Sebastian Otten (34) ist verärgert. Mehr als 30 Tage seien in der Kita am Bruchheck in Hörde im vergangenen Jahr Gruppen geschlossen gewesen. „Es kam im letzten Jahr tatsächlich auch vor, dass morgens Eltern zur Kita gekommen sind und dann vor der Tür abgewiesen wurden mit den Worten: Nee, tut mir leid, heute muss ich Ihre Gruppe schließen“.
Dabei sind Sebastian Otten und seine Frau, die vor kurzem zum dritten Mal Eltern geworden sind, auf die Betreuung ihres Sohnes, der im Mai vier Jahre alt wird, angewiesen. Die elfjährige Tochter besucht die weiterführende Schule und jetzt müssen sie sich auch um das neugeborene Kind kümmern. Beide Elternteile sind berufstätig und müssen sich daher auf eine verlässliche Betreuung verlassen.

Doch genau daran hapert es. Petra Bock argumentiert für die Awo mit einem hohen Krankenstand, der Schließungen „im Einzelfall unvermeidbar“ mache. Auf die geschilderten einzelnen Vorkommnisse in der Awo-Kita geht sie nicht ein.
Petra Bock verweist vielmehr auf eine generelle Problematik: „Wir haben es im Kitabereich mit einem sensiblen Arbeitsfeld zu tun, in dem der Kinderschutz ernst genommen wird und hohe Auflagen bei der Betreuung von Kindern bestehen. Kitaleitungen und Träger müssen daher verantwortungsvolle Entscheidungen treffen, die auch Schließungen einzelner Gruppen oder Einrichtungen bedeuten. Dadurch kann ein Spannungsfeld zwischen der Sicherheit und dem Schutz der Kinder versus einer konstanten Betreuungssituation entstehen.“
Notfall-Pläne mit einem Rotationsprinzip
Das klingt verantwortungsvoll, löst aber das Problem der Eltern nicht, zumal Sebastian Otten kein Einzelfall ist, wie unsere große Umfrage gezeigt hat. Verkürzte Öffnungszeiten, geschlossene Gruppen und Notfall-Pläne mit einem Rotationsprinzip (in der ersten Woche darf das Kind an drei Tagen kommen, in der zweiten nur an zwei Tagen) treiben Eltern regelmäßig in die Verzweiflung.
Wie groß das Problem tatsächlich ist, zeigt ein Blick in die Statistik des Landesjugendamts, das zum Landschaftsverband Westfalen-Lippe gehört. Demnach meldeten die 333 Dortmunder Kitas zwischen dem 1. Januar 2024 und dem 21. Februar 2025 insgesamt 926 Einschränkungen der Betreuungszeiten.
In 478 Fällen wurde die Öffnungszeit gekürzt. Das heißt: Morgens durften die Kinder erst später kommen und/oder am Nachmittag mussten sie früher abgeholt werden. In 17 Fällen wurde eine Kita ganz geschlossen, in 334 Fällen waren einzelne Gruppen geschlossen und 142 Mal wurde die Zahl der Kita-Plätze verkleinert. In einigen Fällen gab es gleich mehrere Maßnahmen zugleich.
Kita-Wahlfreiheit nur auf dem Papier
Nun haben Eltern ja im Prinzip die Wahl, sich die Kita frei auszusuchen, in die sie ihr Kind schicken wollen. Dieses Wahlrecht scheint allerdings in der Realität vielfach nur auf dem Papier zu stehen.
Als wir bei unserer Umfrage wissen wollten, aus welchem Grund sich Eltern für eine bestimmte Kita entschieden haben, antworteten 36 Prozent, dass sie sich für die Kita entschieden haben, die als nächstes zur eigenen Wohnung liegt. Das ist verständlich, aber: Knapp 22 Prozent antworteten, dass es nur in dieser Kita einen freien Platz gegeben habe. Eine Alternative habe es für sie also gar nicht erst gegeben.
Überforderte Führungen und Ideenlosigkeit
So war das auch bei Sebastian Otten: „Die Kita wurde uns zugewiesen. Über die Anmeldung im Kita-Portal ist der Prozess weitgehend anonymisiert, andere Kitas lehnten ab, diese sagte zu.“ Dabei sei die Kita Am Bruchheck prinzipiell ja durchaus attraktiv: „die Lage, die ÖPNV-Anbindung und das große Außengelände“, seien ja interessant, sagt Sebastian Otten und lobt auch das Fachpersonal, das „bei stattfindender Betreuung herausragende Arbeit macht“.
