„Sonntagszeit“ in Dorsten Gemeinsame Spaziergänge gegen Einsamkeit

„Sonntagszeit“: Gemeinsame Spaziergänge gegen Einsamkeit
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Sonntagszeit für 16 Menschen aus Dorsten im Wittringer Wald in Gladbeck. Ein herrlicher Park erwartet die Gruppe, auch wenn die Jahreszeit und die kahlen Bäume noch Erinnerungen an die eigene, scheinbar trostlose Situation wecken. Denn die meisten Teilnehmer des Sonntagsspaziergangs haben einen schweren Schicksalsschlag hinter sich, meistens den Tod des Lebenspartners. Durch Aktivitäten in der Gruppe suchen sie jedoch einen Weg aus der Einsamkeit zurück ins Leben, gönnen sich eine Auszeit von der Einsamkeit.

Gudrun Schmidt-Gahlen mit Manfred (83)
Er bringt eine gewisse Leichtigkeit in die Gruppe: Manfred (83), hier zusammen mit Initiatorin Gudrun Schmidt-Gahlen, ist seit Dezember bei den Spaziergängen dabei. © Bernd Turowski

Wie verletzlich die äußerlich scheinbar gefestigten Menschen sind, zeigt sich schnell. Eine unbedachte Frage - schon fließen Tränen. Kurz darauf aber geht das Gespräch weiter. Eine Situation, die für Unbeteiligte durchaus verwirrend sein kann. Aber: „Tränen gehören dazu“, sagt Gudrun Schmidt-Gahlen, Gründerin der Gruppe.

Bereitwillig geben die Spaziergänger Auskunft über ihre Situation. Dennoch möchten sie anonym bleiben. „Oft fehlt das Selbstbewusstsein. Viele wollen nicht, dass die Leute wissen, dass sie in Trauer sind. Sie wollen nicht erkannt werden“, erläutert die Initiatorin. Ein Trauercafé war oftmals der erste Anlaufpunkt. Dort gab und gibt es Gespräche mit Trauernden während einer Kaffeerunde. Aber auch das ist nicht jedermanns Sache.

„Mich nimmt das zu sehr mit, wenn vor allem die neuen Gruppenmitglieder im Trauercafé über ihr Schicksal berichten“, erzählt eine Teilnehmerin, die auch über einen Spaziergang mit Gudrun Schmidt-Gahlen zur „Sonntagszeit“ gekommen ist.

Vorfreude auf nette Gespräche

Manfred ist ein lustiger, humorvoller Mensch und ein begeisterter Golfer. „Der gehört einfach in die Gruppe. Er bringt eine gewisse Leichtigkeit hinein“, sagt Gudrun Schmidt-Gahlen über den 83-Jährigen, der seit Dezember des vergangenen Jahres regelmäßig an den Spaziergängen teilnimmt. Er schätzt vor allem das Miteinander und die Kommunikation.

Dass es durchaus schwierig sei, in seinem Alter noch Aktivitäten und Gruppen zu finden, erkennt auch Manfred an: „Man muss sich selbst schon auf den Weg machen“, so der 83-Jährige. Er erzählt, dass er neben seinem Sport auch einen guten Kontakt zum Heimatverein hat.

Ilse aus der Gruppe war zum zweiten Mal dabei und freut sich besonders auf die netten Gespräche mit den anderen Gruppenmitgliedern.

Alle sind gut zu Fuß

Das Tempo an diesem Sonntag in Wittringen überfordert niemanden. Die Teilnehmer im Alter von 60 bis Mitte 80 sind zu Fuß noch recht fit. Eine 81-Jährige nimmt sogar noch an Wanderungen des Sauerländischen Gebirgsvereins teil. Wer auf einen Rollator angewiesen ist, hätte es bei den Sonntagsspaziergängen womöglich schwer.

Gudrun Schmidt-Gahlen: „Ich hatte auch schon überlegt, für diese Menschen etwas zu machen, weil gerade die nur schlecht von zu Hause wegkommen. Aber ich kann nicht alles abdecken, obwohl mir das außerordentlich leid tut.“

Drei Frauen von hinten sitzen auf einer Bank.
Kurze Verschnaufpause mit Gespräch © Bernd Turowski

Die Gesprächsthemen an dem Tag sind vielfältig. Es geht um die Pflege des Gartens, Urlaubspläne, Fahrten mit dem E-Bike oder diverse Hobbys. An Gesprächsstoff mangelt es nicht. Neue Gruppenmitglieder werden gleich mit eingebunden. Dort, wo sich Gesprächsbedarf unter vier Augen ergibt, steht Gudrun Schmidt-Gahlen als ausgebildete Sozialarbeiterin und Therapeutin behutsam zur Seite.

