Hildegard Jaekel hat Dorsten verändert Ihr Leben begann „eingesperrt im Waisenhauskeller“

Hildegard Jaekel wird 80 Jahre alt: Fürsorge ist ihr Lebensthema
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Als die kleine Hildegard 1943 als jüngstes von drei Kindern auf die Welt kam, meinte es das Schicksal nicht besonders gut mit ihr. Sie war kaum ein Jahr alt, da erlag ihre Mutter mit 26 Jahren einem Tuberkulose-Leiden.

Ihr Vater, mit ihr, ihren erst drei und fünf Jahre alten Brüdern und seinem Alkoholkonsum hoffnungslos überfordert, überließ die Kleinen zunächst der Großmutter. „Aber schon bald landete ich im Waisenhaus“, erzählt Hildegard Jaekel.

Aus ihren ersten vier Lebensjahren hat das Kriegskind Hildegard „schweres Gepäck“ fürs ganze Leben mitgenommen: Eine nicht behandelte Ohrenentzündung bescherte ihr eine starke Schwerhörigkeit, eine Masern-Erkrankung nahm ihr die Sehkraft auf dem rechten Auge.

Und das Leben im Kinderheim war kurz nach Kriegsende auch alles andere als ein Zuckerschlecken. „Meine früheste Kindheitserinnerung ist ein Gitterbettchen in einem Kellerraum des Heimes, in dem ich so lange eingesperrt blieb, bis ich das verhasste und bereits erbrochene Möhrengemüse endlich aufgegessen hatte.“

Hildegard Jaekel als Kleinkind
Dieses Foto von der kleinen Hildegard ziert heute die Geburtstagseinladung. © privat

Das Leben des Kindes änderte sich, als Hildegard zu Pflegeeltern kam. „Die waren schon älter, aber haben mich als Einzelkind behütet groß werden lassen.“ Dass ihre kränkelnde Pflegetochter in einer gut gemeinten Kinderkur wegen ihrer Schwerhörigkeit manches Mal zu Unrecht bestraft wurde, haben die Pflegeeltern nie erfahren. Von Sehfehler und Schwerhörigkeit hat sich Hildegard Jaekel nie aus der Bahn werfen lassen und immerhin wird sie heute 80 Jahre alt.

Dankbar für Pflegeeltern

Ihren Pflegeeltern ist sie immer noch dankbar: „Mein Pflegevater hat mir den Besuch des Gymnasiums ermöglicht, das war ihm wichtig.“ Bis zum Abitur hat die Tochter es dennoch nicht geschafft: „Das schlechte Hören hat das Sprachenlernen sehr erschwert“, erzählt Hildegard Jaekel, „aber in Mathe und Deutsch war ich sehr gut.“ Schon damals war Lesen ihre große Leidenschaft - und ist es bis heute.

Als sie volljährig wurde, begann sie auf der Höheren Fachschule eine dreijährige Ausbildung zur Sozialarbeiterin. „Damals sagte man noch Fürsorgerin“, sagt Hildegard Jaekel lachend und erzählt, dass sie bereits im ersten Semester beim Sommerfest ihren späteren Ehemann kennengelernt hat.

Der ehemalige Bergmann laborierte an einer Staublunge, hatte Bundeswehr-Erfahrung und einen Vater, der in der Wehrmacht gedient hatte. „Das gefiel meinem Pflegevater, der in den Niederlanden im Widerstand gewesen war, gar nicht.“ Aber gegen die Liebe zwischen Hildegard und ihrem Studienkollegen kam er nicht an.

Berufstätig mit zwei Kindern

Nach dem Examen zog es das Junge Paar aus dem Rheinland zunächst ins ostwestfälische Herford, dort wurden auch die beiden Töchter geboren, die heute 52 und 55 Jahre Jahre alt sind. Hildegard Jaekel blieb auch als Mutter zweier Kinder stets berufstätig. Sie arbeitete halbtags in der Abteilung Familienhilfe des Jugendamtes, knüpfte damals schon erste zufällige Kontakte nach Dorsten, wohin sie hin und wieder einen Jungen ins Knabenerziehungsheim des Landes brachte.

