Richterin Lisa Hinkers sagte am Freitag, dass sie den Angeklagten von vielen Gelegenheiten kenne. „Es ist die Spitze des Eisbergs, was in Dorsten passiert ist“, sagte trotz der hohen Zahl an Vergehen, wegen derer sich der 44-jährige Asylbewerber vor dem Schöffengericht verantworten musste.
Über seinen Dolmetscher sagte der Mann auf Nachfrage der Richterin, er sei nach islamischem Recht mit einer Frau im Sudan verheiratet. Auf die Frage, ob er Kontakt zu ihr habe, sagte er, das sei schon lange her - nachdem er sein Mobiltelefon verloren habe.
„Wollten was Intimes machen“
Ein 18-jähriger Zeuge berichtete von einem Vorfall vom 28. August 2021 am Busbahnhof. Er habe sich dort mit einer 19-Jährigen in ein Gebüsch zurückgezogen. „Wir wollten was Intimes machen.“ „Was denn?“, fragte die Richterin, sah aber den verlegenen Blick des Zeugen: „Okay, lassen wir das.“ Der Zeuge über den Angeklagten: „Als wir zugange waren, kam er ins Gebüsch.“
Daraufhin habe er das Gebüsch verlassen, dann aber Hilferufe von der 19-Jährigen gehört. Der Angeklagte habe diese festgehalten und gegen eine Mauer gedrückt. Ob er ihr einen Zungenkuss gegeben habe, wie die 19-Jährige es bereits bei einem vorherigen Termin als Zeugin ausgesagt hatte, habe er nicht gesehen, aber er habe den Angeklagten weggeschubst.

Insgesamt sechs Polizisten und zwei Polizistinnen waren als Zeugen geladen. Immer ging es darum, dass die Einsatzkräfte gerufen wurden, wenn der „Schreier“ wieder wegen Ruhestörung unangenehm aufgefallen war. Stets sei es schwierig, aufgrund der Sprachbarriere mit dem Mann, der nicht Deutsch spricht, zu reden. Mehrfach nahmen die Polizisten den Mann in Gewahrsam, wogegen er sich wehrte und dabei um sich trat und schlug.
Ein 24-jähriger Polizist berichtete, wie der „Schreier“ auf einige Beamte gedeutet habe und mit dem Daumen an der Kehle eine Halsabschneider-Geste gemacht habe. Polizisten und Polizistinnen berichtete, wie der Mann ihnen teilweise in der Hochphase von Corona ins Gesicht gespuckt habe. Einmal, so ein Polizist, habe sich am 25. Januar 2021 eine Menschentraube um den Angeklagten auf dem Europaplatz gebildet. „Das Ganze stand kurz vor der Eskalation.“
„Mitten ins Gesicht gespuckt“
Der Beamte: „Er mich angeschaut und mir mitten ins Gesicht gespuckt.“ Er wolle „nicht despektierlich sein, aber im hygienisch besten Zustand war er auch nicht“.
Erstaunt war Richterin Lisa Hinkers über die Aussage eines Polizisten, der von einer Situation im Lippetal berichtete, wo der Angeklagte am 22. September 2021 mit einer abgeschlagenen Bierflasche einen jungen Mann am Kopf verletzt habe. „Komisch, das hat die Staatsanwaltschaft scheinbar nicht gesehen.“
Die Zeugen hätten keine Belastungstendenzen gegenüber dem Angeklagten gezeigt, waren sich Richterin, Staatsanwältin und Rechtsanwältin einig. Ein Polizist sagte, dass anders als in der Anklage behauptet, er gar nicht vom Angeklagten geschlagen worden sei, sondern rechtzeitig habe ausweichen können.
Eingeschränkter Intellekt
Ein psychologisches Gutachten wurde von der Richterin verlesen. Dieses kam zu dem Schluss, dass der 44-Jährige über eingeschränkte intellektuelle Kapazitäten verfüge. Er habe nie die Schule besucht, nie schreiben, lesen oder rechnen gelernt.
Acht bis zehn große Flaschen Bier habe der Mann zum Teil am Tag getrunken. Wenn er das Geld hatte, habe er Cannabis zweimal in der Woche konsumiert. Wenn er nicht getrunken habe, habe er Kopfschmerzen bekommen, habe der 44-Jährige gesagt, aber auch, dass er nicht süchtig sei.
Keine Persönlichkeitsstörung
Es gebe keine psychischen Erkrankungen bei ihm, keine Schizophrenie, keine erkennbaren Schäden im Gehirn durch die Suchtmittel. Vorsichtig äußerte sich das Gutachten zur Möglichkeit einer Persönlichkeitsstörung: Aufgrund des anderen Kulturkreises gebe es potenzielle Quellen für Missverständnisse. Festgestellt wurden aber „dissozial kriminelle Auffälligkeiten“ und „impulshaftes Verhalten“. Es gebe keine Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung der Straffähigkeit. Eine Therapie wurde nicht erwogen, da der Mann „nicht in der Lage ist, mitzuwirken“.
Drei Vorstrafen, unter anderem wegen sexueller Belästigung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, hat der 44-Jährige bereits bekommen. Die Staatsanwältin: „Zu seinen Gunsten spricht eigentlich nichts. Zu seinen Lasten sehr viel.“ Sie bewertete die Handlungen des Mannes „als besonders ekelig“ und versetzte sich in die Rolle der drei jungen Frauen, die der Mann sexuell belästigt hatte. „Damit nach Hause zu gehen und nicht zu wissen, was könnte jetzt noch gesundheitlich passieren.“
„Ich bin wirklich unschuldig“
Die Staatsanwältin forderte drei Jahre und drei Monate Haft für den Angeklagten. Die Verteidigerin schloss sich im wesentlichen den Ausführungen an und stellte das Strafmaß in das Ermessen des Gerichts. Der Angeklagte hatte das letzte Wort: „Ich bin wirklich unschuldig. Es ist wirklich nicht wahr.“
Wegen schwerer sexueller Nötigung in zwei Fällen, Beleidigung in fünf Fällen, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, tätlichem Angriff auf Polizeibeamte und Bedrohung verurteilte die Richterin den Mann zu den geforderten drei Jahren und drei Monaten Haft, sagte aber auch, dass sie davon ausgehe, dass eine Berufung anstehe. Verstörend müssten die Erlebnisse vor allem für die jungen Frauen, eine davon 15 Jahre alt, gewesen sein. „Die war in unseren Augen noch ein Kind.“
Nach der Beratung zum Urteil habe sie noch einen Hinweis bekommen, so Hinkers: „Der Angeklagte solle sich mal fragen, was er gestern getragen hat, als er in Dorsten unterwegs war.“ Und machte damit deutlich, was sie von seiner Beteuerung halte, dass er nicht mehr trinke.
Sexuelle Belästigung und Spuckattacken: „Schreier von Dorsten“ erneut vor Gericht