„Die Gruppe weiß, dass ich durch den Tod meines Mannes auch eine Trauersituation erlebt habe. Trauernde greifen nach jedem Strohhalm, um aus dem Chaos der Gefühle herauszukommen. Die Traurigkeit kommt oft in Wellen. Wichtig ist es, in Kontakt und in Kommunikation mit anderen Menschen zu bleiben und sich nicht zurückzuziehen. Egal, ob man sich nur mit einem Menschen trifft, sich einer Gruppe oder einem Verein anschließt oder was auch immer. Hauptsache, man verkriecht sich nicht in seinem Schneckenhaus, wo die Einsamkeit dann zunimmt“, sagt Gudrun Schmidt-Gahlen.

20 Personen maximal

Begonnen hatte alles vor anderthalb Jahren. „Ich wohne sozusagen im Wald, und da habe ich bei meinen Spaziergängen oft Menschen gesehen, die mit gesenktem Kopf ihren Weg gingen und auch auf mein Grüßen nicht reagierten. Die habe ich irgendwann einfach angesprochen. Es war erstaunlich, wie schnell wir ins Gespräch kamen, obwohl wir uns ja fremd waren“, erinnert sich Gudrun Schmidt-Gahlen.

Nach einer Weile und weiteren Begegnungen fasste sie den Entschluss, Menschen zusammenzubringen, die vielleicht verwitwet oder/und einsam sind und sich über Kontakte mit Gleichgesinnten freuen würden.

Ihrem ersten öffentlichen Aufruf folgten am 2. Oktober 2022 tatsächlich 14 Frauen und Männer. Nach einem gemeinsamen Kennenlern-Spaziergang wurde gleich der nächste Termin verabredet. Schon da gingen einige aus der Gruppe anschließend gemeinsam zum Kaffeetrinken. Inzwischen ist die Gruppe auf 20 Männer und Frauen gewachsen.

Gudrun Schmidt-Gahlen hatte die Gruppe zunächst „Herzensspaziergänge“ genannt, analog einer ähnlichen Hamburger Initiative. Später einigte sich die Gruppe auf „Sonntagszeit“. Die Treffen finden alle 14 Tage an unterschiedlichen Orten in der Natur im Umkreis von ca. 20 Kilometern statt. Auch wenn es regnet, stürmt oder schneit, machen wir uns auf den Weg.“

Sie erinnert sich besonders an einen Spaziergang an einem denkbar ungemütlichen, schmuddeligen Tag: „Wir waren hinterher vollgematscht und nass, hatten aber einen Riesenspaß und freuten uns auf die anschließende heiße Tasse Kaffee.“ Und sie betont: „Wir passen immer aufeinander auf. Niemand wird zurückgelassen.“

Ehrenmal im Wittringer Wald
Erster markanter Anlaufpunkt der Gruppe: das Ehrenmal mitten im Herzen des Wittringer Waldes © Bernd Turowski

Zu den Treffen geht’s in Fahrgemeinschaften. Nach dem Spaziergang kehrt die Gruppe zum Kaffeetrinken ein. Einige Mitglieder einer Trauergruppe berichten, dass ihnen die Gespräche beim Spaziergang mit den anderen guttun und sie offener und gelöster sprechen können, als beispielsweise in einer Gesprächsrunde am Tisch.

„Ich freue mich immer, wenn die Gruppe selbst Vorschläge für das nächste Spazierengehen macht und die Tour auch plant. Auch so wächst das Miteinander. Einige Gruppenmitglieder treffen sich zwischendurch auch ohne mich, worüber ich mich sehr freue“, sagt Gudrun Schmidt-Gahlen.

Da für das Kaffeetrinken mit so vielen Teilnehmern immer ein Tisch vorbestellt werden müsse, werde es schwierig, wenn die Gruppe über 20 Personen hinauswachsen würde. „Deshalb würde ich mich sehr freuen, wenn sich jemand fände, der ein ähnliches Interesse hätte, Menschen zusammenzubringen, die sich allein fühlen. Hilfestellung gebe ich gern.“

Leiterin mit Menschenliebe

Ein Gruppenleiter müsse lediglich Menschenliebe mitbringen. „Darin ist alles enthalten. Es braucht keine besondere Ausbildung. Wichtig ist es lediglich, mit dem Herzen dabei zu sein, Geduld zu haben und den Menschen zuhören zu können, sodass sie sich gut aufgehoben fühlen“, versichert die Dorstenerin. Eine Belohnung gibt es auch, denn es komme viel zurück, was man für kein Geld der Welt kaufen könne: Dankbarkeit.

Weitere Infos gibt es bei Gudrun Schmidt-Gahlen, Tel. (02362) 3810. Ab dem 19. Mai trifft sich die Gruppe alle 14 Tage.