Einsame feiern Heiligabend in Dorsten gemeinsam Abend voller Freude, Trost und Gemeinschaft

Einsame feierten Heiligabend gemeinsam: Abend voller Freude und Trost
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Als die Kirchenglocken am Dienstag kurz nach 18 Uhr in Dorsten läuten, ist das ein erster Hinweis darauf, dass dies kein gewöhnlicher Abend ist. Es ist Heiligabend. Ich mache mich auf, Menschen zu treffen, denen das Schicksal hart mitgespielt hat: Einsamkeit, eine lange Drogenkarriere, der Verlust des Partners oder das Leben als Flüchtling fern von der Familie – das sind nur einige der Lebensgeschichten, mit denen ich an diesem Abend konfrontiert werde. Doch statt Trübsal zu blasen, dürfen sie - dank vieler engagierter Helfer - einen weihnachtlichen Abend mit viel Freude und Gemeinschaft erleben.

Erster Anlaufpunkt ist der Ellerbruchtreff in Hervest. Schließlich hatte mich Organisator Dietmar Steuer vor gut anderthalb Monaten inspiriert, mich am Heiligabend auf die Spuren genau jener Menschen zu begeben. Beim 1. Dorstener Forum unter dem Motto „Einsamkeit – Verstehen und Begegnen“ hatte er mir viel über die Arbeit des Ellerbruchtreffs erzählt und ganz beiläufig erwähnt, dass die einsamen Menschen sich nicht nur einmal wöchentlich dort treffen würde, sondern auch am Heiligabend gemeinsam gefeiert werde.

Damit war sofort mein Interesse geweckt. Womit ich nicht gerechnet habe und was mir positiv in Erinnerung bleiben wird, ist die Offenheit der Betroffenen an diesem Abend.

Schließlich war ich mit dem Thema Einsamkeit schon durch die von Gudrun Schmidt-Gahlen organisierten Sonntagsspaziergängen und dem 1. Dorstener Forum konfrontiert worden. Während dort noch Teilnehmer von Scham geplagt waren, was ihnen keineswegs übelzunehmen ist, wurde ich hier von allen Teilnehmern mit offenen Armen empfangen, durfte sogar Fotos machen und erhielt bereitwillig Auskunft.

Essen wird serviert
Auch das leibliche Wohl kommt nicht zu kurz: Dietmar Steuer serviert seinen Gästen leckere Würstchen. © Bernd Turowski

„Wenn nur einer kommt, dann haben wir nichts falsch gemacht“, erinnert sich Pfarrer August Hüsing an eine Aussage aus den zaghaften Anfängen vor gut zwölf Jahren. Inzwischen feiert man zum zehnten Mal gemeinsam am Heiligabend. Nur in der Coronazeit wurde zweimal pausiert. Und die Teilnehmerzahl wuchs nach Corona stetig.

„Ich würde jetzt alleine zu Hause sitzen“, sagt Magdalene (75), die auch schon seit zehn Jahren zu den regelmäßigen Besuchern zählt, obwohl sie drei Kinder hat. Denn auch das war zu hören: „Bei Kindern und Enkelkindern zu feiern, ist nicht so wie die Feiern, als die eigenen Kinder noch klein waren.“ „Hinzu kämen Trauer, Verlust und Krankheit“, merkt Annette Schröder an.

Petra, die gegenüber sitzt, erzählt: „Ich wäre sonst bei meinem Bruder. Aber der hat morgen Geburtstag, dann bin ich sowieso da.“ Ganz anders ist die Situation bei Ewald Hoves. „Meine Lebensgefährtin ist bei den Kindern. Aber da ist wenig Platz. Deshalb bin ich zu Hause geblieben“, erzählt der 50-Jährige, bei dem sich dieses Ritual Jahr für Jahr wiederholt. Durch das Angebot im Ellerbruchtreff muss er aber diesen besonderen Abend nicht alleine verbringen.

Zwei Männer sitzen am Tisch, vor sich einen Teller
Pfarrer August Hüsing (l.) kann mit Tharcisse Niyungeko auch einen begnadeten Chorsänger begrüßen, der getrennt von seiner noch in Burundi lebenden Familie, gerne die Gelegenheit zum gemeinsamen Feiern annahm. © Bernd Turowski

Etwas später kommt Tharcisse Niyungeko hinzu. Pastoralreferent Kai Kaczikowski hatte ihn mitgebracht. „Durch ihn haben wir einen hervorragenden Chorsänger bekommen“, schwärmt August Hüsing, Leitender Pfarrer von St. Paulus. Schon in seiner Heimat Burundi leitete er einen Chor. Aufgrund politischer Probleme musste der 50-jährige Lehrer aber seine Heimat ohne Familie (Ehefrau und drei Kinder) verlassen.

Über mehrere Stationen kam er nach seinem Asylantrag, der nach zwei Jahren immer noch nicht entschieden ist, nach Deutschland. Inzwischen hat er sich ausgezeichnete Sprachkenntnisse angeeignet. Und auch in seinem alten Beruf ist er nicht untätig, soweit es die hiesigen Vorschriften erlauben: Als ehrenamtlicher Lehrer hilft er am Gymnasium St. Ursula mit.

