Ein Kaufinteressent bietet 1 Million Euro beim Zwangsversteigerungstermin für den Wulfener Markt. Doch die Stadt Dorsten will mehr.

Wulfen-Barkenberg

, 25.10.2019, 20:00 Uhr / Lesedauer: 4 min

Frau Müller eröffnet pünktlich: Um 9 Uhr beginnt der Zwangsversteigerungstermin für den Wulfener Markt im Sitzungssaal 105 des Amtsgerichts. Sie ist Rechtspflegerin am Amtsgericht Dorsten.

Ein Bieter aus Heinsberg hat für den Wulfener Markt eine Million Euro geboten.

Ein Bieter aus Heinsberg hat für den Wulfener Markt eine Million Euro geboten. © Guido Bludau

Zur Linken: die Bieter. Es sind fünf, die an diesem Freitagmorgen dort Platz nehmen. Zur Rechten: die Gläubiger. In erster Linie die Stadt Dorsten mit ihrem Kämmerer Hubert Große-Ruiken, der auch gleichzeitig Geschäftsführer der Entwicklungsgesellschaft Wulfen ist. Neben ihm Vertreter von Hypothekenbanken.

Ein paar Bieter hatten vor den Zuschauern Platz genommen.

Ein paar Bieter hatten vor den Zuschauern Platz genommen. © Claudia Engel

Im Publikum: Ein paar Bieter mehr und zahlreiche Menschen aus Barkenberg sowie Neugierige, die wissen wollen, wie die Zwangsversteigerung einer Immobilie läuft. Der Saal ist voll.

Hubert Große-Ruiken, Stadtkämmerer, bot für die Stadt Dorsten strategisch mit.

Hubert Große-Ruiken, Stadtkämmerer, bot für die Stadt Dorsten strategisch mit. © Claudia Engel

Die Ladenpassage und der Wohnhauskomplex Wulfener Markt, um die es hier geht, ist eine Schrottimmobilie. Das Gebäude ist im schlimmen Zustand. Frau Müller macht daraus keinen Hehl:. Es ist ihre Aufgabe als Verhandlungsführerin, kein Blatt vor den Mund zu nehmen, auch wenn das die Gläubiger vielleicht nicht freuen dürfte. „Sie übernehmen nicht nur das Gebäude, sondern auch die Rechte und Pflichten aus dem Gebäude“, sagt sie.

15 Millionen Euro Hypothekenlasten

Das sind einige. Wobei die 15 Millionen Euro Hypothekenlasten nicht auf den Erwerber übergehen. „Das ist mit der Zwangsversteigerung erledigt“, sagt Frau Müller den Bietinteressenten. Die Vertreter der Banken sind nicht amüsiert.

Aber es gibt noch Verbindlichkeiten, auf die die Stadt Dorsten äußersten Wert legt. Dazu zählen im Grundbuch eingetragene erstrangige Erbpachtbeträge und Zinsen. Die Entwicklungsgesellschaft Wulfen ist Eigentümerin des Grundstücks. Ihr Geschäftsführer ist Stadtkämmerer Hubert Große-Ruiken.

Diese Beträge schlagen schon mal mit circa 90.000 Euro für das Jahr 2019 zu Buche. Und die müsste derjenige, der den Zuschlag für das Höchstgebot bekommt, umgehend, noch in diesem Jahr, an die Stadt Dorsten abführen. Danach noch mal 56 Jahre lang. Solange bestehen noch Erbpachtrechte für das Grundstück.

Kämmerer Hubert Große-Ruiken blickt interessiert in die Runde der Bieter. Seine Stadtkasse ist leer. Einige Bieter schauen sparsamer.

Symbolischer Wert der Immobilie: 1 Euro

Denn den Verkehrswert des Laden- und Wohnungskomplexes am Wulfener Markt hat der Gutachter auf einen symbolischen Betrag festgelegt: 1 Euro. Das ist aber nicht etwa der Betrag, bei dem die Bieter ihre Hand erheben dürften. Sie müssen mindestens 16.213 Euro nennen: „Die Rechte aus dem Grundbuch müssen ohne Wenn und Aber übernommen werden. Deshalb wird ein fiktiver Wert festgelegt.“ Sozusagen ein Vorgeschmack auf das, was sonst noch auf den neuen Eigentümer einprasselt. Dazu kommen „Kleinigkeiten“ wie die Grunderwerbssteuer: 6,5 Prozent.

Abriss wäre teurer als die Sanierung des Baus

Potenziellen Bietern, die gerne abreißen und was Neues hinstellen möchten, nennt Frau Müller ein paar Zahlen. Der Abriss ist teurer als die Sanierung, hat ein Baugutachter festgestellt. Für die Sanierung der Wohnungen hat er etwa 1,7 Millionen Euro veranschlagt. Ein Abriss der Gebäudesubstanz, das fände die Stadt ganz toll, würde doppelt so teuer. Gutachter vermuten bestimmte Schadstoffe im Gemäuer, in den Decken, Böden, Wänden. Das kostet.