„Ich war zunächst gar nicht begeistert, als meinem Mann eine Stelle als Leiter eines Kinderheimes in Dorsten angeboten wurde“, erinnert sich Hildegard Jaekel. Doch dann zog sie mit ihm und den Töchtern nach Dorsten - und fand schon nach 14 Tagen Arbeit bei der Diakonie als Betreuerin für Erwachsene. In der neuen Heimat wurde auch der Grundstein gelegt für eine beispiellose Ehrenamtlichen-Karriere.

Kampf fürs Frauenhaus

Die ersten, die das Potenzial von Hildegard Jaekel erkannten, waren die Geschlechtsgenossinnen von „Frauen helfen Frauen“. Schon in den frühen 1980er-Jahren setzte sich Jaekel an ihrer Seite für die Errichtung eines Frauenhauses in Dorsten ein. Sie wusste um den Bedarf. Anfangs konnte der Verein nicht einmal bei den Kommunalpolitikerinnen mit ihrer Forderung punkten. „Die hatten damals wenig Verständnis für die Nöte der Frauen und ihrer Kinder, die unter gewalttätigen Männern litten.“

Doch „Frauen helfen Frauen“ ließ sich nicht beirren. Jaekel: „Wir haben mitten in der Fußgängerzone eine Wohnung gemietet und beim Sozialausschuss einen Zuschuss von 10.000 Mark beantragt.“ Der Zuschuss wurde bewilligt und das Frauenhaus seither nie wieder öffentlich infrage gestellt.

Hildegard Jaekel ist auf den Rollator angewiesen.
Für den Seniorenbeirat legt Hildegard Jaekel gern den Finger in Wunden: Für Rollator-Nutzer seien Grünphasen an Fußgängerampeln häufig zu kurz, beklagte sie vor Jahren. © Claudia Engel (Archiv)

Die Frauenhaus-Episode hat ohne Zweifel dazu beigetragen, dass die engagierte Sozialarbeiterin irgendwann erkannt hat, dass die Politik nicht ihr Feld war. „Ich wollte Fachwissen und Menschlichkeit einbringen, politische Ränkespiele waren nicht mein Ding“, sagt sie im Rückblick über ihre Entscheidung, sich nach mehreren Versuchen von Parteien einfach fernzuhalten. Im Seniorenbeirat des Landes NRW dagegen und im Seniorenbeirat der Stadt Dorsten hat Hildegard Jaekel später ihren politischen Platz gefunden.

Beliebte Laienpredigerin

Beruflich hat es die konvertierte Protestantin irgendwann zum Evangelischen Kirchenkreis verschlagen, wo sie zehn Jahre als Frauenreferentin im ganzen Kirchenkreis unterwegs war - per Bus und Bahn übrigens, denn wegen ihres Augenleidens hat Hildegard Jaekel nie einen Führerschein machen können.

„Als ich dann vorzeitig in den Ruhestand ging“, erzählt die ehemalige Presbyterin, „habe ich bei der Evangelischen Landeskirche eine Ausbildung zur Laienpredigerin gemacht.“ In Holsterhausen, Rhade und Lembeck war sie als Rednerin beliebt. Bis vor Kurzem hat sie auch im Paulinum an der Juliusstraße, wo sie seit dem Tod ihres geliebten Mannes vor zehn Jahren wohnt, Gottesdienste gestaltet.

Jetzt wird gefeiert

In der Gemeinschaft an der Juliusstraße fühlt sie sich wohl, auch wenn manchmal der Aufzug streikt, die Wohnung im siebten Stock dann zum „Gefängnis“ wird und ihre gleichaltrigen Nachbarn für ihren Geschmack manchmal etwas zu viel über Krankheiten und Geld reden.

Mit Nachbarn und Freunden hat sie am Montag in der Begegnungsstätte ihren 80. Geburtstag mit einem Frühstück gefeiert, mit der Familie ging es am Sonntag zum gemeinsamen Essen ins Landhaus Föcker in Haltern.

Dieser Artikel wurde zuerst zum 2.9.2023 veröffentlicht, dem 80. Geburtstag von Hildegard Jaeckel.

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