Die 44-jährige Dorstenerin will keinen Applaus und deshalb auch nicht ihren vollen Namen öffentlich machen. Aber sie hat sich geärgert über das Verhalten vieler Autofahrer an diesem Tag. „Es ist einfach ein absolutes No-Go, an einem hilflosen Menschen vorbeizufahren.“
Montagnachmittag, 17.15 Uhr: Die 44-Jährige war gerade von der Hervester Straße auf die Straße An der Wienbecke in Richtung Dorsten abgebogen, als vor ihr mehrere Autos nach links auswichen. Erst relativ spät habe sie den Mann gesehen, der ihr entgegenkam. „Er war am Boden, auf allen Vieren auf dem Rasensteifen neben der Fahrbahn. Mehr habe ich erst gar nicht registriert.“
„Einfach nur fassungslos“
Manuela L. hielt an. Ebenso ein weiterer Autofahrer hinter ihr sowie einer, der in entgegengesetzter Richtung unterwegs war. „Einer muss den Anfang machen.“ Da der Mann offensichtlich von Dorsten aus in Richtung Wulfen unterwegs war, müssen auf der kilometerlangen Straße viele Autofahrer den Mann zuvor gesehen haben. „Ich bin einfach nur fassungslos, wie viele Autos vor mir da schon vorbeigefahren sein müssen, ohne anzuhalten.“
Aufgrund der heruntergekommenen Kleidung des etwa 50 bis 65 Jahre alten Mannes habe sie zunächst den Verdacht gehabt, einen angetrunkenen Obdachlosen vor sich zu haben. Schnell habe sie aber gemerkt, dass von dem Mann „keine Gefahr ausging“.
Beim Näherkommen sah sie, dass der Mann aus Alt-Wulfen extrem blass war. „Er hatte eine komische Hautfarbe, ganz schlimm. An seinen Lippen hat man gesehen, dass er länger nichts getrunken hatte. Da war ein weißer Belag drauf.“
Verletzung am Arm
Der Mann sei total entkräftet, aber nicht betrunken gewesen und habe kaum noch sprechen können, so Manuela L., die immerhin seinen Vornamen verstand. Beim Versuch, den Mann hinzulegen, um den Kreislauf zu stabilisieren, fiel der 44-Jährigen dessen große unversorgte Verletzung am linken Unterarm auf.
Der Mann habe immer wieder versucht aufzustehen, was in Nähe der Fahrbahn allerdings gefährlich war. Froh war Manuela L. über die beiden Männer, die ihr zur Seite standen und längst den Krankenwagen gerufen hatten. „Die beiden waren wirklich super“, sagt sie. Als der Krankenwagen eintraf, kümmerte sich die Besatzung um den Mann.
Sauer ist die Dorstenerin auf die vielen, die an dem Mann vorbeigefahren sein müssen. „Gedankenlos, rücksichtslos, aus Angst, oder keine Ahnung warum auch immer.“
Manuela L. ist an ihrer Arbeitsstelle immer Ersthelferin gewesen, hat regelmäßig Schulungen durchlaufen. „Mein Vater hat mir das schon als Kind immer mitgegeben. Und wir haben auch zwei Unfälle erlebt, wo ich als Kind nicht aussteigen durfte und mein Vater Erste Hilfe geleistet hat.“
„Hätte Anzeige erstattet“
„Hätte ich die Nummernschilder von den Autos vor mir, wäre ich zur Polizei und hätte Anzeige wegen unterlassener Hilfeleistung erstattet“, so die 44-Jährige. Das Strafgesetzbuch ist dabei eindeutig: „Wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten, insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.“
Wenn man Angst habe, weil man nicht wisse, was und wie man helfen soll, solle man wenigstens den Notruf absetzen, sagt Manuela L.. Dann solle man andere Menschen auf sich aufmerksam machen und sie dazu bringen mitzuhelfen. „Mir klopft auch jedes Mal das Herz bis zum Hals wenn solche Situationen eintreffen. Aber das legt sich relativ schnell wieder.“
Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 26. September 2023.
„Wir wurden permanent fertig gemacht“: Andrea Schüller wurde als Fünfjährige verschickt
Lippebrücke in Dorsten ist Geschichte: Kreis zieht Fazit zum Abbau - ein Problem bleibt
Beliebter Spielplatz in Dorsten seit Monaten gesperrt: Christoph Winkel nennt den Grund