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Wahlkampf in Dorsten: Manchmal passt die Wahrheit auf einen Bierdeckel
Europawahl
Der Marktplatz in der Altstadt gehört an den Samstagen vor der Europawahl den Parteien. Es gibt Geschenke, Gespräche - und Erkenntnisse, die auf einen Bierdeckel passen.
Es war der CDU-Politiker Friedrich Merz, der einst mit der Forderung berühmt wurde, die Steuererklärung müsse auf einem Bierdeckel erledigt werden können. Ob das jemals so kommt? Fakt ist: Vorurteile passen darauf.

Wahlkampf mit Bierdeckeln bei den Grünen. Jede dumpfe Behauptung hat auch eine Kehrseite. © Stefan Diebäcker
„Wir können nicht alle aufnehmen“, ist eine von sieben Behauptungen, die die Grünen auf Bierdeckel haben drucken lassen. „Die Fakten gegen solche Parolen stehen auf der Rückseite“, sagt Fraktionsvorsitzende Susanne Fraund mit einem Augenzwinkern. Und drückt ihrem Gegenüber noch ein kleines Tütchen mit Blumensamen in die Hand. „Bienenfreundlich!“ Natürlich.
Auf dem Marktplatz ist es bunt
Der Marktplatz in der Altstadt am Samstagvormittag. Die Markthändler sind wegen der Baustelle mit Obst und Gemüse in die Lippestraße und zum Lippetor-Platz umgezogen, bunt ist die Mischung zwischen Glockenspielhaus und altem Rathaus trotzdem. Grün, dann Rot, dann Gelb. Blau fehlt, wird aber offenbar nicht vermisst.
Schwarz hat unterdessen einen Stehtisch mit Sonnenschirm in der Lippestraße aufgebaut. Abstand halten und auf Tuchfühlung gehen mit den Passanten, die dort ihre Einkäufe erledigen. „Es ist wichtig, mit den Menschen zu reden“, sagt CDU-Pressesprecher Ludger Samson. Das sagen alle Politiker. „Und es ist wichtig, am nächsten Sonntag zur Wahl zu gehen.“ Auch das würden die Wahlkämpfer der anderen Parteien sofort unterschreiben. Manch ein Passant schüttelt zwar energisch den Kopf, „aber den Kuli nimmt er trotzdem“, sagt Samson.
„Es geht auch darum, sich sehen zu lassen“
Kugelschreiber, gelbe, gibt es auch bei der FDP. Stadtverbandsvorsitzender Lutz Ludwig hat das gute Gefühl, dass die Wahlbeteiligung besser sein wird als beim letzten Mal. Ob der Info-Stand auf dem Marktplatz dazu beiträgt, die Menschen zu mobilisieren, weiß er nicht, „aber man muss sich ja sehen lassen“.

Werner Duesmann rührt für die SPD nicht nur die Werbetrommel, sondern kurbelt auch an der Drehorgel. © Stefan Diebäcker
Auch die SPD lässt sich sehen – und von sich hören. Werner Duesmann kurbelt an der Drehorgel, Parteichefin Jennifer Schug verteilt blaue Ballons. Ja, blau sind sie und nicht rot. Es geht schließlich um Europa. Für heißen Kaffee und Kuchen für lau gibt es vielleicht einen Sympathiebonus.
„Dorsten gegen Rechts“ hat schon viele Sympathisanten
Jennifer Schug trägt einen kleinen Button. „Wir in Dorsten gegen Rechts“ steht darauf. Sie blickt nach rechts und sieht die gleichnamige Gruppe um Ruth Lange mitten auf dem Marktplatz. Sie hat schon mehr als 40 Unterstützer und hält in wechselnder Besetzung Samstag für Samstag Plakate hoch. Die AfD stand eine Woche zuvor an dieser Stelle, diesmal ist sie in Barkenberg, wie sie später via Facebook verkündet.
Verbale Konflikte gibt es trotzdem. Ein Passant fragt lautstark, wann die Machtergreifung Hitlers war. Die Demonstranten antworten mit einer Gegenfrage: „Wie viele EU-Gelder kommen nach Dorsten?“ Auch nächsten Samstag sind sie wieder auf dem Marktplatz, dann ist Pause. „Wir werden uns in Ruhe überlegen, wie es weitergeht. Nächstes Jahr ist Kommunalwahl“, sagt Ruth Lange.

Plakate aus Kinderhand: "Die Partei" sorgt im Wahlkampf für ungewöhnliche Farbtupfer. © Stefan Diebäcker
Daran denkt auch „Die Partei“ bereits. Vorsitzender Boris Benkhoff hat diesmal keinen Mecki gezeichnet, der ihm Ärger mit der AfD eingebracht hat, sondern einen „Hutbürger“. Ein bisschen Spaß muss sein. Marla, Lucia und Lenn haben mit Kinderhand kleine Wahlplakate gemalt. „Hüpfburgen für alle“, lautet eine Forderung. Das ist sogar ein bisschen ernst gemeint, aber deswegen muss niemand gleich im Dreieck springen.
Veränderungen gab es immer, doch nie waren sie so gravierend. Und nie so spannend. Die Digitalisierung ist für mich auch eine Chance. Meine journalistischen Grundsätze gelten weiterhin, mein Bauchgefühl bleibt wichtig, aber ich weiß nun, ob es mich nicht trügt. Das sagen mir Datenanalysten. Ich berichte also über das, was Menschen wirklich bewegt.
