sie aufs Klo müssen. Sonst machen sie auf den Stuhl.“
Neben Schul- und Betreuungsplätzen fehlen in der Nordstadt auch Kinderärzte. Die Stadt und das Land NRW haben bereits verschiedene Projekte angestoßen. Doch es wird noch Jahre dauern, bis alle umgesetzt sind.
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