Im Atrium des Paul-Löbe-Hauses herrschte am Mittwoch (9.4.) Hochbetrieb. Zahlreiche Zuschauerinnen und Zuschauer drängelten sich vor der Bühne und auf den Balkonen. Im Zentrum des Geschehens: Markus Söder (CSU), Friedrich Merz (CDU), Lars Klingbeil (SPD) und Saskia Esken (SPD). Das Quartett stellte den lange erwarteten Koalitionsvertrag zwischen der Union und der SPD vor.
Das über 140 Seiten starke Papier mit dem Titel „Verantwortung für Deutschland“ hält fest, wie die Union und die SPD das Land in den kommenden Jahren regieren wollen. Aber: Er spaltet auch die Gemüter, wie bei den Dorstener Bundestagsabgeordneten Nicklas Kappe (CDU) und Uwe Foullong (Die Linke) deutlich wird.
„Kernprobleme“ werden angegangen
Der CDU-Mann, der das Direktmandat im Wahlkreis 124 mit Dorsten, Gladbeck und Bottrop holte, spricht in einer Pressemitteilung „von einem echten Politikwechsel“. „Endlich werden die Kernprobleme unserer Städte angegangen“, meint er.
Mehrere aus seiner Sicht besonders wichtige Aspekte greift Nicklas Kappe heraus: die Altschuldenproblematik, die geplanten Reformen in der Sozialpolitik, die Migrationspolitik mit klaren Leitlinien und den „Boost“ für die Wirtschaft.
Seit Jahren leiden Kommunen wie Dorsten unter Altschulden. Die Vierjahres-Prognose, die Dorstens Kämmerer Karsten Meyer im Rahmen des Haushaltsentwurfs für 2025 aufstellte, beinhaltete das zweitschlechteste Ergebnis in der Geschichte.
Bilanzielle Überschuldung droht
In der Prognose liegt das Gesamtdefizit von 2025 bis 2028 bei einem Minus von 126,5 Millionen Euro. Im Laufe des Jahres 2027 erwartet der Kämmerer die bilanzielle Überschuldung - sofern keine Hilfe von außen kommt.
Doch die Unterstützung, so Nicklas Kappe, komme. Die Koalition habe eine klare Beteiligungszusage gemacht. Mit der Einhaltung des Konnexitätsprinzips werde klargestellt: „Wer Aufgaben definiert, muss auch für deren Finanzierung sorgen.“
Zudem begrüßt Nicklas Kappe die Abschaffung des Bürgergeldes samt Überführung in eine neue Grundsicherung. Wichtig sei ihm die Eigenverantwortung, dass sich jede arbeitslose Person aktiv um Beschäftigung bemühen müsse. „Fördern und fordern“ sei das Motto.
5.704 Leistungsberechtigte
In Dorsten gebe es aktuell (Stand Dezember 2024) 2.916 Bedarfsgemeinschaften (z.B. Haushalte, Familien etc.), für Bürgergeld, erklärt Thomas König, Pressesprecher vom Jobcenter Kreis Recklinghausen. Insgesamt gebe es 5.704 Leistungsberechtigte. Davon seien 4.075 erwerbsfähige Personen, die zur Arbeitsvermittlung zur Verfügung stünden.
Des Weiteren, sagt Nicklas Kappe, stärke die Koalition die Arbeitsmoral mit steuerfreien Überstunden und der sogenannten Aktivrente, mit der Menschen im Rentenalter sich monatlich 2.000 Euro steuerfrei hinzuverdienen können.
Auch Wirtschaftsunternehmen sollen profitieren. Zunächst sollen die Kosten für Bürokratie bis Ende 2025 um 25 Prozent sinken. Und: Unternehmen sollen mit einer Abschreibung von 30 Prozent zum Investieren angeregt werden.
Industriestrompreis soll sinken
Nicklas Kappe: „Damit das Geld für diese Investitionen zur Verfügung steht, werden Unternehmen und Verbraucher dauerhaft bei den Energiekosten entlastet.“ Und zwar in Form eines um 5 Cent pro Kilowattstunde sinkenden Industriestrompreises.
Und, so Nicklas Kappe: „Migration soll künftig geordnet und gesteuert erfolgen.“ Grenzkontrollen, Zurückweisungen und eine zweijährige Aussetzung des Familiennachzuges für Schutzberechtigte seien im Koalitionsvertrag vorgesehen. „Das wird unsere Städte konkret entlasten“, meint der CDU-Abgeordnete, unter anderem mit Blick auf die emotional aufgeladene Diskussion um die geplante ZUE in Wulfen aus Sommer 2024.
Grundsätzlich sieht Nicklas Kappe „viele neue Chancen“ für Dorsten, Bottrop und Gladbeck durch den Koalitionsvertrag.
Kritik aus der Opposition
Uwe Foullong, Wahlkreisabgeordneter für die Linken und damit Teil der Opposition, steht dem Vertrag hingegen kritisch gegenüber. Er bezeichnet ihn als „große Illusion“ und gar als „Täuschung der Bürgerinnen und Bürger“. Es gebe „wenige gute und viele bedenkliche Aspekte“.

Sein Kernargument: „Viele Punkte stehen unter Finanzierungsvorbehalt.“ Das erklärte Lars Klingbeil während der Pressekonferenz am Mittwoch. „Das heißt, wir nehmen es uns vor, aber ob es finanziert werden kann, muss am Ende geprüft werden“, so der SPD-Chef.
Mit Blick auf die Abschaffung des Bürgergeldes befürchtet Uwe Foullong eine Kürzung der Sozialleistung. Das widerspreche dem Sozialstaat. Er halte es für fragwürdig, wenn der Eindruck entstehe, alle Bürgergeldempfänger wären faul. Aber: Eben jener Eindruck solle nicht entstehen, so Nicklas Kappe im Gespräch mit dieser Redaktion.
Die Preisreduzierung beim Industriestrom sei derweil „ein Schritt in die richtige Richtung“, so Uwe Foullong. Dennoch bleibe Skepsis bei dem Abgeordneten und seiner Partei: Es gebe keine Kontrollen, dass die sinkenden Preise tatsächlich auch bei den Verbrauchern ankommen. Auch auf die grundsätzlich gute Altschuldenlösung könne man sich nicht verlassen.