Es gibt ja eine neue Zeitrechnung, sag ich gerne. Vor Corona und nach Corona. Vor Corona war nach unserem Verständnis die Welt noch in Ordnung – abgesehen von den 1000 unbedeutenden Problemen, die wir hatten und von denen wir dachten, sie wären bedeutend.
Vor Corona konnte man im Wartezimmer husten, ohne total vorwurfsvoll angeguckt zu werden. Man konnte mit Apothekern sprechen, ohne eine Scheibe dazwischen und keiner wusste in der Gastronomie, wieviel Zentimeter es bis zum nächsten Tisch sind. Heute wissen wir das.
Wir sind jetzt im Nach-Corona-Zeitalter angekommen und jetzt ist alles anders. Aus Work-Life-Balance wurde Life-Work-Balance. Und aus „Hartz“ wurde Grundsicherung. Viele Menschen fanden das gar nicht schlimm, viel Zeit zuhause zu verbringen. Das einzige Problem war: Wer bezahlt im Home Office den Kaffee?
Overkamps Lecka-reien
Warum schmeckt westfälische Küche so „lecka“ und wie führt man ein Traditions-Gasthaus? Darüber - und über manches mehr - schreibt Koch Günther Overkamp in seiner Kolumne „Overkamps Lecka-reien“. Hier finden Sie alle Folgen.
Jetzt haben wir den Salat, sind in der neuen Zeitrechnung und müssen akzeptieren, dass die Menschen mehr mit sich selbst beschäftigt sind. Fitness-Studios und Eiweißpulver-Hersteller florieren.
Die Digitalisierung hat durch die Online-Konferenzen auch einen unheimlichen Schub erhalten – außer in der Schule – und jetzt kommt auch noch die KI dazu und soll Arbeit ersetzen.
„Wir sind so gerne analog“
Aber wir Gastros sind doch eigentlich so schrecklich gerne analog, so wohltuend, dienend, herzlich, beratend, begrüßend, verabschiedend und überhaupt zugewandt. Alles sehr analog.
Aber jetzt müssen wir uns selbst beschneiden. Viele Mitarbeiter sind abgewandert und hinterlassen Lücken, die durch verkürzte Arbeits- und Öffnungszeiten, durch Roboter, Automaten oder Convenience-Food aufgefangen werden müssen.
Bald nur noch 4-Tage-Woche?
Viele Gastronomien sind verschwunden oder werden verschwinden, die meisten öffnen nicht mehr 6 Tage in der Woche und manche nur oder gar nicht am Wochenende. Die 4-Tage-Woche schwebt über allem. Und es gibt sogar Bäcker, die erst um 12 Uhr aufmachen. Bäcker! Aberwitzig, wo man eigentlich schon um 7 Uhr seine Brötchen holen konnte.
Diese Welt ist neu, diese Welt ist anders. Es gilt für jeden Gastronomen, der eine Familien-Gastronomie leitet, seine Zukunft neu zu erfinden. Ich habe Vertrauen darauf, dass auch in Zukunft, egal wie stark die Digitalisierung uns beeinträchtigt, Menschen soziale Kontakte suchen. Und ich habe auch Vertrauen darauf, dass in Zukunft Menschen handgemachtes Essen schätzen werden.
Die Gastro-Welt erhalten
Wenn die Behörden uns noch lassen – wer weiß, ob man in fünf Jahren noch per Hand ein Bier zapfen darf, ohne dass nach jedem Zapf-Vorgang der Zapfhahn desinfiziert werden muss – also wenn sie uns lassen, dann werden wir nicht müde, diese unsere Gastro-Welt, aus meiner Sicht die schönste aller Welten, zu erhalten und zu fördern.
Alle können dabei helfen! Ich möchte da noch mal eine meiner Lieblings-Weisheiten anbringen dürfen: Was du erhalten willst, musst du auch essen und trinken. Und das gilt genauso auch für Kneipen und Gastros!
In diesem Sinne: Bis denne!
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