
© Michael Klein
Typhus, Pest und Cholera - wie Epidemien in Dorsten den Tod brachten
Stadtgeschichte
Schon vor Corona rafften Epidemien Menschen in Dorsten dahin. Über alte Akten, tödliche Krankheiten und eine geheimnisvolle Grabtafel für zwei verstorbene Schwestern in einem Treppengewölbe.
Der geheimnisvolle Stein ist verwittert, die Inschrift teils nicht mehr lesbar. Eindeutig ist aber: Es handelt sich um eine Grabtafel, die über der Kellertreppe im Alten Rathaus am Markt steht. Zwei Schwestern aus Dorsten, an Typhus gestorben, die eine am 16. Dezember 1841, die andere zwölf Tage später. Beerdigt wurden sie auf dem benachbarten Kirchhof von St. Agatha.
Alexandrine Sebregondi und ihre Schwester Adolphine waren noch jung, als sie der auch „Nervenfieber“ genannten Infektions-Krankheit erlagen: die eine war 19, die andere 23 Jahre alt. Beide waren Schwestern der Dorstener Schriftstellerin Maria Lenzen, nach der in Holsterhausen eine Straße benannt ist und die am 24. Oktober 2020 mit der Enthüllung einer Gedenktafel an ihrem Elternhaus am Marktplatz geehrt wird.
Tödliche Krankheiten
Typhus, Pest, Cholera - so heißen die tödlichen Krankheiten, die die Menschen in der Vergangenheit bedrohten. „Das, was uns heute angesichts der Corona-Krise jeden Tag bewegt, hat auch früher immer wieder die Dorstener Bevölkerung getroffen“, sagt Dr. Josef Ulfkotte, Vorsitzender des Vereins für Orts- und Heimatkunde. Deswegen hat der Historiker mit Vereinsmitgliedern und Stadtarchivar Martin Köcher begonnen, mehr über Epidemien unter lokalhistorischer Perspektive erfahren.

Dieser Grabstein für die im Jahre 1841 an Typhus verstorbenen Arzttöchter Sebregondi befindet sich im Treppengewölbe des Alten Rathauses am Marktplatz. © Jürgen Moers
Im Dorstener Stadtarchiv hat Martin Köcher einige wenige Dokumente gefunden. Darunter ein Amtsblatt der Königlichen Regierung von Münster von 1832. „Ein Plakat, das damals in der Stadt ausgehängt wurde.“ Und mit dem die Dorstener Bevölkerung über Anordnungen zum Schutz vor der in jenem Jahr grassierenden und aus Russland nach Preußen eingeschleppten „asiatischen Cholera“ informiert wurde.
Neben solchen „belehrenden Schriften“ wurde 1832 vorsorglich ein Lazarett in Dorsten eingerichtet, um sich gegen die „gespenstische Seuche“ zu wappnen, und eine Gesundheitskommission sorgte mit „verdoppeltem Eifer zur Beförderung atmosphärischer Reinlichkeit“: Parallelen zu heutigen Coronaschutz-Maßnahmen sind deutlich erkennbar.
Innere Krankheiten
Eine weitere Quelle aus jener Zeit sind die „Chronik der Stadt und Bürgermeisterei Dorsten“ des damaligen Bürgermeisters Franz Luck. „Darin finden sich viele Tabellen zu Sterbefällen“, so Heinz-Dieter Steven, „auch wenn die Todesursachen nicht immer detailliert genannt sind“. Nur von „inneren Krankheiten“ und „Fieber“ sei meist die Rede.
Immerhin: „Aus der Chronik lässt sich deutlich ablesen, welche Rolle das Wetter für das Leben der Menschen und ihr Wohlergehen spielte“, sagt Vereinsmitglied Hans-Jochen Schräjahr. Schlechtes Wetter bedeutete schlechte Ernte, damit Hunger und Mangelerscheinungen.