Gemeinsam statt einsam: Im Ellerbruchtreff trafen sich vor allem einsame Menschen.
Gemeinsam statt einsam: Im Ellerbruchtreff treffen sich vor allem einsame Menschen. © Bernd Turowski

Ortswechsel: Auch ein paar Kilometer weiter, in der St. Antonius-Kirche in Holsterhausen findet zeitgleich eine weitere Feier für Menschen mit schweren Schicksalsschlägen statt. Hier ist die Familie Feller seit dem vergangenem Jahr federführend bei der Organisation des „Offenen Heiligabends in der Pfarrei St. Antonius“.

Nach dem Ausstieg langjähriger Ehrenamtlicher führen sie die langjährige Tradition weiter. Und der Dank der Teilnehmer war unübersehbar: Gut 70 Menschen waren gekommen.

Menschen sitzen an einem Tisch.
Erst vor 14 Tagen hat Erwin Brander (l.) seine Partnerin verloren und ist nun dankbar für den Trost, den er durch die Heiligabendfeier in Holsterhausen findet. © Bernd Turowski

Ich darf mich neben Erwin Brander setzen. Ein tiefschwarzes Hemd unter seiner Weste deutet auf einen noch nicht lange zurückliegenden Schicksalsschlag hin. Und richtig: „Ich habe vor 14 Tagen meine Partnerin verloren“ erzählt der 66-jährige Rentner, dem diese Ablenkung sichtlich guttut. Er habe sich früher selbst sozial engagiert, aber manches sei als Rentner nicht mehr stemmbar. Links neben mir sitzt Petra. Die 49-Jährige ist schon das zweite Mal dabei und gibt offen zu: „Ohne diese Veranstaltung würde ich alleine zu Hause sitzen!“

Menschen mit Nachtisch
Auch der Nachtisch darf an diesem ganz besonderen Abend nicht fehlen. © Bernd Turowski

Leben mit einer „Drogenkarriere“

Ein bewegtes Leben mit einer „Drogenkarriere“ hatte bisher auch Frank Fiebiger. Als junger Mann habe er alles hinter sich gelassen, sei nach Ägypten gereist und habe dort einige Zeit gelebt. „Nach der Rückkehr habe ich dann in einem skandinavischen Möbelhaus gearbeitet, bin dann aber an Drogen geraten.“

Aus diesem Sumpf kam es nicht mehr raus. Auch Therapien halfen nicht. „Dann hat mir ein Betreuer knallhart gesagt, dass ich es niemals schaffen werde, und da hat mich der Ehrgeiz gepackt.“

Abgesehen von zwei Rückfällen bekam er seine Sucht in den Griff, konnte inzwischen sogar einen den Kurs „Basiswissen Sucht“ erfolgreich besuchen und hilft inzwischen einer kleinen Gruppe Drogensüchtiger mit seinem Wissen und seinen Erfahrungen.

Der früher drogenabhängige Frank Fiebiger (l,), hier mit Thomas Hein, kommt Heiligabend gerne nach Holsterhausen.
Der früher drogenabhängige Frank Fiebiger (l,), hier mit Thomas Hein, kommt Heiligabend gerne nach Holsterhausen. © Bernd Turowski

Stammgast bei der Weihnachtsfeier

Der gebürtige Holsterhausener ist auch schon seit Jahren Stammgast bei der Weihnachtsfeier und brachte diesmal sogar seine Nachbarin mit, die vor einem halben Jahr ihren Partner verloren hatte.

Dann entdecke ich ein bekanntes Gesicht unter den Helfern, das mich überraschte: Thomas Hein, der erst kürzlich als Dorstener Unternehmer des Jahres gekürt wurde. Hier war er emsig damit beschäftigt, das Essen und Nachspeisen unter den gut 70 Gästen an diesem Abend zu verteilen. „Ich hatte das im vergangenen Jahr gelesen und wollte da einfach mitmachen“, gesteht Hein. Ganz ohne einschlägige Erfahrung als Helfer bedürftiger Menschen war er allerdings nicht. Schon in jungen Jahren hatte er nach eigenen Angaben mit seiner Freundin in Bonn Tüten an Obdachlose auf der Straße verteilt.

Uli Kamp mit Mikrofon
Uli Kamp trägt für die Teilnehmer der Heiligabendfeier in St. Antonius zwei Gedichte vor. © Bernd Turowski

Apropos Helfer: Da gebührt natürlich ein ganz besonderes Lob der Familie Feller. Johanna, Benedikt, Luisa, Matthias und Jutta, die alles organisiert hatten, die ein gut 30-köpfiges Helferteam aufboten und den ganzen Abend im Dienst der ganz besonderen Gäste stellten. Aber eine Frage stellt sich natürlich: Feiert die Familie Feller selbst kein Weihnachten? „Wir holen das am Abend des ersten Weihnachtsfeiertags nach“, so Jutta und Johanna Feller. Es sei ihnen gegönnt. Und natürlich auch den Helfern des Ellerbruchtreffs.

Ach ja, auf die Gäste wartete am Ende auch noch eine doppelte Überraschung: Es gab nicht nur eine Weihnachtstüte, auch Lebensmittelspenden wurden noch verteilt.

Lebenmittel auf einem Tisch
Eine Überraschung wartet auf die Gäste noch beim Abschied. Neben einer Weihnachtstüte dürfen sie sich auch noch gespendete Lebensmittel aussuchen. © Bernd Turowski