2019 hat es die Familie erfahren, 2022 ist Lena Marie mit ihrem Coming-out an die Öffentlichkeit gegangen. Zwei Jahre später ist der endgültige Abschied von dem von ihr als falsch empfundenen Geschlecht in greifbare Nähe gerückt. „2025 wird mein Jahr“, sagt Lena Marie strahlend, die vor 53 Jahren als Udo zur Welt kam.
Aktuell läuft die Namensänderung, alle Dokumente werden umgeschrieben. Das Transsexuellengesetz ermöglicht es Menschen wie Lena Marie, rechtlich in ihrem vom ursprünglichen abweichenden Geschlecht anerkannt zu werden. „Danach wäre ich rechtlich betrachtet eine Frau, aber das reicht mir noch nicht“, sagt Lena Marie.

Nachdem die Krankenkasse nach gründlicher Überprüfung die Kostenübernahme bewilligt hat, soll im März in der Essener Uni-Klinik die geschlechtsangleichende Operation vorgenommen werden. Genau genommen geht es um zwei Operationen innerhalb von acht Wochen.
Allein die erste wird acht Stunden dauern, Lena Marie nennt sie flapsig das „grobe Zerlegen“: Dabei werden die Hoden entfernt und aus dem Penis, der - laienhaft ausgedrückt - nach innen gestülpt wird, eine Vagina geschaffen. Einige Wochen später geht es in einer rund vierstündigen Operation dann um Korrekturen, den „Feinschliff“, wie Lena Marie es nennt.
Brust-OP soll folgen
„Wenn alles gut geht“, erzählt die Transfrau freimütig, „will ich mir 2025 auch die Brüste aufbauen lassen.“ Denn die den operativen Eingriffen vorgeschaltete Therapie mit Sexualhormonen hat ihre Brüste nur minimal wachsen lassen. Nach der OP möchte Lena Marie dann einen zum Körper passenden BH mit C- oder D-Körbchen tragen.
Vor den drei großen chirurgischen Eingriffe, die allesamt kein Spaziergang sein werden, hat Lena Marie schon ihren männlichen Bartwuchs durch Epilation eingedämmt. Eine logopädische Therapie lässt ihre Stimme schon deutlich weiblicher klingen als noch vor zwei Jahren.
Künstliche Fingernägel, Make-up und Frisur sorgen längst für ein frauliches Äußeres. Mit den Haaren ist Lena Marie noch unzufrieden, denn die Stirnglatze ihres früheren Egos Udo wird sie wohl nicht mehr los. Kunsthaare soll es richten, bis sie sich vielleicht eines Tages doch noch ein paar Haare verpflanzen lässt.
Zweifel seit der Pubertät
Spätestens seit dem 16. Lebensjahr habe sich Udo nicht mehr wohlgefühlt in seiner Haut. Mit der Pubertät kamen die Zweifel an der Geschlechtsidentität. „Aber ich habe das verdrängt, habe durchgehalten“, sagt Lena Marie heute. Udo leistete seine Wehrpflicht, fand eine Frau, gründete eine Familie, zeugte zwei Söhne - und lebte hin und wieder seine weibliche Seite aus, indem er heimlich in Frauenkleider schlüpfte.
Als die Ehe scheiterte, entschied er sich zum Coming-out: „Die Jahre zuvor waren die reinste Quälerei. Das sollte aufhören. Endlich.“
Die Söhne, heute 18 und 21 Jahre alt, blieben nach der Trennung beim Vater. Und daran änderte sich nach dem Coming-out nichts. Lena Marie: „Die Jungs stehen 100-prozentig hinter mir, gehen super mit der veränderten Situation um. Ich bin total stolz auf diese beiden tollen Menschen.“
Lena Marie hat sieben Geschwister, die nicht alle gleich gut mit der Veränderung klarkommen. „Eine meiner Schwestern hat irgendwann gesagt, dass wir jetzt vier Brüder und vier Schwestern sind und nicht mehr fünf Brüder und drei Schwestern. Das hat mich sehr gefreut.“ Die Eltern starben bereits 1980 bei einem schrecklichen Autounfall - ein traumatisches Ereignis, das Lena Marie erst sehr viel später mithilfe einer Therapie überwinden konnte.
Suizidgedanken gab es auch
Auch die positiven Reaktionen vieler langjähriger Nachbarn in Wulfen-Barkenberg und am Arbeitsplatz können nicht darüber hinwegtäuschen, dass es auch Anfeindungen, Beleidigungen und Hass gab seit dem öffentlichen Bekenntnis zur Transgeschlechtlichkeit. Auch wenn Drohbriefe und Hass-Nachrichten anfangs im Kamin des Einfamilienhauses landeten, sind sie nicht spurlos an Lena Marie vorbeigegangen.
„Ende 2022 hatte ich sogar Suizidgedanken“, blickt sie zurück. Sie machte sich vor allem Sorgen um das Wohlergehen ihrer Söhne. Die jungen Männer ermutigten sie dann jedoch, zur Polizei zu gehen, Anzeige gegen Unbekannt zu erstatten. „Außerdem bin ich bei Glatteis zwischen Weihnachten und Neujahr böse auf den Hinterkopf gefallen“, sagt Lena Marie lachend, „vielleicht hat das auch erweckend gewirkt.“

Inzwischen haben die positiven Energien komplett die Überhand gewonnen. Denn vor acht Monaten trat Sandra in ihr Leben. „Beim Kennenlernen in einer Facebook-Gruppe war meine Transsexualität gar kein Thema“, sagt Lena Marie. „Das habe ich ihr erst später erzählt. Da hatten wir uns schon ineinander verliebt.“ Im Mai, zwischen den beiden großen Operationen, wollen die beiden heiraten. Und irgendwann will Sandra aus Thüringen nach Dorsten ziehen.
Im September 2025 geht es für die beiden erstmal nach Berlin. Dort will Lena Marie beim Marathon mitlaufen, erneut Geld sammeln für ein Charity-Projekt des Vereins „Queer Rainbow Family“ für das Kinder- und Jugendhospiz Regenbogenland in Düsseldorf. „Wenn ich es zu diesem Wettkampf schaffe, habe ich alle meine Ziele für 2025 erreicht.“ Mit Mitte 50 beginnt dann noch einmal ein neues Leben für Lena Marie - ganz weit weg von Udo.
Dieser Text wurde erstmals am 6. April 2024 veröffentlicht.