Vor 80 Jahren – in der Nacht zum 10. November 1938 – brannten überall im Reich die Synagogen. Auch das Gotteshaus der Dorstener Juden in der Wiesenstraße wurde verwüstet und geschändet.

Dorsten

, 09.11.2018, 04:55 Uhr / Lesedauer: 2 min

Friedhelm Potthoff war damals gerade neun Jahre alt, als er von der Nachbarwohnung aus das Geschehen beobachtete: „Draußen dunkelte es bereits. Plötzlich drang Lärm von der Straße in unsere Wohnung. Ich rannte zum Fenster und sah ungewöhnlich viele Menschen in Uniform, die in den Händen Brandfackeln hielten und vor unserem Haus an der Ecke Wiesenstraße/Nonnenstiege standen.“ Anfang der 1980er-Jahre berichtete der Dorstener seine Erlebnisse den Mitgliedern der damaligen Forschungsgruppe „Dorsten unterm Hakenkreuz“, die sie in Band 1 ihrer lokalgeschichtlichen Reihe veröffentlichten.

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Auch, wenn die Schilderungen des mittlerweile verstorbenen Dorsteners nicht in jeder Einzelheit die tatsächlichen Ereignisse widerspiegeln mögen, geben sie doch beredtes Zeugnis von der Brutalität ab, mit der die Nazi-Horden gegen die jüdischen Bürger der Stadt vorgingen.

„Im Schein der Fackeln konnte ich auch bekannte Dorstener Gesichter erkennen, darunter viele Jugendliche in HJ- oder BDM-Kluft“, berichtet Potthoff weiter, „Angeführt wurde der Haufen von SA- und SS-Männern. Aber auch Zivilisten befanden sich darunter. Die etwa 25-köpfige Horde teilte sich. Während einige in das Haus eindrangen, standen andere am offenen Hof zur Nonnenstiege und sahen zu den Fenstern der Synagoge hinein. Sie grölten, sangen und pfiffen.“

Im jüdischen Gemeindehaus, in dem sich im ersten Stock die Synagoge befand, wohnte der 74-jährige jüdische Pferdehändler Josef Minkel mit seiner 22-jährigen Tochter Hertha. Der alte Minkel starb Monate später, die Tochter wanderte nach England aus.

“Randalierer stürmten die Treppe hoch“

„Die Randalierer“, so Potthoff weiter, „stürmten die Treppe zur Synagoge hoch. Durch den Anbau unseres Hauses konnten wir von unseren Fenstern direkt in die Synagoge sehen. Was sich dort abspielte, war schlimm. Da das Haus in die Häuserzeile der Wiesenstraße eingebaut und zudem sehr alt war, konnten die mitgebrachten Fackeln zur Brandstiftung nicht benutzt werden. So beschränkten sich die Zerstörer auf die Verwüstung der Synagoge. Wir erschraken, als plötzlich Mauerbrocken und Fenster samt Rahmen mit großen Vorschlaghämmern herausgeschlagen wurden. Die Uniformierten schlugen in der Synagoge alles kurz und klein und warfen die zerbrochenen Stühle und die sakralen Gegenstände durch die Fensterlöcher auf den Hof zur Nonnenstiege hinunter. Jeder Wurf wurde mit Gejohle quittiert.“

Inventar brannte lichterloh

Potthoff berichtet, dass die Täter das zerschlagene Inventar anschließend auf den nahen Marktplatz schleppten, es vor dem Alten Rathaus auf einen Haufen warfen und anzündeten: „Während Gebetsbücher, Schriften, die Thorarolle und die sakralen Gewänder brannten, schlugen die Hitler-Jungs auf ihre Trommeln, und es gab viel Geschrei. Aus der Gordulagasse kam eine andere Gruppe, die ebenfalls Gegenstände zum Verbrennen anschleppte. ... Inzwischen war es völlig dunkel geworden, und man sah noch lange den Feuerschein auf dem Marktplatz leuchten.“

Die Dorstener Volkszeitung „würdigte“ in einem Artikel am 11. November 1938 die Übergriffe: „Vor allem wurden die Räumlichkeiten der Synagoge in der Wiesenstraße einer Revision unterzogen und die Einrichtungsgegenstände und Schriften zum Teil zerstört.“

Ein zynischer „Vorgeschmack“ auf das, was in den Folgejahren noch alles kommen sollte.