Emotionale Unterstützung auf dem Weg

© privat

Emotionale Unterstützung auf dem Weg

rnInterview

Die Dortmunder Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin Judith Lichtenberg erzählt im Interview, warum die psychologische Begleitung von Transmenschen so wichtig ist.

Dorsten

, 09.03.2019, 04:50 Uhr / Lesedauer: 3 min

Woran merken Menschen, dass sie im falschen Körper geboren sind?

Zu Beginn merken die Kinder, dass sie anders als ihre Spielkameraden sind. Beispielsweise erlebt ein biologischer Junge, dass er, anders als vielleicht seine „Jungsfreunde“, lieber mit den Mädchen tanzt oder „Vater-Mutter-Kind“ statt Fußball oder Ninja-Kämpfer spielt. Später dann, wenn die Pubertät einsetzt, kommt ein ausgeprägtes körperliches Unwohlsein hinzu, da der Körper mehr und mehr als fremd empfunden wird. Spätestens dann setzt der für uns Psychotherapeuten klinisch relevanter Leidensdruck ein. Oft stellen sich auch dann erst die Betroffenen in unserer Praxis vor.

In welchem Alter kommen die meisten Menschen zu Ihnen mit dem Wunsch einer Geschlechtsangleichung?

Der Wunsch nach einer Geschlechtsangleichung ist meist schon sehr früh vorhanden. Für die betroffenen Transmenschen wird dieser Wunsch meist unumgänglich, wenn sie in die Pubertät kommen und der Körper und das Aussehen sich bei allen sichtbar in männlich beziehungsweise weiblich verändert. Hier kommt zum eigenen Unwohlsein auch der soziale Druck von außen, da die Betroffenen immer häufiger mit der Frage konfrontiert werden „Bist du ein Junge oder ein Mädchen?“ Spätestens dann, also ab dem circa 13. Lebensjahr, kommen die meisten Patienten zu uns.


Warum ist eine psychotherapeutische Begleitung für eine gegengeschlechtlichen Hormonbehandlung verpflichtend in Deutschland?

Die psychotherapeutische Begleitung ist bereits mit Beginn der sogenannten Alltagserprobung in Deutschland verpflichtend. Das bedeutet, dass ein Transmensch vor Beginn der gegengeschlechtlichen Hormonbehandlung für zwölf Monate in seinem Wunschgeschlecht leben muss. Und zwar in allen Lebensbereichen. Das bedeutet, es muss einen „Tag X“ geben, an welchem der/die Jugendliche sich in allen Lebensbereichen outet (Familie, Schule, Sportverein, Freundeskreis etc.) und von diesem Tag an auch in seinem Wunschgeschlecht lebt.

Ein Transmensch muss von diesem Tag an mit seinem neuen Namen angesprochen werden, er sollte seinen Kleidungsstil seinem Wunschgeschlecht anpassen, dem erlebten Geschlecht entsprechende öffentliche Toiletten aufsuchen und so weiter. Oftmals kommt es hierbei zu Irritationen beziehungsweise Konfrontationen mit anderen. Nicht selten leider auch zu Mobbingsituationen. Die Jugendlichen dabei zu begleiten, sie emotional zu stabilisieren, sie zu stärken und ihnen Tipps an die Hand zu geben, ist eine wichtige Aufgabe von uns Psychotherapeuten. Ich unterstelle dem Gesetzgeber an dieser Stelle, dass die psychotherapeutische Behandlung deswegen verpflichten ist: Um die Betroffenen gar nicht erst vor die Wahl zu stellen, „soll ich oder soll ich nicht“ zum Psychotherapeuten gehen.

Was sollten Eltern machen, wenn ihr Kind den Wunsch äußert, das Geschlecht zu wechseln?

In erster Linie ihr Kind ernst nehmen und ihm/ihr zuhören. Denn selbst, wenn sich später herausstellen sollte, dass ihr Kind doch nicht trans ist, so gab es doch einen Grund, warum ihr Kind eine Zeit lang glaubte, im falschen Körper zu stecken. Einander zuhören, sich respektiert fühlen sind dabei ganz wichtige Komponenten. Nicht selten fühlen sich Eltern jedoch überfordert und haben auch Angst, etwas falsch zu machen. Das ist nur verständlich. Im Rahmen der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie bieten wir immer auch begleitende Therapiesitzungen für Eltern an, die dann entweder die Eltern allein oder auch mit ihrem Kind gemeinsam nutzen können.


Und was wären mögliche Folgen, wenn man so einen Wunsch unterdrückt?

Ich denke, die größten Schwierigkeiten entstehen auf der Beziehungsebene zwischen Kind und Eltern. Wenn Kinder nicht mehr das Gefühl haben, ihren Eltern vertrauen zu können, dann suchen sie sich andere Vertrauenspersonen. Es entsteht ein großes Loch auf der Beziehungsebene, was sich im weiteren Verlauf nur schwer wieder füllen lässt. Nach meiner Erfahrung ist es wichtig, durch diesen Prozess gemeinsam zu gehen. Mit allen Höhen und Tiefen. Aber so bleiben beide Seiten weiterhin in Kontakt. Das ist wichtig.

Mit welchen Herausforderungen hat ein jugendlicher Transmensch zu kämpfen, wenn die Unterstützung ausbleibt?

Leider gibt es Jugendliche, die trotz aller Versuche keine Unterstützung von ihren Eltern erhalten. Der Trans-Weg gestaltet sich für sie sehr mühsam, denn für viele Dinge auf diesem Weg müssen die Eltern als gesetzlicher Vertreter zunächst ihr Einverständnis geben. Wenn die Eltern nicht gewillt sind, dieses zu tun, wird der/die Jugendliche erst nach Durchlaufen der Pubertät und der damit verbunden körperlichen Veränderungen mit der gegengeschlechtlichen Hormontherapie beginnen können - da mit Erreichen der Volljährigkeit natürlich selbst entschieden werden kann.

Die körperlichen Veränderungen, die dann beispielsweise durch operative Maßnahmen notwendig werden, sind weitaus umfangreicher. Zudem gibt es vor allem bei Transfrauen (biologisch männlich) körperliche Veränderungen, die selbst durch die aufwendigsten und teuersten Operationen nur noch schwer zu verändern sind. Diese Frauen werden leider oft noch sehr, sehr lange von ihrem Umfeld gemobbt und haben es nicht selten im Lebensalltag deutlich schwerer, als Frauen, deren „Passing“ (Passing = als Mitglied einer Gruppe durchgehen/einsortiert werden ohne Aufmerksamkeit zu erwecken) gut verlaufen ist.

Schlagworte: