Mit damals hohen Mietpreisen sorgte die Caritas-Anlage mit 65 Wohnungen am Wesel-Datteln-Kanal gleich zu Beginn für Schlagzeilen. „Luxus-Ghetto“ nannte der damalige SPD-Fraktionsvorsitzende Friedhelm Fragemann das Projekt in exklusiver Lage. „11,50 Euro pro Quadratmeter waren vor vier Jahren eine fürstliche Miete“, sagt Andreas Pieper aus Gelsenkirchen-Buer, der die damalige Diskussion mitverfolgte und heute sagt: „Eine Beimischung mit geförderten Wohnungen hätte einer Caritas sehr gut zu Gesicht gestanden.“
Pieper trug sich 2018 in die Bewerberliste ein und unterschrieb 2020 den Mietvertrag - als Wohnsitz im Alter für sich und seine Frau. Auch weil damit geworben worden sei, dass man Leistungen der Caritas zubuchen könne. Dorsten sei „eine heile Stadt“, sagt Pieper, der die altengerechten, schönen Wohnungen lobt, die funktionierende Innenstadt, das gastronomische Angebot, die gepflegte Uferpromenade („das hat was Maritimes“) und das Kulturprogramm. „Was zum Beispiel an der Oude Marie läuft, kriegt Gelsenkirchen im ganzen Jahr nicht auf die Reihe.“ In der Wohnanlage selbst gebe es eine funktionierende Nachbarschaft: „Wir fühlen uns da wohl.“
„Bin einer der Jüngsten“
In der Nachbarschaft sei er „einer der Jüngeren“, sagt Andreas Pieper, der als Geschäftsführer einer Firma, die unter anderem Kindergärten, Straßenverkehrsämter, Arbeitsämter, Aldi- und andere SB-Märkte entwickelt und vermietet, noch mitten im Berufsleben steht. Dementsprechend bringt er viel Erfahrung bei Immobilien und Verträgen mit - und so fiel ihm schon 2020 der Passus in den Mietverträgen der Caritas auf, dass sich die Miete Anfang 2025 analog zur Entwicklung des Verbraucherpreisindexes ändern solle und danach alle drei Jahre.
„Das unterschreibe ich nicht - das ist eine Zeitbombe“, sei seine erste Reaktion gewesen, sagt Andreas Pieper. In Gesprächen mit der Caritas-Geschäftsführung habe man ihm damals aber deutlich gemacht, dass es viele andere Bewerber auf den Listen gebe und man auf die Klausel bestehe. Letztlich unterschrieb Pieper dann doch: „Ich habe mich als Mieter der Caritas gefühlt. Wir sind ja nicht bei einem gierigen börsennotierten Wohnungsbauunternehmen.“
Man sei auch damit beruhigt worden, dass sich der Verbraucherpreisindex in den 25 Jahren davor sehr moderat entwickelt hatte. Doch Corona, Ukrainekrieg und Energiekrise mit anschließender Inflationswelle sorgten dann aber für explodierende Preise mit „historischen Höchstständen“, so Pieper.
Mieterhöhung verschickt
Pieper baute darauf, dass die Caritas nicht den vollen Anstieg beim Verbraucherpreisindex als Mietererhöhung weitergeben würde. So habe er selbst die mögliche Erhöhung aus einer Wertsicherungsklausel beispielsweise nicht an einen seiner Kindergärten weitergegeben, um die Mieterin (Lebenshilfe) nicht an ihre finanzielle Leistungsgrenze zu bringen.
Doch nun erhielten Pieper und die Bewohner der Anlage vor Weihnachten die Ankündigung, dass die Miete ab Januar um 15,2 Prozent steigen soll. Für Pieper bedeutet das dann eine Mieterhöhung um 175 Euro bei einer Kaltmiete von 1.332,08 Euro.
