Vom Mobbing-Opfer zum Model: Lina (15) will wachrütteln und Mut machen

© Sebastian Schreiber

Vom Mobbing-Opfer zum Model: Lina (15) will wachrütteln und Mut machen

rnMobbing

Am jahrelangen Mobbing in der Schule wäre eine 15-jährige Dorstenerin fast zerbrochen. Nach einem Klinik-Aufenthalt schöpft sie neuen Mut und appelliert an Betroffene: Holt euch Hilfe!

Dorsten

, 30.07.2021, 17:30 Uhr / Lesedauer: 2 min

I‘m ok“ steht auf dem Klebeband geschrieben, das über Linas Mund geklebt ist. Bei genauerem Hinsehen steht da aber auch „I‘m broken“. Die Inszenierung ist Teil einer Kampagne, die wachrütteln soll. Denn Lina (15) aus Dorsten wäre tatsächlich fast zerbrochen am jahrelangen Mobbing in der Schule. Sie hat sich aber zurück ins Leben gekämpft und will nun andere Mobbing-Opfer ermuntern, sich Hilfe zu suchen.

Jetzt lesen

Bei Lina beginnt es in der 3. Klasse. Mitschüler sagen ihr, sie sei zu dick, obwohl Lina immer sportlich war. Sie hört auf, ihre Pausenbrote zu essen, schmeißt sie weg oder versteckt sie in ihrem Zimmer. Lina entwickelt eine problematische Einstellung zum Essen, wiegt heute bei einer Körpergröße von 1,64 Meter etwas mehr als 40 Kilogramm.

Auf der weiterführenden Schule wird es noch schlimmer

Sie hofft, dass der Psychoterror mit dem Wechsel auf die weiterführende Schule aufhört. Das Gegenteil ist der Fall. Lina erfährt nun auch körperliche Gewalt. Es sind immer dieselben Jungs, die ihr das Leben zur Hölle machen. Sie versuchen, Lina in Mülleimer zu stopfen, und schlagen sie. Zu Hause nach den blauen Flecken gefragt, erzählt sie, dass die aus dem Sportunterricht stammen.

Jetzt lesen

Aber auch die psychische Gewalt nimmt zu dieser Zeit eine neue Dimension an. Die Mobber wissen, dass Linas Mutter an Krebs erkrankt ist und sagen ihr nun ständig, dass ihre Mutter sterben werde. Lina bekommt Morddrohungen, teilweise von völlig Fremden. Es sind Freunde der mobbenden Mitschüler, die ihr auf Instagram Nachrichten schreiben und den Tod wünschen.

Lina und ihre Mutter haben ein sehr enges Verhältnis. Dennoch sagte die 15-Jährige lange nicht, wie sehr sie unter dem Mobbing in der Schule zu leiden hatte - auch aus Sorge, dass es ihrer krebskranken Mutter deswegen noch schlechter gehen könnte.

Lina und ihre Mutter haben ein sehr enges Verhältnis. Dennoch sagte die 15-Jährige lange nicht, wie sehr sie unter dem Mobbing in der Schule zu leiden hatte - auch aus Sorge, dass es ihrer krebskranken Mutter deswegen noch schlechter gehen könnte. © Robert Wojtasik

„Es war einfach der Horror für mich“, sagt die 15-Jährige, „in der Schule bin ich auch massiv abgestürzt damals.“ In der 7. Klasse denkt sie erstmals über Suizid nach. „Ich habe mir Gedanken gemacht, wie es wäre, wenn ich gehen würde“, sagt sie. „Ob das nicht vielleicht besser wäre.“ Später bekommt Lina Panikattacken und Krampfanfälle.

Lange vertraut sich Lina niemandem an und sagt, dass es ihr gut gehe. Das bereut sie heute. Erst als der Hausarzt letztes Jahr im Beisein ihrer Mutter nachhakt, ob etwas mit ihr nicht stimme, offenbart sie sich zum ersten Mal und erzählt auch von ihren düsteren Gedanken.

Drei Monate in der Tagesklinik

Drei Monate verbringt Lina anschließend in einer Tagesklinik. Danach geht es ihr deutlich besser. Ihrem Freund schenkt sie ein Fotoshooting bei Sebastian Schreiber. Als sie dem Fotografen beim Shooting ihre Geschichte erzählt, hat der die Idee zur Anti-Mobbing-Kampagne.

Fotograf Sebastian Schreiber wurde früher selbst gemobbt. Er hatte die Idee zu der Anti-Mobbing-Kampagne mit Lina als Model.

Fotograf Sebastian Schreiber wurde früher selbst gemobbt. Er hatte die Idee zu der Anti-Mobbing-Kampagne mit Lina als Model. © Michael Wischke

„Vor 25 Jahren war ich selbst Mobbingopfer“, sagt der Fotograf aus Mülheim an der Ruhr. „Das kam dann wieder durch.“ Mit der Aktion habe er Lina Stärke vermitteln wollen. Die 15-Jährige wurde von Schreibes Frau, einer professionellen Maskenbildnerin, geschminkt und von dem Fotografen durchaus ausdrucksstark und provokant in Szene gesetzt. Die Bilder veröffentlicht er in Sozialen Netzwerken.

Jetzt lesen

„Ich möchte betroffenen Kindern sagen, dass man sich unbedingt Hilfe suchen sollte“, sagt Lina. „Weil ich finde, dass das Thema Mobbing viel zu selten aufgebracht wird.“

Beim Shooting für die Anti-Mobbing-Kampagne war auch ein Fernsehteam dabei. Dazu das Gespräch mit der Zeitung. Und demnächst läuft Lina als Model für eine Modedesignerin aus Duisburg. All das war bis vor Kurzem undenkbar. Mit jeder Aktion, die die 15-Jährige meistert, wächst nun ihr Selbstbewusstsein. Auch in der Schule ist sie wieder besser geworden, was sie besonders stolz macht. „Ich habe lange darum gekämpft“, sagt Lina. „Jetzt denke ich immer öfter: Wow, was man alles schaffen kann!“

Hilfe für Betroffene

  • Mobbing-Opfer können sich in Dorsten an die Schulpsychologische Beratungsstelle der Stadt wenden. Die Beratung ist freiwillig und unterliegt der Schweigepflicht. Telefonsprechstunde unter Tel. (02362) 664 602 jeden Dienstag von 15.30 bis 16.30 Uhr und jeden Mittwoch von 13 bis 14 Uhr (nicht in den Ferien) oder schulpsychologie@dorsten.de.
  • Schnell, anonym und kostenlos bekommen Betroffene auch Hilfe bei der MobbingLine NRW, dem zentralen Mobbing-Telefon des Landes, unter Tel. (0211) 837 1911 (Montag bis Donnerstag von 16 bis 20 Uhr).
  • Beim Verein „Zeichen gegen Mobbing“ mit Sitz in Gronau gibt es nützliche Tipps und Ansprechpartner für Schüler, Lehrkräfte und Eltern: www.zeichen-gegen-mobbing.de