Das Siechenhaus auf dem Merianstich Dorstens von 1647. © Quelle: Dorsten - eine Zeitreise
Schlechtes Wetter bedeutete aber auch Überschwemmungen der Lippe, so dass sich Cholera und Typhus ausbreiten konnten. Scharlach, Masern, Tuberkulose, Grippe, Pocken waren weitere häufige Krankheiten jener Zeit. Vor allem für die Jüngeren hatte das oft tödliche Folgen. „Der Anteil der verstorbenen Kinder unter 14 Jahren lag in der Regel bei 30 Prozent im Vergleich zur Gesamtzahl der Verstorbenen.“
„Vor den Toren der Stadt isoliert“
Bereits seit dem Mittelalter hatte die Dorstener Bevölkerung mit in ganz Europa wütenden Epidemien zu kämpfen. Darunter die Lepra, eine Infektionskrankheit, die dafür sorgte, dass die „Aussätzigen vor den Toren der Stadt isoliert wurden“, wie Dr. Josef Ulfkotte erklärt.
Um die Ausbreitung der Lepra einzudämmen, wurde nämlich ein so genanntes „Siechenhaus“ gebaut, das erstmals für das Jahr 1489 erwähnt wurde. Die heutige Straße namens „An der Seikenkapelle“ erinnert an den Standort des früheren Seuchenhauses.
Zudem gab es mindestens von 1526 bis 1676 ein „Pesthaus“, das im heutigen Bereich Westgraben/Im Kühl gestanden haben soll. Bereits 1359 hatte die Pest in der Lippestadt ihre Opfer gefordert, ebenso 1566, 1587, 1589 und 1599.
Wenig über die „Spanische Grippe“
Und wie wütete später die Spanische Grippe, die zwischen 1918 und 1920 weltweit mindestens 20 Millionen Todesopfer gefordert hatte, in Dorsten? Stadtarchivar Martin Köcher ist überrascht, dass er „merkwürdigerweise keinerlei Dokumente“ zu den Auswirkungen dieser Pandemie entdeckt hat.

Das Siechenhaus auf dem Merianstich Dorstens von 1647. © Quelle: Dorsten - eine Zeitreise
Auch in den alten Dorstener Zeitungsbänden wurde er so gut wie nicht fündig. „Nur in einem Artikel von 1919 stand, dass die Schulen in Dorsten bis auf Weiteres geschlossen sind.“ An Dorsten vorbei gegangen ist die Spanische Grippe also nicht...
Ganz besondere Entdeckung
Martin Köcher hat darüber hinaus im Fundus des Dorstener Stadtarchivs eine ganze besondere Entdeckung gemacht. Und zwar einen medizinischen Aufsatz von 1834, erschienen in den „Heidelbergschen Klinik Annalen“ unter dem Titel: „Versuch, die Ursache und das Wesen der asiatischen Cholera darzustellen.“
„Ein echter Hammer“, sagt Dr. Josef Ulfkotte. Denn der Verfasser der 30-seitigen Fach-Abhandlung ist laut Deckblatt der damals in Dorsten tätige Arzt „Dr. med Sebregondi“ gewesen, der acht Jahre später leider nicht verhindern konnte, dass seine beiden Töchter Alexandrine und Adolphine an Typhus sterben sollten.
In der Praxis angesteckt
Besonders tragisch dabei: „Die beiden Schwestern hatten sich in der Praxis ihres Vaters mit Typhus angesteckt“, sagt die Dorstener Autorin Edelgard Moers, die den Roman „Die Schriftstellerin“ über Maria Lenzen, die dritte Tochter von Dr. Sebregondi, verfasst hat. „Sie hatten mitgeholfen, die vielen Patienten zu behandeln, die sich in Dorsten angesteckt hatten.“
Geboren 1961 in Dorsten. Hier auch aufgewachsen und zur Schule gegangen. Nach erfolgreich abgebrochenem Studium in Münster und Marburg und lang-jährigem Aufenthalt in der Wahlheimat Bochum nach Dorsten zurückgekehrt. Jazz-Fan mit großem Interesse an kulturellen Themen und an der Stadtentwicklung Dorstens.
