Vor Jahren hatte Wilhelm Schürholz erstmals mit dem Gedanken gespielt, Unterlagen aus dem Nachlass seines verstorbenen Vaters und langjährigen Dorstener CDU-Bürgermeisters Paul Schürholz dem Stadtarchiv zu übergeben - immerhin hat der Familienname schon seit dem frühen 19. Jahrhundert das gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Leben in der Lippestadt geprägt.
Jetzt setzte der 62-jährige Dorstener seine Idee in die Tat um. Drei große Kartons übergab er Stadtarchivar Martin Köcher, randvoll gepackt mit Aktenordnern, Dokumenten, Urkunden und Orden. „Mit vielen Unterlagen aus der Zeit, als mein Vater von 1948 bis 1964 Bürgermeister der Stadt Dorsten war.“
Der erste Auslöser seinerzeit war ein „Tag der offenen Tür“, zu dem die damalige Stadtarchivarin Christa Setzer geladen hatte. „Das war für mich eine spannende Veranstaltung“, erzählt Schürholz. Immerhin lagern im Stadtarchiv Ausgaben des „Argus“, den sein Vorfahre Carl August Schüerholz 1804 als erste Dorstener Zeitung gegründet hatte, „und ich entdeckte eine Unterschrift meines Opas, der in der Zeit der Ruhrbesetzung Anfang der 1920er-Jahre hier als Beigeordneter tätig war.“
Aktueller Auslöser
Dass Wilhelm Schürholz seine „Gedankenspielerei“ gerade jetzt in die Tat umsetzte, hat einen aktuellen Auslöser. Denn „Die Fraktion feat. Die Linke“ hatte im Frühjahr beantragt, seinem Vater die 1963 verliehene Ehrenbürgerschaft der Stadt Dorsten wegen dessen NS-Vergangenheit posthum abzuerkennen. Woraufhin der Stadtrat mehrheitlich beschloss, die Rolle von Paul Schürholz im Nationalsozialismus (nachdem er als Ratsmitglied der aufgelösten katholischen Zentrums-Partei später zur NSDAP gewechselt war) gründlich aufarbeiten zu lassen.
Dass das Thema im März auf die Tagesordnung gekommen ist, hat den Sohn überrascht. Und erschreckt hat ihn manche Wortwahl, die in der Ratssitzung gefallen ist. Ein „böser Nazi“ sei sein Vater sicher nicht gewesen. „Das ist nicht der Mensch, den ich kennengelernt habe“, sagt Wilhelm Schürholz - der aber bekundet, dass ihn seine Sicht als Sohn „befangen“ mache.

Der 62-Jährige, Sohn aus zweiter Ehe von Paul Schürholz, war erst zwölf Jahre alt, als sein Vater 1972 starb. Über dessen Vergangenheit konnte er ihn deshalb persönlich nicht mehr befragen. Und im Elternhaus am Marktplatz, in dem Wilhelm Schürholz als Eigentümer noch heute wohnt und in dem die Familie früher das gleichnamige Textilhaus Schürholz betrieb, gibt es keine Aufzeichnungen und Dokumente aus der Zeit vor 1945. „Wenn es sie gab, dürften sie bei der Bombardierung Dorstens verbrannt sein.“
Briefe und Notizen
So befinden sich in den Unterlagen Dokumente ab 1945, also vor allem aus der Zeit, als sich der Kaufmann Paul Schürholz als Bürgermeister um den Wiederaufbau seiner geliebten Heimatstadt verdient gemacht hatte: Briefe und Notizen, Reden (etwa zur Verleihung des Bundesverdienstkreuzes) und auch Urkunden von wichtigen Ehrungen. Eine Schallplattenaufnahme mit einem Ton-Dokument eines WDR-Radiobeitrags anlässlich des 700-jährigen Stadtgeburtstags 1951 und weiteres Ton- und Filmmaterial lässt Sohn Wilhelm derzeit noch digitalisieren - auch diese soll ins Stadtarchiv.
Vieles davon hatte Wilhelm Schürholz vor Monaten während eines offenen Gesprächsabends genutzt, bei dem er im Alten Rathaus auf Einladung des Vereins für Orts- und Heimatkunde angesichts der aktuellen Diskussion in Wort und (Familien-)Fotos einen biografischen Vortrag „in Erinnerung an den Menschen Paul Schürholz“ gehalten hat.

Geboren in der Kaiserzeit, Soldat im Ersten Weltkrieg, BWL-Studium während der Weimarer Republik, Einstieg in das elterliche Unternehmen, das er später mit dem Bruder weiterführte, lokalpolitische und Vereins-Aktivitäten vor und während der NS-Zeit, 1942 eingezogen in die Militärverwaltung, Kriegsgefangenschaft, danach der Wiederaufbau und die BRD-Jahre, in denen Paul Schürholz viele Ehrenämter anhäufte. „Er war ein Kind seiner Zeiten und hat sich jeweils von diesen beeinflussen lassen“, das nimmt der Historiker Dr. Josef Ulfkotte aus seinen bisherigen Recherchen mit.
Gemeinsam mit Hans-Jochen Schräjahr, ebenfalls Vorstandsmitglied des Vereins für Orts- und Heimatkunde, hat er im Namen der Stadt Dorsten den Auftrag bekommen, die NS-Biografie von Paul Schürholz zu erforschen. In der letzten Ratssitzung vor Weihnachten hatten die Grünen nach dem Stand der Dinge nachgefragt. Denn eigentlich sollten möglichst bis Ende des Jahres der Abschlussbericht und die Empfehlung zum weiteren Vorgehen vorliegen.

„Wir brauchen aber noch Zeit, unter anderem ist eine Anfrage von uns beim Militärarchiv in Freiburg noch nicht beantwortet worden.“ Dabei geht um den wichtigen Aspekt, welche Aufgabe Paul Schürholz ab 1942 während seiner Tätigkeit bei der Rüstungskommission in Münster hatte. „Auch das liegt noch im Dunkeln.“
Keine Schenkung
Stadtarchivar Martin Köcher hat begonnen, die Materialien von Wilhelm Schürholz aufzubereiten, zu verzeichnen und zu digitalisieren. Diese sind übrigens keine Schenkung: Es wurde ein sogenannter „Depositalvertrag“ abgeschlossen. Heißt: Die Eigentumsrechte bleiben beim ursprünglichen Besitzer, nach Ablauf von 30 Jahren sind sie für geschichtswissenschaftliche Zwecke frei zugänglich. Ausnahmsweise können Dr. Josef Ulfkotte und Hans-Jochen Schräjahr schon jetzt Einblick in die Unterlagen nehmen: „Wir sind verpflichtet, uns alles anzuschauen.“
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