Finanziell überfordere ihn das nicht, sagt Pieper deutlich. Aber auch: „Alle waren geschockt.“ Viele Nachbarn würden ihn ansprechen: „Die sind fix und fertig.“ Den Passus im Mietvertrag hätten „viele nicht verstanden. Die haben das ausgeblendet“. Pieper prophezeit: „Wenn die Mieterhöhung durchgeht, sehen Sie in den nächsten Jahren die Umzugswagen.“ Seiner Meinung nach hätte „die katholische Caritas“ nicht den vollen Anstieg an die Mieter weitergeben müssen. Und in drei Jahren könne „dasselbe Spiel wieder losgehen“.
Dabei sei das Wohnprojekt in der absoluten Niedrigzinsphase finanziert worden, als die Baukosten noch moderat waren. Pieper: „Diese niedrigen Zinsen hat sich die Caritas bestimmt für 15, 20 Jahre gesichert.“

„Eine Hausnummer“
Selbst Patrick Domin, Geschäftsführer der Dorstener Caritas, nennt die 15,2-Prozent-Erhöhung „eine Hausnummer, wo jeder erst mal schluckt“. Dennoch habe die Caritas nicht solche Reaktionen von Mietern erhalten, wie sie Pieper schildere. Man habe auch keine Rückmeldungen von Mietern, die sich die Erhöhung nicht leisten könnten. Die Caritas habe die finanziellen Möglichkeiten der Mieter im Blick und anders, als Pieper vermutet, sei darunter „niemand, der nur ansatzweise in Richtung Wohnberechtigungsschein unterwegs“ sei, sagt Domin.
In der Wohnanlage lebten viele Menschen, die sich nach dem Verkauf ihres Hauses eine Wohnung in schöner Lage leisten könnten. „Wenn es anders wäre, wären wir der letzte Verband, der sagt, wir ziehen das durch und gucken, wie viele übrig bleiben“.
„Zwei Herzen in der Brust“
Domin bestätigt, dass im Vorstand darüber diskutiert worden sei, ob man die Erhöhung in voller Höhe an die Mieter weitergeben müsse. „Da schlagen zwei Herzen in der Brust.“ Fakt sei aber, dass man etwa im Bereich der Pflege oder beispielsweise in Einrichtungen wie dem Café Kick, Anlaufstelle für drogengebrauchende Menschen aus Dorsten, „nicht auskömmlich finanziert“ sei. Zwei Drittel der Gewinne aus Projekten wie der Wohnanlage am Kanal würden in den gemeinnützigen Bereich überführt, um solche Dienste zu finanzieren.
„Man muss sagen, dass die Gesamtsituation des Caritasverbands nicht rosig ist“, so Domin, der dem möglicherweise entstehenden Eindruck entgegentritt, die Caritas wolle sich bereichern.
„Wir sind uns unserer sozialen Stellung bewusst.“ Die Träger im Pflegebereich stünden vor „immer größeren Herausforderungen“. Es sei aber nicht so, „dass der Caritasverband irgendwo eine große Schatztruhe hat“. Letztlich sieht Domin die Höhe der künftigen Miete auch im Kontext anderer Wohnprojekte in Dorsten: „Das ist leider mittlerweile das Niveau, das in der Stadt Bestand hat.“
Erhöhung erst ab Februar
Zumindest eine kleine gute Nachricht hat Domin aber noch für die Mieter. Denn aufgrund einer rechtlichen Frist könne die Mieterhöhung erst zum 1. Februar und nicht wie geplant zum 1. Januar umgesetzt werden. „Da muss ein bisschen zurückgerudert werden.“
Alle Mieter würden darüber schriftlich informiert. Pieper sagt hingegen, dass das Mieterhöhungsschreiben gegen den Paragrafen 575 des BGB verstoßen habe und einige Mieter dies von Rechtsanwälten hätten prüfen lassen. Daraufhin hätten diese Widersprüche gegen die Mieterhöhung eingelegt.