Ein letzter Schritt auf die Leitersprosse. Ein letzter Griff an das Geländer. Eine kühle Brise weht ins Gesicht. Das Gerüstturm wackelt leicht. Bloß nicht nach unten schauen. Zu spät.
Der Blick schweift durch die Metallstangen. In der Ferne erscheint die BP-Raffinerie in Gelsenkirchen-Scholven, ein Stück weiter der Förderturm der Zeche Fürst Leopold. Die Weitsicht über Dorsten ist beeindruckend. In 27 Metern Höhe. Auf dem Dach des neuen Levi‘s- Logistik-Zentrums.

Seit mehr als einem Jahr lässt der US-amerikanische Bekleidungskonzern seine Europa-Drehscheibe in Wulfen an der Dülmener Straße in Dorsten bauen. Nach der Grundsteinlegung im März 2022 und der Fertigstellung der Erschließungsstraße im März 2023 nimmt das Gebäude Form an. Und es unterscheidet sich in vielen Dingen von herkömmlichen Logistik-Zentren und Lagerhallen.
Glasfront mit wichtiger Aufgabe
Das wohl auffälligste Detail: die geschwungene Glasfront. Sie ist eine architektonische Spielerei. Dennoch erfüllt sie eine wichtige Aufgabe. Eric Tepner weiß, welche das ist. Er arbeitet als Projektleiter bei der Bau-Beratungsfirma „Drees und Sommer“.

„Die Glasfront erstreckt sich über zwei Ebenen. Dort arbeiten später viele Levi‘s-Mitarbeiter“, sagt Tepner, während er an der künftigen Lkw-Ausfahrt steht. Er erzählt weiter: „Für die Mitarbeiter schaffen wir eine angenehme Atomsphäre, indem viel Tageslicht auf ihren Arbeitsplatz fällt.“
Rund 650 Menschen sollen ab Anfang 2024 in dem Komplex arbeiten. Levi‘s wird damit zu einem der größten Arbeitgeber in Dorsten. Ganz so viele sind derzeit nicht auf der Baustelle unterwegs. Julian von Hodenberg, Projektleiter beim Bauherrn Delta Development, schätzt, dass in Spitzenzeiten rund 200 Arbeiter vor Ort seien. Alle ausgestattet mit Helmen, Warnwesten und Sicherheitsschuhen. Eine Pflicht. Auch für Besucher der Baustelle. Denn auf der Baustelle ist bereits ein tragisches Unglück passiert. Im Februar 2023 ist ein Mitarbeiter auf dem Gelände gestorben. Er war aus großer Höhe abgestürzt.
Laderampe an Laderampe
Von Hodenberg und Tepner brechen auf von der derzeitigen Baustellenzufahrt in Richtung Ladebereich. Parallel zur Zufahrtsstraße reiht sich Laderampe an Laderampe. Mehr als 30 an der Zahl. Darüber verläuft die markante Fensterfront. Die letzten Paneele werden noch montiert. Auf einem Hubsteiger macht sich ein Arbeiter daran zu schaffen.

Die beiden Projektleiter gehen weiter. Dorthin, wo das Eingangsportal entstehen soll. Direkt an der Ecke zur Dülmener Straße. Dieser wird erreichbar sein über eine große Treppe. „Unter der Treppe wird ein Fahrradkeller eingerichtet“, sagt Tepner. „Und um die Treppe herum wird es einen Teich geben“, ergänzt er. Von Hodenberg fügt hinzu: „Unter anderem dieser Teich wird geschaffen als Ausgleich für die versiegelten Flächen hier.“ Wie wichtig die Nachhaltigkeit für die Bauherren, aber auch für Levi‘s ist, wird an anderer Stelle auf der Baustelle noch deutlicher.
Dass ein solches umfangreiches und auch kostspieliges Projekt umgesetzt wird, sei in der Gegenwart nicht mehr selbstverständlich, hebt Tepner hervor. „Während der Corona-Pandemie wurden viele Bauvorhaben pausiert“, sagt er. „Das stand bei uns nie zur Diskussion.“
Keine Planänderung beim Bau
Außerdem sei es üblich, dass während des Baus von herkömmlichen Lager- und Logistik-Hallen nicht alle geplanten Vorhaben umgesetzt würden. „Dann wird beispielsweise eine günstigere Fassade gewählt“, sagt Tepner. Von solchen Sparmaßnahmen habe man jedoch abgesehen. Dabei hätten sich die Baukosten für die Europa-Zentrale von Levi’s aufgrund der Inflation ebenfalls erhöht. Genaue Zahlen nannte Von Hodenberg dazu aber nicht.
Auf dem Weg ins Gebäude gibt Von Hodenberg einem Baggerfahrer ein Zeichen. Er solle bitte kurz warten, die Projektleiter vorbeilassen. Untereinander pflege man ein lockeres Miteinander, sagt er: „Wir haben eine Duz-Kultur.“ Das sei bei amerikanischen Unternehmen sehr verbreitet, ergänzt Von Hodenberg mit Blick auf Levi‘s.
Angekommen im Inneren der heiligen Hallen eröffnet sich ein Blick in die weitläufige Halle hinter den Lkw-Ladebühnen. Filmen und Fotografieren ist dort erstmal tabu. Dort werde bereits spezielle Lager- und Logistik-Technik für Levi‘s verbaut. Nebenan, hin zur Dülmener Straße, befindet sich eine weitere große Halle. Ware werde dort aber nicht verladen, so Von Hodenberg. Stattdessen sei dies „ein freier Entwicklungsbereich“. Über diese Fläche könne Levi‘s frei entscheiden, sie beispielsweise für Firmenfeiern nutzen.
Rohbau ist abgeschlossen
Bis es soweit ist, dauert es einige Monate. Noch liegen zum Beispiel Lüftungsschächte auf dem Boden. Sie müssen noch montiert werden. Installiert worden sind hingegen schon auffallend rote Rohre. Sie verlaufen entlang der Decken und Wände. Sie gehören zur Sprinkleranlage, die das Gebäude vor einem ausgedehnten Brand schützen soll.

Über den Rohbau eines Treppenhauses gelangen die Projektleiter in das darüberliegende Geschoss, in dem sich unter anderem Büros, aber auch die Mensa befinden. Lichtdurchflutet, mit einer Deckenhöhe von über fünf Metern und einem angrenzenden Innenhof gehört sie ebenfalls zu den eindrucksvollsten Hallen. Und genau dort soll ein Teil der Dorstener oder besser: der Wulfener Geschichte weiterleben.
Zentrum soll nachhaltig sein
Zehn alte Industrielampen des Wulfener Marktes sollen in der Kantine aufgehängt werden. Die Relikte des Abrissgebäudes hatte Julian von Hodenberg Anfang 2023 für die Firma Delta Development gesichert.

Die Levi‘s-Angestellten sollten jedoch in Wulfen nicht nur arbeiten. Sie sollen sich dabei wohlfühlen. Dazu beitragen soll der „Dachgarten“, wie Eric Tepner sagt. Denn dort, wo derzeit nur eine schwarze Folie zur Abdichtung liegt, soll das Dach unter anderem mit Moosen und kleinen Sträuchern begrünt werden. Auch das gehört mit zum Nachhaltigkeitskonzept des Levi‘s-Baus. Dafür war Levi’s erst kürzlich ausgezeichnet worden. Ebenso wie die Photovoltaik-Anlage in einer Höhe von fast zehn Stockwerken. 27 Meter über Dorsten.
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