Aber allzu oft gebe es eben keine Betreuung und das sei das Problem: „Die Führung ist überfordert, ideenlos und indiskutabel fehl am Platz“, sagt Otten. Und was ist mit dem jüngsten, gerade erst geborenen Sohn? „Die Frage stellt sich für uns kaum. Er wird, wenn die Zusage gegeben wird, die gleiche Kita besuchen“, sagt Otten. Die logistischen Herausforderungen bei drei Kindern und zwei arbeitenden Eltern seien sonst einfach zu groß.
1800 Kitaplätze fehlen
Das Angebot an Kitaplätzen reicht noch immer nicht aus. Wie die Stadtverwaltung auf Anfrage mitteilte, fehlten Ende 2024 in Dortmund noch immer 1.813 Plätze für Kinder unter drei Jahren und 1.070 Plätze für Kinder über drei Jahren, um die angestrebte Angebotsquote bei den Ü-3-Kindern und 100 Prozent, und die 50-Prozent-Quote bei den U-3-Kindern zu erfüllen.
Zur Erinnerung: Jedes Kind, das ein Jahr alt ist, hat einen Rechtsanspruch auf einen Platz in einer Kita oder in einer Kindertagespflege. Jedes Kind, das drei Jahre alt oder älter ist, hat einen Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz.
42 neue Kitas in zehn Jahren
Um diesen Rechtsanspruch erfüllen zu können, sollen in Dortmund auch in den nächsten Jahren noch zahlreiche weitere Kitas gebaut werden. Das setzt den Ausbau-Boom fort, der in den vergangenen zehn Jahren eine rasante Entwicklung genommen hat.
Seit 2015 wurden 42 neue Kitas in Dortmund mit 182 Gruppen gebaut. Insgesamt gibt es aktuell laut Stadt Dortmund 333 Kitas mit 1.140 Gruppen und 22.263 Plätzen. Die Zahl der hier betreuten Kinder stieg seit 2015 im U-3-Bereich um 1.272 auf jetzt 4.514 Plätze, im Ü-3-Bereich sogar um 3.107 auf 17.749 Plätze.
Im gleichen Zeitraum ist die Zahl der in Kitas Beschäftigen ebenfalls stark gestiegen. Im März 2015 waren knapp 3.000 pädagogische Fachkräfte dort tätig, im März 2024 waren es rund 4.400. Und es werden weiterhin Fachkräfte gesucht.
Die Stadtverwaltung schätzt, dass rund 100 pädagogische Fachkräfte in Dortmund fehlen. Das Ergebnis dieses Mangels ist dann in nicht wenigen Fällen eben eine von vielen Eltern beklagte „Notbetreuung“.
665 Tage Notbetreuung in Dortmund
Allein in den drei Monaten zwischen November 2024 und Januar 2025 gab es in 80 Dortmunder Einrichtungen für insgesamt 665 Tage in 253 unterschiedlichen Zeiträumen aufgrund personeller Unterbesetzung eine Notbetreuung. In 78 Gruppen gab es in diesen drei Monaten für insgesamt 192 Tage eine Notbetreuung, und zwei Kitas mussten sogar komplett für insgesamt zehn Tage schließen.
Für die Eltern bedeutet Notbetreuung und Schließung oftmals eine Katastrophe, Ärger mit dem Chef oder der Chefin und Betteln um Hilfe bei Großeltern, Freunden und Bekannten.
Da kommt es dann vor, dass der Frust bei den Betroffenen endgültig überkocht: Sebastian Otten ärgert es zum Beispiel maßlos, dass „seine“ Awo-Kita am Bruchheck trotz der vielen Schließungstage, die seiner Einschätzung nach weit über das gesetzlich Erlaubte hinausgingen, und trotz Grippewelle, weiter an den „Konzeptionstagen“, an denen die Kita geschlossen bleibt, festhalte.
„Zu Lasten der Kinder“
Und wegen der Demo in Düsseldorf sei die Kita im November auch geschlossen worden. Grundsätzlich sei es ja okay, wenn man für seine Interessen demonstriere: „Aber wenn man eh schon so viele Schließungstage hat, fange ich langsam an, den Glauben zu verlieren.“ Schließlich gehe all das nicht nur zu Lasten der Eltern, sondern auch der Kinder.
Welche Kita-Erfahrungen haben Sie gemacht?
Sie erreichen uns ganz einfach per WhatsApp unter der 0160 331 390 3 oder per Mail unter leserreporter@ruhrnachrichten.de, wenn Sie uns Ihre Ansicht zum Thema des Artikels, Ihre Erfahrungen mit Kitas in Dortmund oder Ihre Anregungen zur Serie zukommen lassen möchten.
Alle bislang erschienenen Serien-Teile finden Sie unter rn.de/kita-check