Pflegedienst-Chef muss vier Azubis kündigen „Strukturelle Sabotage“

Pflegedienst-Chef Knut van der Wurp muss vier Azubis kündigen
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Knut van der Wurp ist stinksauer. Um das im Gespräch zu merken, braucht es keine fünf Sekunden. Seit 2018 gibt es seinen Pflegedienst Van der Wurp. „Wir bilden seit der ersten Stunde aus“, sagt der Dorstener, der seit 1993 Altenpfleger ist: „Gefühlt seit 1.000 Jahren.“

Dass er in der letzten Woche seinen vier Azubis kündigen musste, bringt den 50-Jährigen auf die Palme. Die Kündigung stehe nun im Lebenslauf der jungen Menschen, von denen einer nach drei Jahren Ausbildung eigentlich im Mai seine Prüfung gehabt hätte. Ein weiterer stand ebenfalls kurz vor dem Abschluss. Knut van der Wurp: „Ich habe ein Empfehlungsschreiben geschrieben, in dem ich mein Bedauern ausdrücke. Mehr kann ich nicht tun. Außer nachts nicht schlafen.“

Zwei Praxisanleiter

Warum hat van der Wurp seinen Azubis überhaupt gekündigt? Lange Jahre habe man für Auszubildende einen Praxisanleiter gebraucht, der auch Wohnbereichsleiter oder Pflegedienstleiter sein konnte, sagt van der Wurp. Nun müssten nach einer Änderung aber zwei Praxisanleiter nachgewiesen werden, und die müssten laut Gesetzgeber auch eine einjährige Ausbildung zum Praxisanleiter vorweisen können, sagt van der Wurp, dürften also nicht mehr Wohnbereichsleiter oder Pflegedienstleiter ohne eine solche Ausbildung sein.

Praxisanleiter nehmen die Azubis mit zu den Kunden. Zeigen, wie man diese richtig pflegt. Pro Stunde Pflege vergehen laut van der Wurp aber zwei Stunden, in denen die Praxisanleiter den Azubis zeigen, wie man die Pflege korrekt dokumentiert. „Fällt Ihnen was auf?“, fragt van der Wurp rhetorisch. Und rechnet vor: Pro begleiteter Stunde bekomme er 40 Euro. „Die Stunde kostet mich 56 Euro.“

An der Pliesterbecker Straße in Holsterhausen ist der Pflegedienst Van der Wurp stationiert.
An der Pliesterbecker Straße in Holsterhausen ist der Pflegedienst Van der Wurp stationiert. © Berthold Fehmer

Knut van der Wurp hatte zwei Praxisanleiter im Team mit dieser Qualifikation. „Beide sind nicht mehr da.“ Die Gründe für den Weggang seien unterschiedlich: „Beide haben aber über die vielfältigen Aufgaben gestöhnt.“ Den vier Auszubildenden habe er am Montag kündigen müssen und ihnen nahegelegt, sich einen praktischen Ausbilder zu suchen, der die Qualifikation erfüllt. „Damit die Leute die Ausbildung weiter machen dürfen. Ich darf es nicht mehr.“

Wie groß sind die Chancen, dass die beiden Azubis, die kurz vor dem Ende der Ausbildung standen, nun einen Ausbilder finden? Knut van der Wurp glaubt, dass dies mit „maximalen Schwierigkeiten“ verbunden sein wird.

Könnte er selbst nicht schnell zwei Praxisanleiter einstellen? „Der Markt ist leer.“ Könnten nicht Mitarbeiter die Praxisanleiter-Ausbildung absolvieren? „Die, die ich gefragt habe, haben keine Lust“, sagt van der Wurp. Und: „Es wäre jetzt sowieso ein Jahr Pause.“ Und er sagt auch, dass es eh ständige Fortbildungen für seine Mitarbeiter gebe: „Jeden Monat ist hier eine Fortbildung. Manchmal zwei. Die sind voll mit Fortbildungen.“

„Lebenswege ändern sich“

Knut van der Wurp fragt sich, wie ein Betrieb wie seiner mit 44 Mitarbeitern, die Anforderung mit zwei Praxisanleitern schaffen soll. „Lebenswege ändern sich“, sagt er. „Was ist, wenn eine Frau schwanger wird?“ Im Grunde bräuchte er, bevor er einen Azubi für drei Jahre einstellen würde, dann mindestens vier Praxisanleiter, sagt er. Große Verbände, etwa Caritas oder Diakonie, könnten die Praxisanleiter zwischen den Pflegeheimen tauschen. Knut van der Wurp erwartet: „Die Ausbildung fällt auf die großen Träger zurück.“

Völlig unverständlich ist für den 50-Jährigen, dass angesichts von „Pflegekollaps und Fachkräftemangel“ die Anforderungen bei der Ausbildung erhöht wurden. Denn diejenigen, die die Zusatzqualifikation erlangen müssten, „fehlen auch an der Front, die Menschen zu betreuen“.

Erlaubnis zurückgenommen

Knut van der Wurp kann noch andere Beispiele aufzählen, die ihn ärgern: In der Coronazeit habe der Gesetzgeber angesichts von hohen Krankenständen und Quarantänezeiten erlaubt, dass angelernte Pflegekräfte einfache medizinische Leistungen, etwa Insulin-Spritzen, übernehmen konnten. Jetzt, wo die Corona-Auflagen vorbei seien, dürften es die selben Menschen nicht mehr, „die das fast ein Jahr lang gemacht haben. Das ist für mich strukturelle Sabotage“, sagt Knut van der Wurp.

Wenn beispielsweise die für das Spritzen zuständige Fachkraft krank werde, könne der Pflegehelfer zwar noch die Spritze verabreichen: „Ich darf es aber nicht mehr abrechnen.“

Zuzahlungen für manche zu viel

Die Erhöhungen beim Pflegegeld würden laut van der Wurp „nur im Ansatz widerspiegeln, was die Leute jetzt an Zuzahlungen haben“. Manche Kunden müssten nun 200 bis 400 Euro zuzahlen und könnten sich nicht mehr erlauben, dass der Pflegedienst jeden Morgen komme.

Dass van der Wurp nicht mehr ausbildet, spart übrigens kein Geld. Er müsse monatlich in einen Ausbildungsfonds einzahlen. „Das wird sich erhöhen, weil ich mich nicht mehr aktiv beteilige. Ich werde dafür also noch bestraft.“

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