Kaufinteressent bietet 1 Million Euro für den Wulfener Markt - doch die Stadt will mehr

© Claudia Engel

Frau Müller beginnt die Vorzüge der Immobilie aufzuzählen: 120 Wohnungen. Alle stehen leer. Die Läden und Kioske auch. Außerdem gibt’s noch reichlich Tiefgaragenstellplätze. Auf denen steht seit Jahren kein Auto mehr. Denn alles ist im sichtbar maroden Zustand. Das Einkaufszentrum zerbröckelt vor den Augen der Wulfen-Barkenberger. Die sehnen das Ende der schlechten Zeiten auf ihrem Markt herbei.

Die Bieterrunde wird um 10.01 Uhr eröffnet

Eine Stunde des Verfahrens ist rum. Jetzt geht es ans Eingemachte. Frau Müller eröffnet die Bietezeit: „Es ist 10.01 Uhr, nach 30 Minuten endet die Bietezeit frühestens. Also um 10.32 Uhr.“ Frau Müller hat zuvor noch ein paar Formalitäten genannt und dass sie kein Problem damit hat, wenn zügig geboten wird, nachdem sich die Bieter nach dem Erstgebot persönlich vorgestellt haben: Namen, Personalien, Vollmachten, all das will Frau Müller erst sehen. Danach dürfen die Bieter im Sitzen die Hand heben.

Dann das erste Gebot. Die Zuschauer reißen die Augen auf. „Dass die so hoch einsteigen...“ Ein Herr markiert seine Ansprüche und bietet: 200.000 Euro. Ein weiterer aus Heinsberg lächelt. Er hat mehr in der Hinterhand und erhöht auf 250.000 Euro. Bieter Nummer 3 kommt aus Herne und sattelt 50.000 Euro drauf. Hubert Große-Ruiken und seine Begleiter zücken ihre Taschenrechner und tippen Zahlenkolonnen ein. Sie wollen mehr. Viel mehr. „Wir bieten 325.000 Euro“, sagt Große-Ruiken.

Die Stadt bietet fröhlich mit

Der erste Bieter erhöht auf 350.000 Euro. Die Stadt übertrumpft ihn: 375.000 Euro. Das lockt den Bieter aus Herne aus der Reserve: 400.000 Euro. Hubert Große-Ruiken guckt noch nicht tiefenentspannt. Da geht doch mehr? Der Mann aus Heinsberg deutet den Lockruf richtig: 425.000 Euro. Und dann geben Herne und Heinsberg im Wechsel Gas. Es ist spürbar: Die beiden wollen den Wulfener Markt. Unbedingt.

Einige der Bieter im Gerichtssaal: Der zweite von rechts gab das höchste Gebot ab. Ein Vertreter eines Unternehmens aus Heinsberg.

Einige der Bieter im Gerichtssaal: Der zweite von rechts gab das höchste Gebot ab. Ein Vertreter eines Unternehmens aus Heinsberg. © Claudia Engel

Hubert Große-Ruiken stachelt sie an: 500.000 Euro! „Die wollten wir mindestens haben“, verrät er später. Seine Rechnung geht auf. Herne und Heinsberg machen weiter. Mal sind es 25.000 Euro, mit denen sie sich gegenseitig überbieten, dann wieder nur 5.000 Euro. Die 1-Million-Grenze naht. Der Mann aus Herne nennt 999.999 Euro. Er wirkt erhitzt.

Die Miene des Kämmerers entspannt sich

Hubert Große-Ruiken schaut freudig. Umso mehr, als Heinsberg noch einen Euro draufgibt: 1 Million. Herne ist raus. Doch Heinsberg kriegt den Zuschlag nicht. Noch nicht. Denn die Stadt als Hauptgläubigerin macht von ihrem Recht Gebrauch und stellt den Antrag, den Zuschlag auszusetzen. Das heißt: Einen Verkündungstermin gibt es erst in drei Wochen, wie Frau Müller sagt.

Zeit für die Bieter und die Stadt, miteinander ins Gespräch zu kommen. „Aus monetären Gründen bin ich überglücklich. Doch wir als Stadt wollen eine städtebauliche Lösung. Wir müssen reden“, sagt Hubert Große-Ruiken in Richtung von Heinsberg. Der Vertreter der B&M Grundbesitz Gesellschaft Heinsberg ist einverstanden. Zuvor hatte er noch gesagt: „Die Wohnungen sind erhaltenswert“ und ruft mit dieser Ansage ungläubige Blicke im Publikum hervor.

Zuschlag wird frühestens in drei Wochen gewährt

Ob Stadt und Investor zusammenkommen? Alles ist möglich. Die Stadt hat deutlich gemacht: „Ohne uns läuft am Wulfener Markt nichts. Wir wollen eine enge Absprache in allen Angelegenheiten.“ Neue Läden oder großflächigen Einzelhandel schließt die Stadt konkret aus. Sozialen Wohnungsbau auch. „Davon haben wir in Wulfen genug.“

Deshalb ist der Zuschlagsverkündungstermin am 7. November im Amtsgericht nicht zwingend der Tag, an dem der Wulfener Markt einen neuen Besitzer bekommt. Denn die Stadt hat als Gläubigerin die Möglichkeit, die Einstellung der Zwangsversteigerung zu beantragen, wenn sie sich mit dem Meistbietenden nicht einigen kann.

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